Des Kanzlers Ablasshandel

Kommentar Afghanistan ruft

Es wäre doch eigentlich höchste Zeit, dass Gerhard Schröder im Bundestag wieder einmal die Vertrauensfrage stellt. Der Kanzler versteht sich erfahrungsgemäß vorzüglich auf diese Art des politischem Ablasshandels: Gebt mir Vertrauen und ich entlasse Euch aus der Verantwortung. Ihr werdet damit anerkennen, was wir ohnehin längst als Realität erleben. Das Parlament ist zu einem ernsten Hindernis im Anti-Terror-Krieg geworden. Schröder könnte mit einem launigen Ausflug in die Welt seiner Bonmots - und um die parlamentarischen Totlacher auf die Seite des Guten zu ziehen - gar von einer "schweren Plage" reden.
In der Tat sollte sich der Kreuzzug gegen das Böse nichts weniger leisten als semiprofessionelles Geplänkel an der parlamentarischen Heimatfront. Wie erlöst waren wir, als uns die Auskunft des Verteidigungsexperten Helmut Wieczorek (SPD) ereilte: Operative Fragen über die Feldzüge der deutschen KSK-Elite (Kommando Spezialkräfte) in Afghanistan vertragen keine Öffentlichkeit. Welch Unterschied zur pubertär unbedarften Informationspolitik des Verteidigungsministers. Die Frage über den Auftrag deutscher Spürpanzer und Spezialeinheiten auf der arabischen Halbinsel oder die Mission deutscher Flottenverbände am Horn von Afrika und im Hinterland der Nahostregion - und damit des Irak - verträgt selbstredend ebenfalls keine Öffentlichkeit.
Recht lässt sich bekanntlich am Besten mit verbundenen Augen herstellen, Politik offenbar auch. Die Demokratie darf eine Auszeit reklamieren. Da Enduring Freedom, wie der Name schon sagt, auf Dauer angelegt ist, sind Spekulationen über mögliche Fristen dieser Selbstentsagung müßig. Dann wird eben bis auf weiteres lieber im Hinterzimmer oder im FAZ-Feuilleton die Frage aufgeworfen, weshalb die Bundesregierung nach außen hin so vehement vor einem Krieg gegen den Irak warnt und ansonsten in militärischer Hinsicht weiter ins Zentrum der Anti-Terror-Operationen rückt. Wer sonst als das Parlament sollte bei einer solchen Wahrnehmung - und es könnte doch sein, dass "Dem Deutschen Volke", wie es im Giebel des Hohen Hauses heißt, hier eine Frage nach Krieg oder Frieden vorliegt - dem Kabinett Schröder die Vertrauensfrage stellen? Vielleicht als Anwalt des Volkes? Zerreißt das die Grünen schon wieder bis zur Kenntlichkeit? Dann sollte man erst recht die parlamentarische Kontrolle der Regierung strapazieren. Die Düpierung in Sachen KSK-Einsatz scheint Präzedenzfall genug. Wer kann angesichts der jetzigen Gefechte in Ostafghanistan noch ernsthaft glauben, die UN-Kontingente sollten demnächst von der Türkei kommandiert werden? Wer darf noch annehmen, das ISAF-Korps (International Security Assistance Force) sei nicht dem US-Kommando in Afghanistan, sondern der UNO unterstellt? Wer kann noch behaupten, deutsche Kontingente seien aus reiner militärischer Notwendigkeit und nicht aus politischem Willen derart involviert? Uns müsste eine Sternstunde des Parlaments bevorstehen.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden