Deutsches Theater

Erinnerung Der Regisseur Adolf Dresen wäre Ende März 70 Jahre alt geworden

Als Adolf Dresen 1977 im Gefolge der Biermann-Affäre wie viele andere Künstler und Intellektuelle die DDR in Richtung Westen verließ, tat er dies, weil er nicht mit ansehen wollte, "wie das Pack, immer noch Hurra brüllend, mit seinem Schiff unterging". Der Schritt bedeutete für den Regisseur, der zwei Dekaden lang eine der zentralen Figuren am Deutschen Theater in Berlin war, jedoch nicht nur den Verlust seiner geographischen, kulturellen und geistig-politischen Heimat, sondern auch den Beginn einer beruflichen Obdachlosigkeit: die Schwierigkeiten Dresens mit dem ostdeutschen Staat waren zugleich Symptom einer Krise, in der er sich mit seiner Arbeit am Sprechtheater befand.

Schon in der DDR hatte Dresen, der mit seiner Kunst stets auf der Suche nach einer tieferen Wahrheit jenseits des Theaters war, in wachsendem Maße das Gefühl gehabt, in einem luftleeren Raum zu inszenieren. Im kapitalistischen Westen aber, wo er unter anderem am Wiener Burgtheater und am Schauspiel Frankfurt inszenierte, ging ihm schließlich der Sinn von Theaterarbeit verloren, weswegen er Anfang der achtziger Jahre auf die international mögliche Opernregie umsattelte: "eine Flucht vor dem Schauspiel und auch eine Flucht vor Deutschland".

Der mangelnde Realitätsbezug des Theaters hatte für Dresen mehrere Gründe: eine verfehlte deutsche Theatersubventionspolitik, die inhaltsleere Originalitätssucht des Regietheaters und den damit einhergehenden Niedergang der Ensemblekultur, die dominante Presse und den enormen, unbeweglichen Verwaltungsapparat der Theater. Angesichts der gegenwärtigen Diskussionen um schlecht ausgelastete und von Kürzungen, Fusionen und Schließungen bedrohte Theaterhäuser erscheinen Dresens Texte in den Essaysammlungen Siegfrieds Vergessen und Wieviel Freiheit braucht die Kunst? noch immer aktuell.

So lehnte Dresen die staatliche Subventionierung von Theater, die ja bekanntlich Voraussetzung der weltweit einmaligen deutschen Theaterlandschaft ist, nicht rundweg ab. Immerhin sei das Theater dadurch vor der Korruption des Markts geschützt. Ein hoch subventioniertes, wirklichkeitsfremdes "Theatertheater" stellte für ihn jedoch die falsche Alternative dar. In der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Bühnen vom Publikumsgeschmack sah Dresen die Gefahr der Produktion von "Tassen mit Löchern", einer "Unsinns-Überflutung". Für die großzügig von der öffentlichen Hand unterstützten bundesdeutschen Bühnen konstatierte er eine Tendenz zur Originalitätshascherei sowie zur Arroganz gegenüber dem Zuschauer, welche sich ein nicht subventioniertes wie etwa das englische Theater nicht erlauben könne.

Nur unter den deutschen Bedingungen, fand Dresen, sei ein kryptisches und unzugängliches Regietheater möglich, das den Regisseur und seine Konzeption ins Zentrum stelle und dem Schauspieler lediglich die Rolle des ausführenden Elements zuweise. Diesem sich selbst bespiegelnden Theaterkonzept hielt er ein lebens- und volksnahes Schauspieltheater entgegen, in dem der Mensch - der Schauspieler wie der Zuschauer - wieder das wichtigste Element sein sollte.

In seinen letzten Lebensjahren zog es Adolf Dresen, der am 31. März 70 Jahre alt geworden wäre, wieder häufig ins Berliner DT, an dem er 1968 in einer legendär gewordenen Aufführung Goethes Faust inszeniert hatte. Aller vernichtenden Urteile über die bundesdeutsche Theaterlandschaft zum Trotz, verband sich damit auch die Hoffnung auf einen Neuanfang. Dazu kam es nicht mehr. Das Sprechtheater blieb für Adolf Dresen bis zu seinem Tod im Juli 2001 eine "nicht gut vernarbte Wunde", wie es die Literaturkritikerin Sigrid Löffler einmal ausdrückte.

Immerhin: Es hätte Dresen, dem ein wirkliches Ensembletheater unverzichtbar für sinnvolle Theaterarbeit gegolten hatte, wohl gefallen, wie sich nun, am vorläufigen Endpunkt der Streitereien um die DT-Intendanz, die Regisseure Barbara Frey, Dimiter Gottscheff, Michael Thalheimer und Jürgen Gosch wieder fester an das Haus in der Schumannstraße binden wollen. Die Querelen um Ost- und West-Personalien, die der jetzigen Lösung vorausgegangen waren und fast 15 Jahre nach der Wiedervereinigung die fortwährende Spaltung des Kulturbetrieb in der Hauptstadt zu belegen schienen, weisen in des auf das zweite große Thema in Dresens Essayistik hin: die nach wie vor problematische deutsche Identität.


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