Des Kremls Wundertüte

Russland Die Liste der möglichen Putin-Nachfolger wird immer länger

Bisher waren nur zwei Kandidaten für den politischen Wettbewerb um die Putin-Nachfolge designiert: Dmitri Medwedjew und Sergej Iwanow, beide Erste stellvertretende Ministerpräsidenten, der eine gilt als liberal, der andere mehr als Hardliner. Inzwischen jedoch werden auch andere Bewerber genannt, die den jetzigen Staatschef beerben könnten. Zweierlei scheint dabei unstrittig: Der Nachfolger wird ein Vertrauter Putins sein. Und die Wähler dürften dem Auserwählten mehrheitlich ihre Stimme geben.

Damit es unter diesen Umständen nicht langweilig wird, öffnet der Kreml gelegentlich seine Wundertüte. Vor einer Woche erklärte Präsidenten-Berater Igor Schuwalow bei einem Auftritt in Washington, möglicherweise gäbe es mehr als zwei Kandidaten. Man solle sich auf Überraschungen gefasst machen. "Vielleicht erfahren Sie bis zum Jahresende noch von anderen möglichen Aspiranten."

Wer ist der dritte Kandidat oder gibt es gar eine Kandidatin? Häufig genannt wird Wladimir Jakunin, Chef der russischen Eisenbahn - auch Walentina Matwijenko, die Gouverneurin von St. Petersburg scheint plötzlich präsidiabel. Vor kurzem erst hatte der Inlandsgeheimdienst einen angeblichen Anschlag aufgedeckt, der gegen sie geplant war - böse Zungen sprachen von einem PR-Trick.

Wladimir Putin hatte sich kürzlich für die Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten von bisher fünf auf sieben Jahre ausgesprochen und zugleich erklärt, für das Amt käme auch ein Gouverneur in Frage. Die Iswestija nannte daraufhin prompt weitere Namen aus diesem Kreis: Alexander Tkatschew etwa, Gouverneur im südrussischen Krasnodar und bekannt für seine nationalistischen Ausfälle gegen armenische Gastarbeiter. Oder Alexander Chloponin, Gouverneur im sibirischen Krasnojarsk-Gebiet, früher Direktor des weltgrößten Nickel-Kombinats im nordrussischen Norilsk.

Als potenzieller Putin-Nachfolger gilt Beobachtern auch Sergej Naryschkin. Der Vizepremier trat bisher nur selten in der Öffentlichkeit auf und zählt zu den "grauen Kardinälen" im Kreml. Er ist Autor mehrerer Gesetzesreformen, in der Regierung für die Beziehungen zu den GUS-Staaten sowie zur Europäischen Union zuständig und kommt aus der "Kaderschmiede" St. Petersburg. Anfang der neunziger Jahre arbeitete der jetzt 52-Jährige an der Seite Putins in der Administration der Newa-Stadt.

Für das russische Fernsehen freilich sind bis auf weiteres nur die eingangs erwähnten Dmitri Medwedjew und Sergej Iwanow gesetzt und werden entsprechend häufig im Nachrichtenteil gezeigt. Medwedjew profiliert sich in der Öffentlichkeit mit nationalen Sonderprogrammen wie Finanzhilfen der Regierung für Gesundheit und Bildung, Wohnungsbau und Landwirtschaft. Der Tatmensch Iwanow ist für den Industriesektor und die Rüstungsindustrie zuständig. Das Fernsehen zeigt ihn bei Schiffstaufen und dem Besuch von Rüstungsfabriken. Auf dem Internationalen Wirtschaftsforum, das jüngst in St. Petersburg auf den G 8-Gipfel folgte, hielten die beiden Hauptkandidaten Grundsatz-Referate. Iwanow ließ keinen Zweifel, Russland werde 2020 zu den fünf führenden Industrienationen gehören. Medwedjew gab sich zurückhaltender, sprach von "menschlichen Ressourcen" und der Prosperität russischer Großstädte. "Zwischen Russland und dem Westen gibt es keine fundamentalen Widersprüche, nur Nuancen", so der Professorensohn Medwedjew. Derartige Auftritte ändern jedoch nichts daran, dass die denkbaren Nachfolger im Vergleich zum populären Wladimir Putin farblos wirken.

Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow wünscht sich zu den Präsidentschaftswahlen einen einzigen Kandidaten von Liberalen, Linken und Nationalisten. Nur gemeinsam sei es möglich, sich gegen das "Regime" durchzusetzen, danach werde man weitersehen, so der Führer des Oppositionsbündnisses Das andere Russland. Wen diese Allianz ins Rennen schickt, soll auf einer Konferenz im Juli entschieden werden. Bislang gibt es vier Anwärter, die sich quasi selbst nominiert haben - zunächst einmal Michail Kasjanow, den ehemaligen Ministerpräsidenten, und Viktor Geraschenko, den einstigen Chef der Zentralbank. Beiden fehlt allerdings so etwas wie eine "soziale Komponente", die nach Auffassung von Kasparow für ein gutes Ergebnis unverzichtbar ist. Als Dritter und einigermaßen überraschend hat ein im Ausland lebender Ex-Dissident sein Interesse kundgetan: der Schriftsteller Wladimir Bukowski, der wegen "antisowjetischer Tätigkeit" acht Jahre in Lagern saß und seit 1976 in Großbritannien blieb. Seine Chancen schätzt der heute 65-jährige Autor als nicht besonders groß ein, aber da es in Russland darum gehe, endlich die "Verbrechen der Vergangenheit" aufzudecken, halte er sein Engagement keineswegs für vergeblich. Auch der Vorsitzende der liberalen Jabloko-Partei, Grigori Jawlinski, will zu den Präsidentschaftswahlen kandidieren. Seine liberalen Konkurrenten von der Union der Rechten Kräfte (SPS) kritisiert er für ihre Anpassung an die Politik des Kreml. Schließlich die KP - sie wird wie gewohnt ihren Vorsitzenden Gennadi Sjuganow ins Rennen schicken. Das Angebot, sich mit Kasparows Anderem Russland zu vereinigen, lehnt er ab.

Dass sich das Lager der Putin-Gegner nicht auf einen Bewerber einigen kann, liegt vor allem an Eigensucht und Profilierungswut. Es gibt viele Führer, aber wenig Volk. Beobachter meinen, die Polittechnologen im Kreml seien auch nicht ganz unschuldig an der Zersplitterung. Einen Teil der Opposition hätten sie mit verlockenden Offerten geködert.


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