Die im Mai beschlossenen Rettungsmaßnahmen für Griechenland bzw. "den Euro" markieren eine Zäsur. Denn sie können in der jetzigen Form keine Dauerlösung sein, sondern zwingen die europäischen Staaten, bis 2013 eine Neuordnung ihrer Wirtschaftspolitik vorzunehmen. Die Uhr tickt.
Doch man hat nicht den Eindruck, dass irgendjemand unter den zentralen politischen Akteuren sich wirklich daran macht, diese Zeitspanne effektiv zu nutzen. Die einzelnen Vorschläge sind geprägt von Mutlosigkeit, fehlender Perspektive und einem minimalistischen Pragmatismus, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass alle Optionen, die eine Änderung der EU-Verträge beinhalten, von vornherein ausgeschlossen sind. Das greift zu kurz.
Mit seinem lebhaften und gut fundier
n und gut fundierten Plädoyer für eine „europäische Republik“ hingegen weist Stefan Collignon eine Perspektive, die weit über den Titel seines Beitrags „Für eine demokratische Wirtschaftsregierung“ hinausgeht. Zu Recht mahnt er eine demokratische Legitimation einer europäischen Wirtschaftspolitik an und beschreitet deshalb gedanklich den Weg von der intergouvernementalen Koordinierung zur wirtschaftspolitischen Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene, ja zur ordentlichen wirtschaftspolitischen Gesetzgebung der EU.Zur „Europäischen Republik“ gehört auch eine europäische SteuerkompetenzÜberraschenderweise enthält sein Beitrag jedoch keine Position zur Finanzierung europäischer Aufgaben, obwohl auch hier eine Europäisierung notwendig ist. Sie ist jedoch sehr umstritten, wie die fast einhellige Ablehnung des Vorschlags des für Haushaltsfragen zuständigen Europäischen Kommissars Janusz Lewandowski für eine EU-Steuer zeigt. Die Bundesregierung signalisierte sofort Gegenwehr. Der kommissarische SPD-Fraktionsvorsitzende Joachim Poß sah keinen Handlungsbedarf, das bisherige System habe sich bewährt. Der Obmann der Linkspartei im Europaausschuss, Alexander Ulrich, sprach von einer „Luftnummer“, von „reinem Sommertheater“. Einzig die Grünen haben sich für eine europäische Steuerkompetenz ausgesprochen. Eine interessante politische Diskussionslage.Wirtschaftsliberale und Konservative argumentieren, die Einführung einer EU-Steuer erhöhe die Steuerlast und lehnen deshalb jede EU-Steuer ab. Der Einwand ist wenig überzeugend. Die Wirkungsweise des europäischen Haushaltsrechts mit seiner Deckelung des EU-Budgets anhand einer Obergrenze bei 1,24 Prozent des europäischen BNE führt nämlich dazu, dass eine Steigerung der Eigenmittel eine Reduzierung der Mitgliedsbeiträge ergibt, die die Staaten aus ihren Haushalten aufbringen. Eine EU-Steuer würde deshalb auf europäischer Ebene aufkommensneutral eingeführt werden und lediglich die Haushaltsstruktur verbessern. Ob es in diesem Zusammenhang insgesamt zu einer höheren Steuerbelastung kommt, entscheidet sich auf nationaler Ebene. Dort kann man die niedrigeren Mitgliedsbeiträge, die an die EU abzuführen sind, für Steuersenkungen nutzen, oder – sinnvoller – für dringend nötige Investitionen in unser Bildungssystem, in den ökologisch-sozialen Umbau unserer Wirtschaft oder den Investitionsstau bei den Kommunen auflösen. Wichtig und inhaltlich richtig ist also, zunächst die Frage der EU-Steuer von der Frage der Ausweitung des europäischen Haushalts und von der Frage der zusätzlichen Belastung der SteuerzahlerInnen zu trennen.Mehr Transparenz, weniger NettozahlerdebattenSchaut man allein auf die Einnahmestruktur der Europäischen Union wird deutlich, dass auch die Meinung, die gegenwärtige Regelung habe sich bewährt, auf wenig Faktenkenntnis beruht. Verquere Nettozahlerdebatten haben zu unsäglichen Ausnahmeregelungen wie dem Briten-Rabatt und darauf aufbauenden Ausnahmen von der Finanzierung dieses Rabatts geführt. Die Entscheidungen auf europäischer Ebene geraten so immer wieder zu einer intergouvernementalen Schlacht um die Verteilung von zu zahlenden Beiträgen und zu erreichenden Auszahlungen für das eigene Land, anstatt Kosten und Nutzen für die Union insgesamt abzuwägen. Die Folgen sind intransparente Strukturen, die niemand mehr durchschaut und die es Europakritikern ermöglichen so zu tun, als sei Europa unwahrscheinlich teuer. Deshalb überschätzen ja auch die meisten Bürgerinnen und Bürger den Beitrag Deutschlands zum europäischen Haushalt von jährlich lediglich 262 Euro pro Einwohner erheblich. Zum Vergleich: Der jährliche Pro-Kopf-Beitrag zum Bundeshaushalt liegt bei durchschnittlich 2584 Euro und damit etwa beim Zehnfachen.Die Ablehnung europäischer Steuern auf weiten Teilen der politischen Linken ist insbesondere deshalb überraschend, weil die Steuern, um die es geht, ohnehin nicht auf nationaler, sondern auf europäischer Ebene eingeführt werden sollten, was zum Teil ja auch gefordert wird. Sowohl die Finanztransaktionssteuer als auch die Luftverkehrsabgabe, die vom EU-Kommissar in die Diskussion gebracht wurden, werden nicht nur aus politökonomischen, sondern auch aus allokativen und distributiven Gründen sinnvollerweise auf europäischer Ebene vereinnahmt. So krankt etwa eine nationale Einführung einer Finanztransaktionssteuer daran, dass Umsätze von dem Land, das diese Steuer zuerst einführt, an andere europäische Finanzzentren verlagert werden könnten. Deshalb sind die nationalen Finanztransaktionssteuern, die es bislang gibt, auch in ihrer Bemessungsgrundlage sehr löchrig, manche wurden – wie in Schweden – schnell wieder abgeschafft, um die Finanzwirtschaft des Landes nicht zu gefährden. Regelmäßig scheiterte also bisher eine verteilungspolitisch gut begründete umfassende Besteuerung von Finanzumsätzen. Dieses Problem könnte man natürlich durch eine koordinierte Einführung mehrerer europäischer Staaten begrenzen.Ökonomische Schieflagen werden ausgeglichenWichtig ist es deshalb, auch auf die Verteilungswirkung zu achten. Die starke Konzentration von Finanzumsätzen an wenigen Börsenplätzen führt zu einer geographischen Konzentration von Reichtum, die für eine langfristig stabile Entwicklung der Union wenig förderlich ist. Heute finden zusammengenommen fast 99 Prozent der EU-Finanzumsätze in London und Frankfurt statt. Eine europäische Einführung einer Finanzumsatzsteuer würde also im Vergleich zu nationalen Finanztransaktionssteuern die ökonomische Schieflage zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten der EU verringern. Eine Finanztransaktionssteuer als EU-Steuer würde so über den europäischen Haushalt einen wichtigen Stabilisierungseffekt erreichen. Ebenso wie die Zolleinnahmen angesichts ihrer starken Konzentration an wenigen Hafenstandorten (so genannter Rotterdam-Effekt) als eigene Einnahmen der europäischen Ebene zugesprochen wurden, sollten deshalb die Einnahmen einer Finanztransaktionssteuer europäisch vereinnahmt und den Staaten, die sie abführen, wie bei den Zolleinnahmen zur Deckung ihrer administrativen Kosten ein Selbstbehalt verbleiben.