Der Verteidiger Kataloniens

Sportplatz Kolumne

Wahrscheinlich hat am Mittwoch keiner der Spieler von Benfica Lissabon das Transparent im Hexenkessel von Barcelona bemerkt. Wer im Champions League-Viertelfinale von fast 100.000 gegnerischen Fans umgeben ist, vermeidet den Blick auf die Tribünen. Oleguer Presas hat das gelbe Spruchband dagegen sicher gesehen. Der 26-jährige Verteidiger des FC Barcelona war der Adressat. "No hi vagis", stand da unter den Rängen des brodelnden Nou Camp. Was auf katalanisch so viel heißt wie "Geh´ nicht hin". Seit Spaniens Nationaltrainer Luis Aragones den Abwehrrecken zum erweiterten Kader für die WM in Deutschland zählt, sind seine Anhänger wütend. Und Oleguer Presas Renom, genannt Oleguer, steht vor einem Dilemma. Er ist einer der wenigen Spieler, die nicht vom spanischen Nationaldress träumen. Presas gehört zur Redaktion der linksradikalen Hausbesetzerzeitung Ordint la Trama, studiert Volkswirtschaft und ist glühender katalanischer Nationalist. Bisher hat er nur für die Nationalmannschaft Kataloniens gespielt und von der FIFA die Anerkennung der inoffiziellen Auswahl gefordert. Kein Wunder, Oleguer ist unweit von Barcelona geboren, im Zentrum der nach Unabhängigkeit strebenden Region Katalonien. Über Vorortvereine arbeitete er sich bis zu Barça herauf. Die Mannschaft gilt als sportliches Aushängeschild der Autonomiebewegung. Genau wie Athletic Bilbao im Baskenland. Der spanische Erstligist Athletic geht sogar noch weiter und verpflichtet nur baskische Spieler.

Sollte Oleguer aus politischen Gründen den Einsatz für Spanien verweigern, droht ihm eine lange Sperre. Im Dezember hat der Verteidiger daher zum Unmut seiner Fans zum ersten Mal eine Einladung zum Trainingslager angenommen. "Das ist eine Anerkennung meiner Leistung, aber ich habe mich noch nicht endgültig entschieden", sagte er damals. Seitdem ist er nicht mehr nominiert worden. Ob Oleguer erleichtert ist, weiß niemand - er schweigt eisern zum Thema Nationalmannschaft.

Ansonsten meldet sich der Profi gern zu Wort, doch geht es nie um Fußball. Oleguer Presas ist in der autonomen Szene Barcelonas zuhause. Er gehört zu den 170 spanischen Intellektuellen, die eine Resolution gegen die EU-Verfassung unterzeichnet haben. Bilder zeigen ihn als Redner auf einer Kundgebung linker Globalisierungskritiker. Um den Hals ein Palästinensertuch. "Ich bin gegen dieses Europa der Reichen und der großen Konzerne", erklärte er im Interview. Oleguer gilt als persönlicher Freund von Subcomandante Marcos, dem fußballverrückten Anführer der zapatistischen Guerilla in Mexico. Und von Manu Chao. 2004 übernahm er die Kosten von 15.000 Euro für ein Gratiskonzert des Musikers in Barcelona. Zum Training fährt der 1,87-Meter-Mann in seinem VW-Bus. "Sicher sehen Luxusautos schön aus, aber mir wäre es unangenehm, mit so was in meiner Stadt herumzufahren."

Sein bislang einziges Tor für Barça widmete Oleguer im vergangenen April einem 14-Jährigen aus seinem Geburtsort Sabadell am Stadtrand von Barcelona. Der Junge war von der Polizei verhaftet worden, weil er Aufkleber gegen den rechten Bürgermeister geklebt hatte. Oleguer weiß, wie das ist. Im September 2003 wurde er nach Ausschreitungen vor der Hausbesetzerkneipe Bemba im Zentrum der Stadt festgenommen. Fünf Polizisten wurden damals verletzt, noch in diesem Jahr soll der Prozess beginnen. "Ich bin gegen dieses System, aber ich habe kein festes politisches Programm", sagt Oleguer. "Ich muss mir noch klarer über meine Vorstellungen werden, deshalb studiere ich auch Ökonomie." Erstaunlich nachdenklich für einen Autonomen - und für einen Fußballprofi. "Wir Fußballer sind nicht dumm", erklärt der angehende Akademiker, "doch das System stellt uns so dar und verwehrt uns oft den Zugang zur Bildung." Für Presas passen linksradikale Ideen, Regionalismus und Sport zusammen. Aber er hat klare Prioritäten: "Fußball ist eine schöne Sache, aber er wird überbewertet. Ich will kein Idol sein, weil ich gegen einen Ball treten kann. Wie kann eine Zeitung zwei Seiten über einen Spieler wie mich schreiben, während im Irak Krieg ist?" Sollte Oleguer jedoch für die WM nominiert werden, ist das Medieninteresse sicher. Die Entscheidung von Nationaltrainer Aragones fällt in den kommenden Wochen. Barça-Kapitän Carles Puyol hat sich schon entschieden - der Katalane fährt mit nach Deutschland.


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