Des Pudels Kern

Von Hunden In Arthur Schopenhauers Wohnung gab es 16 Kupferstiche von Hunden. Mit dem Ruhm, der dem eigenbrötlerischen Mann erst im Alter zuteil wurde, wuchsen ...

In Arthur Schopenhauers Wohnung gab es 16 Kupferstiche von Hunden. Mit dem Ruhm, der dem eigenbrötlerischen Mann erst im Alter zuteil wurde, wuchsen auch die Gerüchte. In der Frankfurter Öffentlichkeit verwandelten sich die abgebildeten zu einem Rudel realer Hunde, mit denen der Sonderling angeblich seine Wohnung teilte. Schopenhauer wusste davon und fand es höchst amüsant.

Die Wahrheit ist prosaischer, aber auch seltsam berührend. Der lebenslang erfolglose Privatgelehrte, dessen Bücher von der Fachwelt ignoriert wurden und der es nie schaffte, eine menschliche Beziehung aufrechtzuerhalten, die nicht nach kurzem in Feindschaft umschlug, besaß seit seinen Göttinger Studentenjahren einen Pudel. Starb dieser, so besorgte er sich einen anderen, möglichst ähnlichen, den er wie dessen Vorgänger formell "Atman" nannte (ein Sanskritwort, das er mit "Weltseele" übersetzte) und freundschaftlich "Butz" rief.

Die seltsame Praxis, immer neue Hunde für einen einzigen zu nehmen, entsprach Schopenhauers Theorie der Individualität, die behauptet, dass, da ein niedriges Lebewesen sich weniger von anderen seiner Art unterscheide als ein höheres, jeder Hund gewissermaßen auch jeder andere Hund, mit anderen Worten, sein Butz immer der gleiche Butz sei. Es mag leicht sein, sich darüber lustig zu machen, aber man sollte nicht vergessen, dass Schopenhauer einer der ersten Schriftsteller war, die das Leiden der Tiere zu ihrem Thema machten. Unsere Tiere, schrieb er, lebten in einer Hölle, in der die Menschen die Teufel seien. Eine bessere Formel hat der Tierschutz nie hervorgebracht.

Im Alter ging Schopenhauer jeden Mittag im noblen Frankfurter Hof essen - und zwar stets in Begleitung von Butz. So etwas war durchaus nicht üblich, und es erregte viel Anstoß bei den anderen Gästen. Dass Butz bei seinem Tisch sitzen durfte, war dessen Herrn allerdings noch nicht auffällig genug. Wenn er sich über den Hund ärgerte, beschimpfte er ihn gerne möglichst laut und mit provokativen Blicken in die Runde: "Du Mensch!"

Daniel Kehlmann lebt als freier Schriftsteller in Wien und veröffentlichte zuletzt den Roman "Der fernste Ort"

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