Deutsch

Selbstprüfung Gustav Justs Lebensrückblick

Wie wenig ein Lebensweg im 20. Jahrhundert durch das Elternhaus bestimmt wurde, wie dominierend hingegen aus eigenen Erfahrungen gewonnene Erkenntnisse waren, lässt sich mit vielen Beispielen belegen. Allzu oft dienen dazu Biographien von Personen, die dem besitzenden Bürgertum entstammten und sich nach einem längeren Erkenntnisprozess an die Seite der sozial Benachteiligten stellten.

Als typisch kann das Leben der Anna Seghers gesehen werden, die neben ihrem Studium und der Promotion reisen und sich ein eigenes Bild von dieser Welt schaffen konnte. Weithin unbekannt war bis jetzt der Weg des Gustav Just durch die ersten drei Jahrzehnte seines Lebens. Mitte Juni 1921 wurde er in einem deutschen Dorf nahe Gablonz in Nordböhmen als Sohn eines Maschinisten geboren. Genau einen Monat zuvor hatte sein Vater im vorwiegend von Deutschen besiedelten Reichenberg am Gründungskongress der Tschechischen Kommunistischen Partei teilgenommen.

Wenn man weiß, dass Just im Januar 1954 der Präsidentin des Schriftstellerverbandes Anna Seghers per Beschluss als Generalsekretär an die Seite gestellt wurde, läge es nahe, dies als logische Konsequenz einer gradlinigen Erziehung zu betrachten. Wie krass ihre Wege geographisch und ideell voneinander entfernt waren, ist dem Lebensbericht zu entnehmen, den Gustav Just in seinem 80. Lebensjahr all denen übergab, die nicht verlernt haben, nach dem Warum zu fragen.

Deutsch, Jahrgang 1921 ist keine gelassene Beschreibung einer repräsentativen deutschen Karriere geworden, sondern das fixierte Ergebnis ernsthafter Selbstprüfung. Der Leser folgt dem Pfad der Erinnerung über weite Strecken gespannt und zugleich beeindruckt von der Aufrichtigkeit der geschilderten Brüche, die den Sohn eines kommunistischen Arbeiters zu einem wissensdurstigen Abiturienten, parallel jedoch zum Führer einer "Jungenschaft" in der Bündischen Jugend und nach kurzer, dem Vater geschuldeten Unsicherheit zum Jungstammführer in der Hitlerjugend werden ließen.

Welche Prägung Just bei den Bündischen erhielt, wird deutlich, wenn man liest: "Dieses soldatische Erscheinungsbild entsprach der angestrebten soldatischen Haltung. Wir hielten uns für eine Elite, im Gegensatz zu den braven Knaben, die sonntags mit den Eltern spazierengingen."

Mit den Idealen von Treue und kampfbereiter Männlichkeit verband sich bald eine Sehnsucht nach einem großen deutschen Vaterland. "Unser Denken war großdeutsch ausgerichtet, so daß wir die Einverleibung Österreichs im März 1938 ebenso begrüßten wie den Anschluß der sudetendeutschen Gebiete ans Großdeutsche Reich im Herbst desselben Jahres."

Wie konnte aus diesem Gustav Just ein Nomenklaturkader der SED-Führung werden? Schwerverwundet war er der Gefangenschaft entgangen und - wieder in Gablonz - endlich bereit, vom Vater und seinen Genossen die Wahrheit über die Schuld des deutschen Nationalsozialismus zu hören.

Im Juni 1946 mit seiner jungen Frau aus der Tschechoslowakei ausgewiesen, ging er in die sowjetische Besatzungszone, weil ihre Eltern dort Zuflucht gefunden hatten. Seine Eltern, als Antifaschisten regulär ausgereist, gaben ihm den für sein weiteres Leben entscheidenden Impuls: In ihrem Dorf unweit von Quedlinburg mangelte es an Lehrern. Just fuhr zu ihnen, wollte Lehrer werden. Aus Sorge, als ehemaliger Offizier gefährdet und vom Lehrerberuf ausgeschlossen zu sein, fälschte er den Fragebogen, degradierte sich vom Leutnant zum Unteroffizier, stellte sich erfolgreich der Prüfung als Neulehrer und trat in die SED ein.

Nach diesen persönlichen Entscheidungen begann ein Sog zu wirken, der Gustav Just über eine Stufenleiter in den Apparat des ZK der SED aufsteigen ließ. Als Funktionär des Schriftstellerverbandes fand er nach Gesprächen mit Anna Seghers und KuBa im Januar 1954 den Mut, die Fälschung des Fragebogens einzugestehen.

Ein Parteiverfahren folgte. Just wurde als Redakteur zur Wochenzeitung Sonntag geschickt. Dort traf er auf Heinz Zöger und im Aufbauverlag auf Walter Janka und Wolfgang Harich. Die Ziele wie das Schicksal der sogenannten "Harich-Gruppe" sind oft beschrieben worden. Als Zeuge im Gerichtssaal verhaftet, sperrte man Just für Jahre ins Zuchthaus Bautzen.

Der Bogen dieses außergewöhnlichen Berichtes reicht bis ins Jahr 1996 und beschreibt ein Leben, das auch nach 1990 zum Spielball politischer Interessen gemacht werden sollte.

Gustav Just: Deutsch, Jahrgang 1921, Ein Lebensbericht; Verlag für Berlin-Brandenburg GmbH, Potsdam 2001; 277 S. 25,05 EUR

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