Der unbekannte Koalitionär

Kommentar Die Grünen in der Konjunkturdelle

Die nächsten 72 Zeilen sind der Wiedervorlage gewidmet. Gegenstand ist ein Häufchen Berufspolitiker, das in den vergangenen Wochen aus den Augen und fast aus dem Sinn geraten ist, hätte ihm nicht ein anderer Nobody den großen Gefallen getan und es erwähnt. Schwarz-grün in Berlin, das wäre eine Option, so wird Frank Steffel zitiert.

Was für eine Steilvorlage für den grünen Fraktionschef, nach langer Zeit wieder bei einem innenpolitischen Breitenthema zu fensterln. Mehr allerdings auch nicht: Nachdem die schwarz-grünen Farbenspiele in Frankfurt so grandios abgeschmiert sind, musste sich Rezzo Schlauch verbieten, den Berliner Bündnisspekulationen nicht doch ein bisschen Zucker zu geben. So hockt der politische Wetterfrosch für ihn und seine Partei wieder am unteren Ende der Leiter, der Bekanntheitsmesser zeigt nur kleine Ausschläge. Untrügerisches Indiz: Schon fast einen Monat läuft Sabine Christiansen, der Fernseh-Konsensausschuss der Nation, ohne grüne Beteilung, dafür aber immer mit einem Vertreter der PDS. Bei den Grünen geht inzwischen zurecht die Angst um, zwischen den beiden roten Parteien zerrieben zu werden.

Der Grund für die grüne Konjunkturdelle: Zum Einen hat die Partei wieder einmal mit sich selbst genug zu tun. So zeigen die Debatten um eine Kandidatur von Cem Özdemir in Berlin, aber auch der Landesparteitag am vorigen Wochenende in Baden-Württemberg, auf dem Fritz Kuhn noch einmal seine Bundestags-Ambitionen mit einem Angriff auf die grüne Postentrennung unterstrich: Die Grünen sind die ersten, die versuchen, ihr Personal für die Bundestagswahl zu ordnen. Denn das Parlament wird im Herbst 2002 verkleinert, und viele Hinterbänkler fürchten um ihr Mandat - nicht nur bei den Grünen. Bei diesen aber dürfte es mindestens ein Mitglied der Spätzle-Connection treffen: Einen der Schlauchs, Metzgers, Özdemirs und Kuhns eben.

Nur dass das zum Zweiten momentan von ebenso wenig Interesse ist, wie die nach außen getragene Sachpolitik - schnöde, und mag sie noch so wichtig sein: Renate Künast jettet wie eh und je zum Glück des Verbrauchers von Berlin nach Brüssel und zurück, in der Gesundheitspolitik, die kaum einer mehr versteht, hat die Fraktion eben den Mindestbetrag für Kassen kassiert, und Jürgen Trittin hat einen Klimaschutzvertrag mit der Industrie ausgehandelt. Schöne Dinge, aber eben nicht Top-Thema. Bei Länderfinanzausgleich und Solidarpakt oder der Wirtschaftspolitik aber bleiben die Grünen ungehört.

So gehört sich das eben für einen 6-Prozent-Koalitionär, mag mancher anmerken. Bescheidenheit ist eine Zier, nur in der Politik nicht. Ob sich das, wenn es um Einwanderung geht, wieder zeigen wird?

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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