Der Vatikan im Glaubenskrieg

Ratzingers Bad Boy Der Papst bleibt auch in der Affäre Williamson der katholische Hardliner, wie man ihn aus seinen Reden in Regensburg, Paris und Lourdes den Muslimen gegenüber kennt

Die simpelste aller Scheinlogiken ist immer noch diejenige, die aus Zeitverläufen eine Kausalität konstruiert nach dem Muster: Angela Merkel kritisierte am Dienstag Benedikt XVI., deshalb bestand der Vatikan am Mittwoch darauf, dass sich der fundamentalistische Bischof Williamson „absolut unzweideutig und öffentlich von seinen Positionen (…) distanziert“. Die kausale Verknüpfung von Merkels Kritik und dem Appell zum Widerruf aus Rom taugt allenfalls für Leitartikelprosa von zwölfstündiger Haltbarkeit.


Im Gespräch: Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinden Italiens, Amos Luzzatto, befürchtet eine epochale Wende in der Politik des Vatikans.


Wie wäre es mit der Hypothese, dass Frau Merkel mit ihrem medialen Großauftritt ihrem direkten Gegner Steinmeier seinen süßen Gewinn aus dem Treffen mit Hillary Clinton etwas versalzen wollte? Wenn auch nicht unbedingt die Logik, so spricht wenigstens die parteipolitische Interessenlage im Wahljahr mehr für dieses schlichte mediale Kalkül als für die Sorge der Kanzlerin um die ideologischen Kapriolen von Ratzingers Bad Boys. Aber der Fall Ratzinger/Williamson hat – jenseits von primitiven Scheinlogiken und vagen Hypothesen – ganz ernsthafte Seiten. Man muss schon über das vernunftverträgliche Maß hinaus katholisch sein, um zu behaupten, Ratzinger habe nur „väterliche“ Motive gehabt, als er die Exkommunikation der vier Bischöfe aufgehoben hat. Der brachial-katholische Philosoph Robert Spaemann teilte indes der FAZ mit, sein Papst habe die Exkommunikation nur zurückgenommen, damit Williamson Co nicht dereinst „ohne Tröstung durch die Sakramente der Kirche sterben“ müssten.

Näher als das Seelenheil der vier fundamentalistischen Bischöfe dürften Ratzinger allerdings die rund 600.000 Strenggläubigen gestanden haben, die hinter der Sekte mit dem Namen "Priesterbruderschaft Pius X." stehen. So viele Kircheintritte stehen nicht jeden Tag ins Haus. Wenn es obendrein um den groteskesten Fetisch des Katholizismus geht – „die Einheit der Kirche“ (seit über 1.500 Jahren „die eine heilige, katholische und apostolische Kirche“ – „unam sanctam catholicam et apostolicam“) –, brechen im Vatikan die Dämme der Vernunft und des Respekts vor der Tatsache, dass es mehrere Kirchen gibt. Ratzinger demonstrierte das jetzt gegenüber den Juden wie zuvor schon in seinen Reden in Regensburg, Paris und Lourdes gegenüber Muslimen.

Wenn es um die Konsolidierung der eigenen Glaubensgemeinschaft geht, legt der Papst das theologische Florett beiseite und greift zum bewährten Zweihänder aller Glaubenskrieger: „Einheit“ ist wichtiger als alles andere.
Das könnte jetzt daneben gehen, denn mit der Politisierung von Glaubensfragen begannen immer auch die Zeiten der „dissimulatio“, des Maskentragens. Mit dem gestrigen Appell an Williamson, öffentlich zu widerrufen, riskiert Ratzinger, dass der Bad Boy Williamson die übliche Maske aufsetzt, Abbitte leistet und dann weitermacht wie bisher - genau wie die deutschen Banker, wenn ihnen die Regierung die Hintertüre zur Bad Bank öffnen würde.

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