So richtig fiel der Vorhang erst, als die vier Mitglieder der Familie Strassburger über den staatlich und gewerkschaftlich mitfinanzierten Ferienaufenthalt im Harz, »hier bei uns, in der DDR«, redeten, über Maßnahmen zur »Erhaltung des Friedens« und zum »Ausbau der Sozialpolitik« sowie darüber, dass das Ziel noch nicht erreicht sei und man hart arbeiten müsse, um den Humanismus zu sichern. Die Familie Strassburger, Dresden (Bill Meyers, DDR 1986) besteht aus Mutter (Pädagogin), Vater (Ingenieur), kleiner Tochter und einem seiner gesellschaftlichen Verantwortung bereits bewussten Sohn im Alter von etwa sieben oder acht Jahren, der »aus Dresden eigentlich nicht mehr weg will«, so gut gefällt es ihm. Sie sitzen in eine
en in einer Reihe und werden zu Leben und Alltag in der DDR interviewt. Meist führt die Mutter das Wort, ihr Mann will stets nur »vielleicht ergänzen« oder aber er stimmt mit ihren Ausführungen »vollkommen überein«.Ein glücklicher Verbund von DDR-Bürgern, inhaltlich und formal, optisch und rhetorisch aufeinander abgestimmt, ein wenig verunsichert durch die eine oder andere kritische Frage über ein mögliches Leben im Westen etwa. Der Vorhang fiel, als Frau Strassburger mit einem leicht verlegenen Lächeln von einer anstehenden Feierlichkeit erzählt (»Wir feiern ja jetzt das 25-jährige Bestehen der Mauer«) und das Publikum im Saal in schallendes Gelächter ausbrach. Wieso ist diese direkt und durchaus mit Sympathie porträtierte Verinnerlichung ethisch-sozialer Werte und ihre schüchterne, demonstrative Äußerung nur noch komisch? So sehr wir uns auch vor Augen halten mögen, dass diese Reaktionen auf das kleinbürgerlich anmutende und beinahe lächerlich antiquierte Sprechen dieser Leute immer auch Produkt einer westlichen Überheblichkeit, eines BRD-Zentrismus oder schlicht der Blindheit gegenüber eigenen Schablonen ist mehr als Lacher hatte die Familie Strassburger in Oberhausen in diesem Jahr nicht mehr auf ihrer Seite.The Whole Dam Family nannte sich der Programmblock, in dem dieses Interview gezeigt wurde, und er war eines von insgesamt 15 Unterprogrammen des Sonderprogramms Der gefallene Vorhang. Das Ich und das Andere seit 1989, das Marcel Schwierin für das Oberhausener Festival kuratiert hat. Der Titel führt etwas in die Irre, da die Mehrzahl der gezeigten Filme vor 1989 gedreht wurde und gerade in der filmhistorischen (1905-2005) und genrebezogenen (von Videokunst über Spiel- und Dokumentarfilm bis zum Lehr-, und Animationsfilm) Spannweite die Besonderheit der Auswahl liegt. 1989 stellt in diesem Zusammenhang eher ein Markstein dar dafür, von wo aus wir auf die Geschichte des Kinos als vielfältige Modalität der Wahrnehmung und Hervorbringung von gesellschaftlichen Verhältnissen und politischen Positionen blicken.Mit dem Ende des Eisernen Vorhangs, so der Imperativ des Programms, sollte dem heraufziehenden Nebel, den Globalisierung und Empire über und in unseren Köpfen und Seelen erzeugen, durch Schärfung der Beobachtung des Menschen und seiner Beziehungen begegnet werden. Fokussiert wurden die unterschiedlichsten Topoi: Materialism, Materialism mit der Performance Vertreibung aus dem Paradies (2004) des russischen Künstlerpaares Andrej Ustinov und Natalja Nikolaeva, die nackt in einem McDonald´s Restaurant ihr Unwesen als Pommes-Klauer treiben; Megalomaniac mit dem gleichnamigen Musikvideo von Floria Sigismondi, die Heroen des Popgeschäfts selbst in die Reihe berühmter Führergestalten stellt, aber auch mit dem angriffslustigen und zugleich intimen Video-Pamphlet für Girlpower (1992) der damals 15-jährigen Sadie Benning, Tochter des Experimentalfilmers James Benning; Cosmic Science mit Ausschnitten aus dem Projekt A Citizens Summit (USA/UdSSR 1985/86), das jeweils eine US- amerikanische und eine russische Talkshow via Satellitenschaltung miteinander über ideologisch prekäre Fragen wie Abtreibung oder freie Meinungsäußerung kommunizieren ließ.Aus kuratorischer Perspektive zentral gesetzt war jedoch der sowjetische Kurzfilm, der in fast allen Programmen präsent war, als »Ausdruck revolutionärer Utopie, als produktives Spannungsfeld zwischen zentraler und regionaler Kultur sowie in der Darstellung der Perestrojka als Umbruch globaler Dimension« (Schwierin). Dieser Ansatzpunkt ermöglichte eine intensive und durch die Zusammenstellung neu gerahmte Auseinandersetzung mit dem sowjetischen Dokumentarfilm von (hierzulande) mehr oder weniger bekannten Regisseure wie Pavel Kogan, Artavazd Peles?jan, oder Aleksandr Sokurov.Das Sonderprogramm verlieh den Oberhausener Kurzfilmtagen einmal mehr einen prägenden Zug. Nichtsdestoweniger trugen auch die Wettbewerbe und die anderen Specials dazu bei, die filmische Verschränkung von Politischem und Experimentellem zu demonstrieren, die in Oberhausen seit Jahren nicht nur auf die Fahnen geschrieben, sondern auch auf die Leinwand projiziert wird.