Emmanuel Macron ist auf dem besten Weg, als Präsident Frankreichs in die Geschichte einzugehen, der aus diesem und jenem Anlass großartige Reden hielt, deren Wirkungen aber kaum spürbar wurden. Ein Beispiel dafür ist sein Umgang mit den Banlieues, den seit den 1970er Jahren entstandenen, mittlerweile teils völlig verrotteten Vorstädten. Im Wahlkampf versprach Macron, „die Banlieues aufzubrechen“. Den meisten Bewohnern hätte es wohl genügt, er hätte angekündigt, die trostlosen Orte rund um etliche Großstädte durch eine bessere Infrastruktur an diese Kerne anzuschließen. Vielen dieser Satellitensiedlungen fehlt das Scharnier zum öffentlichen Nahverkehr.
Es ist bekannt, dass die Banlieues als multikulturell instabile Orte und Räume der Frustration immer wieder einen heftigen Aufruhr erleben, der über das Maß eines öffentlich für zulässig gehaltenen Protestes hinausgeht. Zu derartigen Eruptionen kam es nicht zuletzt im Herbst 2005 durch Brandstiftungen, die Plünderung von Supermärkten und die Zerstörung öffentlicher Gebäude. Und das landesweit. Vorausgegangen war der Unfalltod von zwei Jugendlichen, an dem die Polizei nicht unbeteiligt war. Beide lebten in Clichy-sous-Bois, einem Pariser Vorort, der zum Epizentrum des Aufstands wurde.
Prompt verlangten nach Macrons Wahl Bürgermeister und Abgeordnete aus den Banlieues von „ihrem“ Präsidenten, sein Versprechen zu erfüllen. Macron tat, was Politiker im Umgang mit diesem Dauerproblem seit Jahrzehnten tun: erst einmal Dampf aus dem Kessel nehmen, dann eine Expertenkommission berufen, die einen Rapport erstellen und Lösungen präsentieren soll. Genau das tat der Staatschef vor sechs Monaten und gab Jean-Louis Borloo, dem ehemaligen Städtebauminister des Präsidenten Jacques Chirac, den Auftrag, „einen Reformplan für die Banlieues“ zu entwerfen. Um den zu entwickeln, kooperierte Borloo nicht nur mit Experten, sondern ebenso mit Kommunalpolitikern und Vereinen aus den Vorstädten. Am 26. April lieferte er einen 164 Seiten starken Bericht mit dem Titel Zusammen leben, die Republik zusammen erleben, für eine nationale Versöhnung beim Premier Edouard Philippe ab.
Daraufhin geschah einen Monat lang gar nichts, bis es zu einem Macron-Auftritt der typischen Art kam. Er lud ein paar hundert Kommunalpolitiker, Bürgermeister, Abgeordnete wie Gesandte der Zivilgesellschaft in den Élysée nach Paris und begann seine Rede mit dem Hinweis: „Ich werde keine Rede halten.“ Danach wurde 90 Minuten lang frei und improvisiert über allerlei geredet, natürlich über die Hauptgefahren „Gewalt“, „Drogen“, „Islamisierung“ und „Antisemitismus“, aber auch über „Unternehmungsgeist“, „Eigeninitiative“ und „Arbeitslosigkeit“. Konkret wurde Macron nur in einem Punkt – in seiner fundamentalen Abneigung gegen „Pläne“ für die Banlieues, die so alt seien wie er selbst. „Diese Methode ist am Ende“, beschied der Präsident seinen Zuhörern.
Mehr Polizei
Ungeachtet dessen, dass er selbst immer mal wieder einen Plan zur Reform der EU oder zur Rettung des Euro vorlegt, ging er mit Blick auf die Banlieues ins Grundsätzliche, was seine Abneigung betraf: „dass zwei weiße Männer, die beide dort nicht wohnen, einen Plan für die Banlieue vereinbaren, das macht doch keinen Sinn.“ Die damit implizierte Spaltung der Gesellschaft in „Weiße“ und „Nicht-Weiße“ ist im republikanisch-egalitär gesinnten Teil Frankreichs sehr schlecht angekommen.
Vor allem aber geriet der Auftritt zu einer frontalen, völlig abwegigen Kritik an Borloos „Rapport“. Der hat ja gerade nicht mit einer kleinen „weißen“ Expertenrunde gearbeitet, sondern mit Politikern, Beamten und Bürgern aus den Vorstädten. Sein Bericht spricht auch nicht die verlogene Sprache von Technokraten und Politikern, die Armenghettos als „Quartiere mit Vorrang“ oder „sensible Wohnzonen“ schönreden. Borloos Überlegungen beginnen mit den Sätzen: „Es ist keine Zeit mehr für Expertenberichte. Es ist Zeit zu handeln. Die Lage ist einfach zu begreifen: Annähernd sechs Millionen Einwohner leben in einer Art Sicherungsverwahrung, ja in Vergessenheit, die zeitweilig unterbrochen wird von halbherzigen staatlichen Anstrengungen, von Bürgermeistern an vorderster Front, die aus der Haut fahren oder das Handtuch werfen.“ Zählt man zu den sechs Millionen Franzosen im Mutterland noch jene aus den französischen Überseegebieten hinzu, sind es über zehn Millionen Menschen, denen Borloo zufolge „die wirkliche republikanische Gleichheit“ in der Gegenwart und das „Versprechen auf Gleichheit“ in der Zukunft vorenthalten würden, was einem „absoluten Skandal“ gleichkomme.
Macron will die politischen Interventionsmöglichkeiten auf egalitäre Rahmenbedingungen im Sinne von Rechtsgleichheit reduziert sehen und verspricht mehr Polizisten zur Erhöhung der Sicherheit sowie mehr Lehrer für die heruntergekommenen Lehranstalten in den Banlieues.
Frankreich hat derzeit unter den OECD-Ländern die höchste Quote an Analphabeten. Während Borloo womöglich deshalb die Grundzüge einer partizipativen Gesellschaft entwarf, votiert Macron für die „wachsame Gesellschaft“ und hat den Bürgermeistern und Lokalpolitikern zwei Botschaften vermittelt: Erstens: „Wir hören euch zu“ – das kostet praktischerweise gar nichts. Und zweitens: „Wir müssen sparen.“ Letzteres war direkt gegen den Borloo-Bericht gerichtet, der eine „nationale Mobilisierung“ und 48 Milliarden Euro für 19 detaillierte Reformprogramme fordert. Macron hingegen besteht darauf, dass Geld weniger helfe als Rechtsgleichheit und die Beseitigung von Stigmatisierung: „Die Jugendlichen aus den Vorstädten wollen keine Vorzugsbehandlung. Sie wollen stattdessen die gleichen Möglichkeiten wie alle anderen“ – etwa beim Zugang zu Bildung und Arbeit. Borloo versteht seinen Plan jedoch nicht als Subventionierung, sondern als Investition in die Zukunft und schreibt: „Das Wachstum von morgen wird getragen von der Fähigkeit unserer Jugend zu Innovation und Qualifikation.“
„Würde von unten“
Die entscheidenden Defizite für die Vorstädte sind der Mangel beziehungsweise das komplette Fehlen von Einrichtungen für öffentliche Dienstleistungen (Gesundheit, Bildung, Verkehrsanbindung, Freizeit) und eine ausstehende soziale, religiöse und ethnische Durchmischung, um Ghettos und Parallelgesellschaften zu überwinden. Als die Regierung die kommunalen Budgets zusammenkürzte, wurden dadurch die Handlungsspielräume der Gemeinden ebenso verkleinert wie mit dem Einfrieren von staatlichen Lohnzuschüssen für junge Arbeitslose. Wenig überraschend liegt die Erwerbslosigkeit in den Banlieues inzwischen dreimal höher als im Landesdurchschnitt. Außerdem schaffen – verglichen mit dem übrigen Frankreich – in diesem Milieu nur halb so viele Schüler das Abitur, gibt es dreimal weniger Lehrverträge als im Landesdurchschnitt, weil nur zwölf Prozent der Betriebe mit mehr als 250 Mitarbeitern der gesetzlichen Pflicht nachkommen, fünf Prozent als Lehrlinge einzustellen. In der Hälfte der Schulen fehlen Sonderschullehrer. 160 der 1.500 Quartiere, die vom Staat als städtebaulich reformbedürftig angesehen werden, haben keinerlei Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln. Ein Resümee von Missständen und Defiziten, das keinesfalls vollständig ist.
Problemen von dieser Dimension ist mit Macrons Rhetorik von einer „neuer Philosophie“ – er nennt sie „Politik der Emanzipation und Würde von unten“ – nicht beizukommen. Bodenständiger und realistischer klingt, was Borloo zur Finanzierung seines Plans vorschlägt: die Gründung eines Staatsfonds, der mit Erlösen aus der Privatisierung von Staatsbetrieben und Staatsbeteiligungen dotiert werden soll, hinzu kämen Mehrwertsteuereinnahmen. Leider ist zu befürchten, dass einem solchen Konzept bevorsteht, was Borloo selbst von früheren Plänen sagt: „Keiner davon wurde umgesetzt. Und je weniger es dazu kam, desto mehr wurde an Vorkehrungen, Zahlen und Prioritäten angekündigt – tatsächlich wurden öffentliche Mittel durch öffentliche Ankündigungen ersetzt.“ Die Ergebnisse dieser jahrzehntelangen Ankündigungspolitik sind in den Banlieues zu besichtigen.
Kommentare 23
Der vielgepriesene und von Merkel hochgeschätzte Macron disqualifiziert sich selbst und agiert mit der von Politikern dieser Coleur gerne benutzten Methode a la Adenauer. Was juckt mich mein Geschwätzt von gestern und deshalb wird der von seinem Beauftragten entworfene Plan, der sehr viel Geld kostet, auch nicht umgesetzt. Denn Frankreich hat seinen Staatsbürgern, die in der Regel Nachkommen seiner Kolonialgeschichte sind, noch nie eine Chance eingeräumt und wird es unter dem elitären Macron schon gar nicht tun. Parallelgesellschaften gibt es mittlerweile auch hier in Deutschland und wenn man liest, dass Bundesministerin Giffey von der SPD Burkinis für akzeptabel hält, dann ist das sicher kein Weg, diese zu vermeiden.
Immer wieder erstaunlich, mit welcher Gewissheit behauptet wird, dies oder jenes trage "sicher" nicht zur Integration bei.
Es mag durchaus sein, dass die Abholung zu Hause und die Zwangsentkleidung von Schülerinnen zu einer besseren Integration beitragen würden - mag sein. Man darf aber auch am Nutzen solcher Maßnahmen zweifeln, ohne ein Islamisierungsagent zu sein.
Davon abgesehen: insbesondere falls die Burkiniträgerinnen unter Mädchen sind, von denen ein erheblicher Teil keinen Burkini nötig hat, begünstigt das ihre Integration. Dass sich ein Teil der Menschheit vom Anblick eines religiös oder scham-motivierten extra-langen Badeanzugs beleidigt fühlt, sollte einer Integration nicht im Wege stehen. Sollte Giffey aus dem Verständnis heraus handeln, dass sie Kindern mehr schuldig ist als Rechtspopulisten, finde ich das ermutigend.
Aber es ist halt zu schön, zumindest über ein paar besonders unintegrierte Leute im Land mal mitreden und mitkommandieren zu können, nicht wahr, Herr Erich. So als Stimmberechtigter.
Hach, wenigstens einmal im Leben Personalverantwortung zu tragen!
Viel Glück bei der Karriere.
Sorry für's off-topic, und Dank an den Autor des Artikels für eine faire Bestandsaufnahme.
Der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass die Situation in den Banlieus nur durch massive Investitionen nachhaltig verbessert werden kann. Somit wird hier Menschen aus ideologischen Gründen die Chance auf ein akzeptables Leben vorenthalten. Das ist verdammt tragisch. Und angesichts der Verbitterung und Wut, die in diesen Orten wächst, und irgendwann vielleicht explodieren wird, eine Gefahr für ganz Frankreich.
Aber es passt zu Herr Macron. 'Menschen, die nichts sind' hat er die Verlierer der Gesellschaft mal genannt. Ich habe den Mann immer verachtet, aber diese Aussage hat mich doch erschüttert. Die neoliberale Ideologie, die Menschen ohne ökonomischen Nutzen keinerlei Wert zugesteht, vertritt er in einer schauderhaften Radikalität.
Ich sehe im Neoliberalismus, der letztlich nichts anderes ist als eine bestimmte Form des Sozialdarwinismus, die gefährlichste Ideologie unserer Zeit. Denn es ist die erste Ideologie, die sich vielleicht wirklich global durchsetzen wird, sodass sich ihr niemand auf der Welt mehr entziehen kann.
Seine Reformideen für Europa sind für mich angesichts der Verheerungen, die er in seinem Land anrichtet, ein sehr schwacher Trost. Wenn solche Politiker Europa gestalten, dann sollten wir auf mehr Europa definitiv verzichten.
"Immer wieder erstaunlich, mit welcher Gewissheit behauptet wird, dies oder jenes trage "sicher" nicht zur Integration bei."
Hier wird gar nichts behauptet, schon mal gar nicht mit GEWISSHEIT. Hier wird eine Meinung geäußert, mit der Sie sich gerne auseinandersetzen können.
"...falls die Burkiniträgerinnen unter Mädchen sind, von denen ein erheblicher Teil keinen Burkini nötig hat, begünstigt das ihre Integration."
Das ist ja mal ein 2fortschrittlicher" Ansatz. Auf die Idee, das Burkinitragen die Integration der Trägerinnen begünstigt, sind noch nicht einmal die ideologischsten Vertreter des Multikulti-Irrsinns gekommen.
Im Übrigen: das Sie sich mit dem Nebenthema beschäftigen und zum Hauptthema offenbar keine Meinung haben, ist auch ziemlich interessant.
" Parallelgesellschaften gibt es mittlerweile auch hier in Deutschland und wenn man liest, dass Bundesministerin Giffey von der SPD Burkinis für akzeptabel hält, dann ist das sicher kein Weg, diese zu vermeiden."
Das Problem ist, dass die Rechten und Neoliberalen nicht bereit sind, notwendige Investitionen zur Gewährleistung einer intakten Gesellschaft zu tätigen, insbesondere dann, wenn diese in erster Linie Menschen zugutekommen sollen, die man ohnehin nicht im Land haben will. Die Linken hingegen verfallen in weiten Teilen in ein anderes Extrem, indem sie schlicht jedes mit Einwanderung oder 'Multikulti' verbundene Problem ignorieren, aus lauter Panik, irgendetwas zu sagen oder zu tun, was die Rechten irgendwie bestätigen würde.
Beides trägt nicht dazu bei, dass Probleme gelöst werden. Am Ende werden sie dann so groß, dass sie kaum noch zu lösen und massive gesellschaftliche Konflikte unvermeidbar sind. Frankreich ist da in der Tat schon etwas weiter als wir, siehe die von den Banlieues ausgehenden Unruhen und die Stärke des Front National.
Hier wird gar nichts behauptet, schon mal gar nicht mit GEWISSHEIT.
Ich zitiere:
und wenn man liest, dass Bundesministerin Giffey von der SPD Burkinis für akzeptabel hält, dann ist das sicher kein Weg, diese zu vermeiden
Den Widerspruch können nur Sie auflösen.
Auf die Idee, das Burkinitragen die Integration der Trägerinnen begünstigt, sind noch nicht einmal die ideologischsten Vertreter des Multikulti-Irrsinns gekommen.
Dass es das tut, unterstellen ja nun Sie, Herr Erich - ich habe dem Burkini meiner Erinnerung nach noch nicht das Wort geredet. Wenn Sie anderer Ansicht sind, zitieren Sie den entsprechenden Abschnitt aus meinem vorigen Kommentar bitte - und zwar wörtlich.
Wenn Sie aber meinen, dass das Zwangsausziehen von Schülerinnen ein Gebot der Integration sei, können sie ja schon mal einen Besuchsdienst für die Mitarbeiter der Exekutive organisieren, der denen seelisch beisteht. Welche Landesbeamten haben Sie für die Vollstreckung vorgesehen? Lehrerinnen oder Polizistinnen? Oder ersparen Sie denen das Elend von vornherein, indem die Kinder "einfach" keinen Zutritt zur Schule mehr erhalten? Gesetzlich schaut mir das ein bisschen kompliziert aus - man könnte auch vom Integrations-Irrsinn reden. Die Sprache wird halt ein bisschen übersteuert, wenn man sein Gehirn täglich in die Blödzeitung einwickeln lässt.
Im Übrigen: das Sie sich mit dem Nebenthema beschäftigen und zum Hauptthema offenbar keine Meinung haben, ist auch ziemlich interessant.
Wenn Sie übers Nebenthema (hier) nicht reden möchten, können Sie Ihre Nebenmeinung ja auch mal stecken lassen. Ich finde, nicht nur Macron ist ein Integrationshindernis, sondern auch Sie. Thematisch ist also alles OK.
Das ist nur Kulturkampf. Als ob Integration oder eine gute Gesellschaft Sache eines Burkinis wäre. Vielleicht ist es wichtiger wie jemand ist, als was jemand trägt. Kennst du die Burkiniträgerin denn überhaupt? Nö. Und willst du die kennenlernen? Nö. Aber Vorurteile pflegen.
Soll ne Frau tragen was sie will. Ganz einfach.
"...zitieren Sie den entsprechenden Abschnitt aus meinem vorigen Kommentar bitte - und zwar wörtlich"
Gerne, wörtlich: "...falls die Burkiniträgerinnen unter Mädchen sind, von denen ein erheblicher Teil keinen Burkini nötig hat, begünstigt das ihre Integration." Wenn Sie dieses Geschwurbele meinen, sollten Sie vielleicht ein wenig üben. In der Schule würde es für den Ausdruck ein Ungenügend geben. Und wenn der Ausdruck nicht stimmt, dann kann es schon hinsichtlich des Inhaltes zu Fehlinterpretaionen kommen. Vieleicht sollten Sie diesen Widerspruch auflösen.
Und ob ich meine Meinung "stecken lasse" oder hier äußere, dass müssen Sie gefälligst schon mir überlassen. Und wenn es in diesem Land nicht so viele Dummquatscher und Bedenkenträger gäbe, dann wäre diese Gesellschaft mit der Integration von ausländischen Mitbürgern schon wesentlich weiter. Insofern, schauen Sie in den Spiegel, wenn Sie einen dieser Typen sehen möchten.
"Soll ne Frau tragen was sie will. Ganz einfach."
Da gebe ich Ihnen sogar Recht. Nur, wir reden hier nicht von Frauen, sondern von schulpflichtigen Mädchen. Und wir leben in einem säkularen, aufgeklärten Land, in dem die Religion streng getrennt ist von dem , was wir unter Staat verstehen. Und dazu gehört die Schule, die einen Bildungs- und Erziehungsauftrag hat. Und zwar dahingehend, die Schüler zur Gleichberechtigung der Geschlechter zu erziehen. Das Tragen von Burkinis vermittelt genau das Gegenteil.
Insofern, schauen Sie in den Spiegel, wenn Sie einen dieser Typen sehen möchten.
Momentan habe ich ja Sie, Herr Erich.
Gerne, wörtlich: "...falls die Burkiniträgerinnen unter Mädchen sind, von denen ein erheblicher Teil keinen Burkini nötig hat, begünstigt das ihre Integration."
Da oben steht, dass die Mädchen, die keinen Burkini nötig haben, die Integration der Burkiniträgerinnen begünstigen. Dort steht nicht, dass die Burkinis die Integration begünstigen. So verständlicher? Sonst bemühe ich mich gerne weiter.
Oder haben Sie mich beim zweiten Lesen bereits richtig verstanden? Das geht aus Ihren weiteren Ausführungen (selber Absatz) leider nicht eindeutig hervor.
Und ob ich meine Meinung "stecken lasse" oder hier äußere, dass müssen Sie gefälligst schon mir überlassen.
Hindere ich Sie an Ihrer Meinungsäußerung? Ich schrieb, Sie können Ihre Nebenmeinung ja auch mal stecken lassen, wenn Sie nicht darüber reden möchten. Können ist nicht müssen.
Also, ich mache Ihnen keine Vorschriften, Herr Erich, aber einen guten Rat habe ich gratis für Sie: brauchbare Deutschkenntnisse helfen bei der Integration.
"brauchbare Deutschkenntnisse helfen bei der Integration."
Das ist nicht nur ein guter Rat für Ausländer. Auch Inländern sollten sie helfen, eine Debatte, z.B. in dieser Zeitung so zu führen, dass die eigenen Meinung deutlich wird. Ich erspare es mir, Ihren diesbezüglichen Satz erneut zu kopieren. Aber das Sie ihn für verständlich und vor allem für richtig halten, gibt schon Rätsel auf.
Vielleicht kann die Diskussion wieder auf den sehr ernsten Kern des Artikels zurückkommen.
In den Banlieues präsentiert sich ein Problem, vor dem über kurz oder lang auch Deutschland stehen wird. Der Adel des Mittelalters brauchte seine Bauern, die ihm den Reichtum erarbeiten, genauso der Industrielle des 19. Jahrhunderts die Fabrikarbeiter. Je mehr Bauern oder Arbeiter man ausbeuten konnte, desto reicher wurde man. Man war also grundsätzlich soweit am Wohlergehen seiner Untertanen interessiert, wie damit ihre Arbeitskraft erhalten wurde. Heute ist es anders, die Menschen in den Banlieues werden schlicht zu nichts gebraucht; nicht zur Mehrung des Reichtums der obersten 1 %, nicht als Kanonenfutter in Kriegen, nicht einmal als abschreckendes Beispiel für den Mittelstand – da ist die Rassenschranke vor. Es ist doch mehr als misslich, für diese Menschen einen Teil seines Reichtums aufgeben zu müssen. Man muss nur dafür sorgen, dass sie die eigene Macht nicht gefährden. Da ist es kühle Kalkulation, was ist billiger, Sozialarbeiter oder Polizist, Wohnung oder Stacheldrahtzaun. Außerdem kann man die Bewohner der Banlieues wunderbar gegen die untere Hälfte (oder sogar Zweidrittel) der weißen Bevölkerung hetzten. Da kommen die nicht auf dumme Gedanken, dass sie ggf. etwas zu viel an das obere eine Prozent abgeben.
Ich wünsche mir mehr solche Artikel, die zeigen, dass Macron alles andere als der Heilsbringer ist, für den ihn ein Teil der angeblich Linken in Deutschland halten.
"Ich wünsche mir mehr solche Artikel, die zeigen, dass Macron alles andere als der Heilsbringer ist, für den ihn ein Teil der angeblich Linken in Deutschland halten."
Hier in FR ist Macron nicht mal von Pseudolinken für einen "Heilsbringer" gehalten worden, sondern von Anfang an als genau der Strohman des Großkapitals erkannt worden, der er nun mal ist. Es muss also eine deutsche Unart sein sich so hoffnungsnaiv positivierend und blind zu vertun. Oder sind diese Linken , von denen sie schreiben, gar keine Linken, sondern Kapitalopportunisten im "linken" Karnevalskostüm ?
Macron wird ja gerne zu der Sorte aktuellen Politikertyps gezählt, auf den "man" sich im Westen - gar von linker Seite - doch irgendwie einigen kann. Dagegen stehen die Trumps, Orbans, Putins, Erdogans ... Macron wiederum als eine milde, liberale und gar gelehrig-philosophierende Stimme. Klingt doch sehr schön, wenn er sich vernehmen lässt, über die Banlieues sollten nicht die Weißen aus der inneren Stadt entscheiden. Ja, und das wäre ja auch bäh. So aber klingt's schön nach Emazipation und Integration. Dem (links)liberalen Mainstream, dem modernen urbanen Bürgertum, den Bobos, genügt das - es kann so froh sein, sich noch nicht völlig hemdsärmelig-plumpen Rechtsnationalen ausgeliefert sehen zu müssen. Auch Hillary Clinton galt als fruchtbar licht gegenüber Trump, weil sie sich, wenn auch mehr schlecht als recht, als feministische Kandidatin verkaufte.
"Heute ist es anders, die Menschen in den Banlieues werden schlicht zu nichts gebraucht [...]"
Das ist allerdings ein wichtiger Einwurf! Denn natürlich liegt die eigentliche Krux im System und in der Struktur. Tatsächlich kann man sich auch beim besten Willen und den besten Konzepten nichts aus den Rippen schneiden. Was einfach nicht mehr da ist bzw. immer mehr verschwindet, ist eben auch nicht mehr da. Der Strukturwandel - Deindustrialisierung, Dienstleistung und Digitalisierung - braucht eben auch immer weniger Menschen. Freilich betrifft das zuerst die niedrigeren Ausbildungsniveaus. Aber eben auch nicht nur die. Was früher noch Arbeiterstadt war, wo man sicher nicht reich war, aber ganz gut zurecht kam, wird heute nur noch zum Streuboden für alle, die der Strukturwandel allenfalls noch als gelegentliche Konsumenten zurücklässt. In die inneren Städte ziehen dabei nur noch die Gewinner dieses Strukturwandels. Und das werden nicht immer mehr, wie es scheinen könnte. Es ist nur die Auswahl, die aber aus allen Himmelsrichtungen dorthin strömt.
Daß sich jmd. nur mit dem Nebenthema beschäftigt geht zum einen vollkommen in Ordnung und ist wohl nur für Sie ziemlich interessant (!?). Wichtig ist, daß junge Muslima überhaupt mal ins Schwimmbad kommen. Mit Burkini meinetwegen. Alles andere ergibt sich von selbst, hehe. Ich habe in meiner Jugend während der britischen Besatzungszeit (ist das pc?) in NRW noch englische Schulmädchen in Uniform kennengelernt - haben die auch irgendwann verweigert im cultural clash.
Hört sich aber sehr hart nach 'Hab-Acht-Schule' an. "Pflicht". "Streng". "Auftrag". "Erziehen." In 4 von 6 Sätzen. Und wer ist WIR, und was verstehen WIR unter Staat ?
Es geht um die eigene Meinung, nicht um die eigenen Meinung. Das wird in letztem Fall mit ß geschrieben. Bitte. Gern geschehen. Rätsel sind dagegen Rätzel. (War'n Scherz.)
Endlich lomme ich dazu, was zu Macron zu schreiben. Der Mann ist Banker. Fakt. Niemand würde z.B. von einem Henker erwarten, sich gedanklich mit Begnadigungen auseinanderzusetzen, da würde er sich ja arbeitslos denken / machen.
Danke, Herr Oberlehrer.
Haben Sie gut erkannt. Schule hat was mit Pflicht und Erziehen zu tun. Auch mit Regeln, die für alle gelten. Und die Trennung von Staat und Kirche ist Teil des hiesigen GG. Das Wischi-Waschi, das Sie andeuten, hat dieses Land integrationsmäßig genau dahin gebracht, wo es jetzt ist. Was Sie unter Staat verstehen, weiß ich nicht. Für mich gehört die Schule dazu.
Und die Trennung von Staat und Kirche ist Teil des hiesigen GG.
Mir scheint, Sie verwechseln die Trennung von Staat und Kirche mit der negativen Religionsfreiheit. Letztere besagt, niemand dürfe zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesformel gezwungen werden.
Dass Schülerinnen eine religiöse Praxis - sofern man das Tragen eines Burkinis als religiöse Praxis auslegt - verfassungswidrig sei, gibt die Trennung von Staat und Kirche nicht her.
Trennung von Staat und Kirche heißt, dass es keine Staatskirche geben darf, und das Staat und Kirche institutionell voneinander getrennt sein müssen. Das hindert den Staat nicht daran, das Alltagsleben im Land so zu beeinflussen, wie die Kirchen es haben möchten: mit kirchlichen Feiertagen "zur seelischen Erhebung", zum Beispiel. Es hindert ihn nicht am Abschluss von Staatsverträgen mit religiösen Institutionen, und auch nicht daran, den Kirchen jährlich ein paar Milliarden Euro hinterherzuwerfen und für sie Steuern einzuziehen.
"Trennung von Staat und Kirche" ist kein sinnvolles Argument gegen Burkinis. Es ist ein ziemlich komplexes - und je nach Ansicht vielleicht auch von faulen Kompromissen durchzogenes - Gesetzeswerk, bei dem die Bundesrepublik von den Verpflichtungen der Weimarer Vorgängerrepublik schlicht nicht wegkam (und vermutlich auch gar nicht davon wegkommen wollte).
Zusammengefasst: wenn Sie einen Ausziehzwang für Schülerinnen wollen, können Sie sich aus diversen Gründen nicht sinnvoll auf das GG berufen.
Was die Widersprüche hier in diesem Lande hinsichtlich der Trennung von Kirche und Staat anbetrifft, gebe ich Ihnen Recht. Dennoch sollte die Schule als staatliche Einrichtung hier ein entsprechendes Zeichen setzen. Mein Argument gegen Burkinis ist vor allem der Bildungs- und Erziehungsauftrg, der die Schulen verpflichten sollte, die Gleichberechtigung der Geschlechter in den Mittelpunkt zu stellen. Das schließt m.E. auch ein Verbot, jeglicher religiös motivierter Kleidung ein, die, was Burkini- und Kopftuchzwang anbetrifft, ein verheerendes Frauenbild vermittelt. Wohl gemerkt: ich spreche ausdrücklich von Schulkindern, deren Eltern ihnen aus oben genannten Gründen keine Wahl lassen.