Detektiv Merkel

Der Fall Skripal Wer war’s? Der Westen ist sich verblüffend schnell sicher
Ausgabe 12/2018
Wer hat's erfunden? Die Russen
Wer hat's erfunden? Die Russen

Foto: Adam Berry/Getty Images

Was die britische Regierung an Beweisführung im Fall Skripal vorlegt, grenzt ans Lächerliche. Wäre nicht Novichok, sondern das Nervengift VX benutzt worden, hätte sie dann mit dem Finger auf Washington gezeigt? Weil VX bekanntermaßen in den USA entwickelt wurde? Und die CIA jahrzehntelang Auftragsmörder in die ganze Welt geschickt hat? Wir sollten uns erinnern, dass es in erster Linie um einen Mordversuch geht, der nach klassischer Polizeiarbeit ruft, so dass irgendwann dank ausreichender Beweise Anklage erhoben werden kann. Sollte sich erweisen, dass eine ausländische Regierung an dieser Operation beteiligt war, dann und erst dann kommt der Moment für eine diplomatischen Konfrontation oder – noch besser – für Lösungen.

Derzeit gibt es international vor allem einen Player, der zuständig ist: die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen OPCW, unterliegt doch der eingesetzte Stoff dem Chemiewaffenverbot. In der Chemiewaffenkonvention (CWC) ist ein Konsultationsmechanismus für den Fall vorgesehen, dass ein Land ein anderes verdächtigt, Kampfstoffe eingesetzt zu haben. Diesen Weg könnte London einschlagen und formell nach Artikel 9 der CWC seine Vorwürfe an Moskau richten. Danach hätte man dort zehn Tage Zeit, sich zu äußern. Ist danach der Verdacht nicht ausgeräumt, kann die OPCW Experten beauftragen, den Vorfall zu untersuchen. Gut ist, dass die OPCW jetzt in England selbst Proben nehmen kann. Zudem sollte Russland mögliche Reste aus seinen Novichok-Beständen übergeben, um einen Abgleich zu ermöglichen. Die russischen Depots aus der Zeit des Kalten Krieges sind zwar mittlerweile vollständig vernichtet, dürften aber in Kleinstmengen weiter vorhanden sein, um Schutzmaßnahmen testen zu können. Auch die Bundeswehr würde ihren Job schlecht erledigen, hätte sie nicht wenigstens kleinere Mengen des Giftes in ihrem Bestand, um zu wissen, wogegen sie sich verteidigen muss.

Ganz sicher ein Geheimdienst

Aber aufklären lässt sich das Verbrechen nur durch profane Polizeiarbeit wie Spurensicherung, Zeugenaussagen und Videoaufnahmen. Vor jeder weiteren Spekulation sollten die dabei gewonnenen Erkenntnisse abgewartet werden. Relativ sicher ist nur: Will jemand einen Ex-Geheimdienstmann mit einer hochentwickelten Chemiewaffe ausschalten, geschieht das, um die maximale Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf diesen Fall zu lenken. Es gibt einfachere Methoden, Menschen umzubringen, auch könnte man ein Verbrechen als Unfall tarnen. Was in diesem Fall offenbar nicht in Betracht kam, weil eine starke Botschaft – an wen auch immer – beabsichtigt war. Es steckt mit ziemlicher Sicherheit ein Geheimdienst dahinter. Selbst gut ausgestattete kriminelle oder terroristische Organisationen wären kaum fähig, das tödliche Nervengift herzustellen. Bleibt die klassische Frage bei Kapitalverbrechen – wem nützt es? Ein Interesse daran, Russland weiter zu isolieren, haben diverse Länder, weshalb auch die Ukraine oder baltischen Staaten Urheber sein könnten. Was genau so spekulativ ist, wie Moskau die Schuld in die Schuhe zu schieben. Auch könnte der Anschlag eine Warnung an potenzielle Überläufer in russischen Geheimdiensten gewesen sein.

Wirklich beängstigend ist freilich, dass Theresa May so schnell so viel Unterstützung für ihr Manöver erhalten hat. Merkel, Macron und Trump haben sich gemeinsam der Schuldzuweisung an Russland angeschlossen. Das war nicht so naheliegend, wie es zunächst schien. Als im Vorjahr in Syrien Sarin eingesetzt wurde und die halbe Welt von Anfang an sicher war, dass Assad die Verantwortung trug (was mittlerweile als gesichert gelten kann), haben sich Paris und Berlin zunächst zurückhaltend geäußert und getan, was in solche Lage das einzig Sinnvolle ist: die Fakten abwarten und vorzeitiges Urteilen vermeiden.

Warum das jetzt anders ist, bleibt Spekulation. Vielleicht war es einfach nur die Hoffnung in Paris und Berlin, mit diesem Manöver May ein wenig länger an der Macht zu halten, um bei den Brexit-Sondierungen keine stärkere Gegnerin zu haben. Was auch immer am Ende ausschlaggebend war – es ist ein fatales Zeichen für den Zustand der internationalen Politik, wenn sich die halbe NATO so schnell für eine neue Ost-West-Konfrontation hergibt.

Jan van Aken war UN-Biowaffeninspektor und Bundestagsabgeordneter der Linken

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