Deutscher Verdacht

Fußball Die Bundesbürger lieben ihre Vereine, vor allem ihre Sportvereine, nicht aber ihre Verbände. Warum?
Ausgabe 20/2021
Das DFB-Quartier für die WM 2018 im Moskauer Vorort Watutinki kam bei den Spielern nicht so gut an
Das DFB-Quartier für die WM 2018 im Moskauer Vorort Watutinki kam bei den Spielern nicht so gut an

Foto: Patrik Sollarz/AFP/Getty Images

Alter Witz: Was geschieht, wenn mehr als zwei Deutsche sich treffen? Sie gründen einen Verein. Gut, sieben Personen müssen es sein, um die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. Aber es stimmt schon: Das Vereinswesen ist etwas sehr Deutsches. Vor allem das Sportvereinswesen. Der bayerische Grünen-Politiker Sepp Dürr hat bereits vor über zehn Jahren die These aufgestellt, besonders der Fußballverein, der große, der berühmte, könne auf die gesellschaftliche Bindungskraft bauen, die Kirchen, Parteien und Gewerkschaften verloren gegangen sei. Bayern München, Borussia Dortmund, Schalke, Eintracht Frankfurt, FC St. Pauli – ihnen gilt das Glaubensbekenntnis. „Mein Verein“ ist die unanfechtbare Instanz.

Den Witz mit den zwei Personen, die sich treffen, könnte man fortführen. Was tun zwei Vereine, wenn sie zusammenkommen? Sie gründen einen Verband. Ja, Deutschland ist auch voller Sportverbände. Die größten sind der Deutsche Olympische Sport-Bund und der Deutsche Fußball-Bund, dazu kommen Fachverbände für jede Sportart. Und obwohl jeder Verein in mindestens einem Verband vertreten ist, würde kein Fan und Sportkonsument von „meinem Verband“ sprechen. Es gibt eine Vereins-, aber keine Verbandsidentität. Ein Verband kann eigentlich gar kein gutes Image haben.

Dabei wollen Verbände nur das Beste. Der verstorbene Walther Tröger, der Deutschlands große olympische Figur war, kritisierte das Internationale Olympische Komitee (IOC) zwar häufig für seinen Kommerz, meinte aber: „Wenn es nicht ein Verband macht, organisiert es eben eine Firma.“ Dann lieber IOC- als Red-Bull-Spiele. Der denkbar schlecht beleumundete Fußball-Weltverband FIFA investiert einen Teil seiner Einnahmen in Entwicklungshilfe und hat zur Professionalisierung seines Sports in ärmeren Regionen beigetragen, und die International Ice Hockey Federation organisiert mit Hingabe Junioren- und Frauentermine in Ozeanien und Asien, die allesamt Draufzahlgeschäfte sind.

Trotzdem mag niemand Verbände. Warum? Weil sie wie Behörden erscheinen, die nicht sonderlich schnell arbeiten. Weil sie Immobilien besitzen, die den Verdacht erregen: Werden da die Beiträge von der Basis verbaut? Der DFB erlebt gerade, wie sein Neubau-Projekt von Argwohn begleitet wird. Verbände wirken immer ein wenig rückständig, weil in ihnen altbackene Titel wie „Bundestrainer Sprung“, „Landesfachwart“, „Sportdirektor“ und dergleichen geführt werden, während in Vereinen der „Managing Director Sports“ oder „Performance Manager“ beschäftigt werden.

Vereine haben ständig Betrieb und werden öffentlich ausgeleuchtet, Verbände sind nebulöse Gebilde und ihre Protagonisten – ausgenommen die Granden des DFB, die sich vor Publikum gezofft haben – sind kaum bekannt. Die Klubs nutzen dieses Ungleichgewicht aus: Sie inszenieren sich als die Profis ihres Sports, im Verband hingegen werden die Amateure beschäftigt. Denen wird in die Schuhe geschoben, wenn es in einem Sport generell nicht läuft. „Wir erwarten endlich einmal Lösungen vom DFB“ – diesen Satz kann unwidersprochen und von Beifall begleitet jeder Vereinskicker oder -präsident sagen. Ebenfalls beliebt: „Der Verband hat verkrustete Strukturen.“

Für den DFB fällt nur jedes zweite Jahr Lob ab. Wenn bei einem großen Turnier für die Nationalmannschaft alles gut organisiert war, dann heißt es: „Top vorbereitet – so kennt man den DFB.“ Nach dem Herren-WM-2018-Desaster-Quartier im Moskauer Vorort Watutinki stimmte auch das nicht mehr. Drei Jahre ohne Anerkennung – die DFB-Mitarbeiter könnten sich mal treffen. Und einen Selbsthilfeverein gründen.

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