Die Bundesrepublik Deutschland wurde durch den Suhrkamp-Verlag so nachhaltig geprägt, dass man in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Recht von einer Suhrkamp-Kultur sprach. Auch das europäische Ausland und die durch eine Mauer abgetrennte DDR, in die westliche Bücher nur als Kassiber gelangten und deswegen umso höher geschätzt und intensiver studiert wurden, blieb von dem prägenden Stempel Suhrkamp nicht unbeeindruckt.
Ein Verlag prägte ein Land und eine Gesellschaft. Das ist beispiellos in der europäischen Geschichte, deren Perioden ansonsten von anderen Gewalten gekennzeichnet und nach anderen Mächten benannt wurden, nach Mächten und Gewalten, denen nicht nur das sanfte Regiment der Sprache zur Verfügung steht.
Das Program
Das Programm des Suhrkamp-Verlages wurde von dem Verlagsgründer Peter Suhrkamp bestimmt. Doch Peter Suhrkamp verblieben nach der Nazizeit, in der er wegen "Landes- und Hochverrats" gefoltert und in ein Konzentrationslager gebracht wurde, und der Gründung seines Verlages 1950 nur noch wenige Jahre, um sein Lebenswerk zu etablieren und festigen. Suhrkamp hatte dabei Glück und Fortune: er gewann mit den Autoren Brecht und Hesse eine beständige Basis für seinen Verlag. Und er traf Siegfried Unseld.Peter Suhrkamp hatte den Mut und die Weitsicht, diesem jungen Mann, der mit 27 Jahren in den Verlag kam, bereits sechs Jahre später seinen Verlag anzuvertrauen. Einen Verlag, der in den Fundamenten wohl gegründet, aber noch nicht der Weltverlag war, der er heute ist.Der Suhrkamp-Verlag, die Suhrkamp-Kultur, das war eigentlich Siegfried Unseld, der Verleger bedeutender deutscher Autoren des 20. Jahrhunderts, der Bewahrer und Begründer wichtiger Bibliotheken, wie des Insel-Verlages, der edition suhrkamp, der Reihe Theorie, der Bibliothek Suhrkamp, des Suhrkamp-Taschenbuches, des Juedischen Verlages, der Polnischen Bibliothek, des Deutschen Klassiker Verlages.Er war der verlässliche Freund seiner Autoren. Dass er ein guter und sehr guter Geschäftsmann war, ist unbestritten, aber diese Fähigkeit und dieses Durchsetzungsvermögen konnten nicht seine Liebe zu seinen Autoren beeinträchtigen oder gar gefährden. Und das ist es, was einen Verleger von einem erfolgreichen Geschäftsmann der üblichen Art unterscheidet, dieses Surplus. Darum gelten Verleger im Geschäftsleben zu Recht als Könige des Marktes, haben sie doch ungleich größere Schwierigkeiten zu bestehen. Denn die, für die und mit denen sie handeln, sind widerspenstig, uneinsichtig und stellen ihre privaten Interessen stets über das allgemeine. Man kann von ihnen kaum Loyalität und nie Dankbarkeit erwarten, und jede Autorenversammlung ist immer ein Gipfeltreffen erster Ordnung, angefüllt mit argwöhnischem Misstrauen und Fettnäpfchen. Das kann ein Verleger nur bestehen mit dem Herzen in der Hand und einem hellwachen Auge.Siegfried Unseld war selbst Autor und Herausgeber. Dieser Teil seiner Arbeit ist an die Namen Goethe und Hesse, Brecht und Suhrkamp, Bloch und Rilke, und immer wieder Goethe geknüpft. Unseld war ein Gourmet und Liebhaber schöner, schneller Autos, auch das ist untrennbar mit ihm verbunden und kennzeichnet ihn kaum weniger.Und er war ein Sportler, ein Schwimmer. Als er in den letzten Kriegsjahren zur Marine eingezogen worden war, konnte er nach einem Bombardement nur durch stundenlanges Schwimmen sein Leben retten. Auch diesem Schwimmen, dem er damals sein Leben verdankte, blieb er bis zu seinem Lebensende treu, verbunden in der verlässlichen Zuneigung und Dankbarkeit, die ihn auch ansonsten auszeichneten. Für die Wahl seiner Hotels war entscheidend, ob es eine Schwimmhalle besaß. Und im Frankfurter Schwimmbad, das er allmorgendlich aufsuchte, hatte er Bekannte, die ihn als unermüdlichen Bahnenschwimmer schätzten, ihn aber, wie er meinte und mir vergnügt erzählte, nicht als Verleger kannten.Ich lernte ihn vor achtzehn Jahren kennen. Er kam nach Ostberlin, hatte mit den Brecht-Erben zu tun und bei mir angefragt, ob wir uns sehen könnten. Wir verbrachten einen Nachmittag zusammen, ich fühlte mich von seinem Interesse an meiner Arbeit hoch geehrt und nannte ihm die Namen, die in seinem Verlag noch fehlten und die er unbedingt gewinnen müsse. Er hörte sich meine Empfehlungen geduldig an und fragte dann nach den Rechten an meinen künftigen Arbeiten. Ich sagte, dass ich mit meinen Verlagen zufrieden sei und es daher für mich keinen Grund für einen Verlagswechsel gebe. Dann folgte ich wiederum meiner Leidenschaft als Möchtegern-Verleger und vervollständigte ihm die Liste der Suhrkamp-Autoren.Seitdem trafen wir uns gelegentlich, mit Anlass und ohne. Es gab lange Abende mit Rotwein, an denen wir die Verlags- und Literatenlandschaft neu und gründlicher ordneten. Unseld war gesprächig und voller Witz, er war ein sehr andächtiger Zuhörer. Er war, wann immer ich ihn traf, stets aufmerksam und sorgsam. Das vor allem kennzeichnete ihn für mich. Er musste fünfzehn Jahre warten, ehe ich in seinen Verlag kommen wollte und kommen musste.Die Freundschaft mit Siegfried Unseld wird mir bleiben. Über seinen Tod hinaus.
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