Der Wiederaufbau muss grün sein!

Gastbeitrag Systemischer Wandel vollzieht sich oft in Zeiten sozialer Not. Es liegt an uns, die Verwerfungen der Corona-Krise für einen überfälligen wirtschaftlichen Umbau zu nutzen
Europa als Zukunft? Nur, wenn der Wiederaufbau nach der Corona-Krise grün und sozial ist
Europa als Zukunft? Nur, wenn der Wiederaufbau nach der Corona-Krise grün und sozial ist

Foto: Laurie Dieffembacq/Belga Mag/AFP via Getty Images

Seit Wochen hält das Coronavirus die Welt buchstäblich in Atem. Ganze Länder und Volkswirtschaften sind im „Lockdown“, wobei das kaputt gesparte Gesundheitswesen südeuropäischer Länder bereits vielerorts überfordert ist. Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen kämpfen tagtäglich an der gesundheitlichen, Kassierer*innen, Erzieher*innen und Lieferanten an der gesellschaftlichen Front gegen die Folgen der Pandemie.

In dieser Krise zeichnet sich neben all dem ein konjunktureller Tsunami am Horizont unserer globalisierten Wirtschaft ab. Befeuert durch die abrupte und wohl längerfristige Abnahme wirtschaftlicher Aktivität, wird sich diese Welle im schlimmsten Fall in einem Ausmaß niederschlagen, das sämtliche Finanzkrisen in den Schatten stellt. Vieles hängt deshalb von der finanzpolitischen Antwort der Regierungen und Notenbanken ab.

Angesichts der gravierenden volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie, kann diese Antwort gar nicht umfassend genug sein. Entscheidend ist vor allem, dass die Rettungsmaßnahmen auf das Wohlergehen aller Menschen ausgerichtet sind und dass staatliche Mittel der allgemeinen Grundsicherung dienen.

Dies ist ein Gastbeitrag des deutschen Teams der DiEM25 Kampagne für einen Green New Deal für Europa

Auf Ebene der Europäischen Union wären dies etwa: zumindest übergangsweise ein universelles Grundeinkommen (EZB-Helikoptergeld) für Privathaushalte, statt der bloßen Ausweitung von Kreditlinien für Unternehmen. Die temporäre Teilverstaatlichung großer Unternehmen und Banken, statt bedingungs- und schamloser Bailouts. Sowie die Ausgabe EZB-besicherter Gemeinschaftsanleihen der EU-Mitgliedsstaaten (Eurobonds), statt ESM-Darlehen mit Austeritäts-Konditionalitäten für die am schwersten betroffenen Länder.

Doch die Verantwortungsträger reagieren langsam und innerhalb eines einstudierten, konventionellen Rahmens. Die EZB kündigt eine massive Ausweitung ihres Anleihenkaufprogramms an, um die Schuldenaufnahmefähigkeit notleidender Euroländer zu unterstützen. Ihren Leitzins für die Kreditvergabe an Geschäftsbanken kann sie nicht mehr senken, da dieser bereits bei null Prozent liegt. Und für andere Formen der Marktintervention fehlt ihr bislang offenbar die Fantasie.

Das Versagen der Geldpolitik wäre weniger fatal, wenn Regierungen mittels Fiskalpolitik, wie Steuererlass oder Subventionen, in der Lage wären ausreichend gegenzusteuern. Das mag im Falle wohlhabender Staaten wie Deutschland noch möglich sein. Der fiskalische Spielraum vieler anderer Staaten ist aber erschöpft, was sich nicht zuletzt auf die bis heute nachwirkenden Einschnitte nach der letzten Finanzkrise zurückführen lässt.

In der EU kamen die Finanzminister diesen Staaten nun immerhin entgegen, und setzten kurzerhand die Bestimmungen zu öffentlicher Verschuldung im Stabilitäts- und Wachstumspakt außer Kraft. Es darf jedoch bezweifelt werden, dass dadurch allein genügend neue öffentliche Ausgaben zusammenkommen, um den Einbruch der privaten Nachfrage mit öffentlicher Nachfrage zu kompensieren.

Das Geld ist da – der Wille nicht

Gleichzeitig läuft die orthodoxe politische Reaktion auf die Wirtschaftskrise Gefahr, den geringen Fortschritt, der in Richtung Klimaschutz getan wurde, wieder rückgängig zu machen. Die Autoindustrie möchte die beschlossenen Klimaziele, so ungenügend sie jetzt schon sind, wegen Corona weiter aufweichen. Und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat schon die schnelle Rückkehr zur schwarzen Null nach der Krise in Aussicht gestellt, wobei die Schulden für die jetzt aufgenommenen Kredite schon ab 2023 abgezahlt werden sollen. Damit würden uns weitere Jahre der Austeritätspolitik bevorstehen; und die dringend nötigen Investitionen in grüne Infrastruktur, Jobs und Technologien in weite Ferne rücken. Dabei hat die wirtschaftspolitische Reaktion auf die Pandemie ja gerade gezeigt, dass das Geld da ist. Nur der politische Wille fehlt.

Für eine visionäre politische Antwort gibt es aber ein historisches Beispiel: Franklin D. Roosevelts „New Deal“, den er als Antwort auf die Große Depression der 1930er Jahre formulierte. Die Ökonomin Ann Pettifor schreibt dazu: „Nachdem die gewählte Regierung die Steuerung der Wirtschaft übernommen und Wall Street in den Dienst der Belange von Mensch und Natur gestellt hatte, konnte die damalige Bankenkrise gelöst, die Große Depression beendet, Geld aufgebracht und Fiskalpolitik genutzt werden, um Arbeitsplätze und Einkommen zu schaffen und Ungleichheit abzubauen.“

Der zentrale Unterschied zur heutigen Zeit liegt in einer anderen Krise, die die Pandemie größtenteils aus dem öffentlichen Bewusstsein vertrieben hat: die Klima- und Umweltkrise. Sie verlangt, dass wir einen „Green“ New Deal für Europa vorlegen; denn die sozial-ökologische Transformation des Wirtschaftssystems ist nicht nur längst überfällig, sondern auch ein Ausweg aus der kommenden Rezession. So ist zwar begrüßenswert, dass sich mittlerweile 13 europäische Umweltminister*innen dafür aussprechen, den „Green Deal“ der Europäischen Kommission als Grundlage den Wiederaufbau von Europas Volkswirtschaften zu nehmen. Dieser gewaltigen Aufgabe ist der „Green Deal“ aber nicht gewachsen.

In drei Phasen zum Wiederaufbau

Deshalb haben wir mit Dutzenden von Ökonom*innen, Klimawissenschaftler*innen, Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen einen umfassenden Plan entwickelt, der sowohl auf die aktuelle Coronakrise, als auch auf die anhaltenden Krisen von Klima, Demokratie und sozialer Ungleichheit eine gerechte, demokratische und nachhaltige Antwort bietet. In Anlehnung an Roosevelts drei „R“ (Relief, Recovery, Reform), schlagen wir für den Wiederaufbau in der jetzigen Krise kurzfristige, mittelfristige und langfristige Maßnahmen vor.

Kurzfristig brauchen wir in den nächsten Wochen und Monate europäische Hilfen für die von Austerität betroffene Gesundheitssysteme in ganz Europa. Diese wurden als Reaktion auf die Finanzkrise teilweise in ihrer Kapazität derart beschnitten, dass sie heute heillos überfordert sind.

Zudem hat uns diese Krise gezeigt, dass oft unterbewertete – und unterbezahlte – Tätigkeiten notwendig für das Funktionieren unserer Gesellschaft sind: Ärzte, Krankenpfleger, Erzieher, Müllentsorger. Diese Berufe sind außerdem „grüne Jobs“: sie üben keinen zusätzlichen Druck auf unsere Umwelt aus, sondern sorgen vielmehr für eine bessere Gesundheits-, Sozial- und Umweltvorsorge. Neben einer besseren Entlohnung müssen über ein öffentliches Investitionsprogramm tausende solcher Jobs geschaffen werden.

Außerdem sollten wir gesamteuropäisch ein Pflegeeinkommen einführen, das notwendige Pflegetätigkeiten anerkennt, die in unseren Gesellschaften oft unsichtbar sind und überwiegend von Frauen – insbesondere Müttern – ausgeübt werden. Das würde sowohl die schützen, die an vorderster Front gegen die Pandemie ankämpfen, als auch diejenigen, die unter Quarantäne um den Unterhalt ihrer Familien bangen.

Mittelfristig muss der wirtschaftliche Wiederaufbau ein grüner sein. Dazu kann eine Koalition der öffentlichen Banken Europas, angeführt von der Europäischen Investitionsbank, grüne Anleihen im Umfang von jährlich mindestens fünf Prozent des europäischen BIP ausgeben. Die Gelder fließen dann in das Investitionsprogramm „Grüne Öffentliche Investitionen“. Die Entscheidungen über die Investitionen müssen dabei in die Hände betroffener Gemeinden gelegt und dadurch Millionen neuer grüner Arbeitsplätze in der lokalen und regionalen Wirtschaft geschaffen werden. Und die Gewinne aus diesen öffentlichen Investitionen müssen in öffentlichen Händen bleiben. Nur so kann das Vertrauen in die Demokratie gestärkt werden.

Langfristig, muss das von der EZB vorgeschriebene Einfrieren von Aktienrückkäufen und Dividenden für Investoren ausgeweitet werden, bis die Banken all ihre Vermögenswerte aus dem Bereich der fossilen Brennstoffe veräußert haben. Die EU-Institutionen müssen das Dogma des endlosen Wachstums aufgeben und statt des BIP-Wachstums messen, wie es um die Gesundheit unserer Gesellschaften und der natürlichen Welt steht. Und mit einem Forschungs- und Entwicklungsprogramm „Green Horizon 2030“ könnten alle Technologien, die im Rahmen des Programms entwickelt werden, quelloffen und in Zusammenarbeit mit anderen Ländern entwickelt werden. So kann das Entstehen nachhaltiger Volkswirtschaften auf der ganzen Welt gefördert werden.

In nur zwei Monaten hat das Coronavirus eine Kette von beispiellosen Krisen in Europa ausgelöst. Eine Gesundheitskrise hat zu einer kontinentweiten Abschottung geführt und damit eine Wirtschaftskrise verschärft, von der sich Europa seit 2008 nie erholt hat. Und dabei wir laufen Gefahr, die Klima- und Umweltkrise aus den Augen zu verlieren. Deshalb brauchen wir eine ganzheitliche und ambitionierte politische Antwort: einen Green New Deal für Europa.

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