Deutung

Linksbündig Die Historiker und die Bilder

Als sich vergangene Woche Deutschlands Historiker in Konstanz zum 46. Historikertag versammelten, um über "GeschichtsBilder" zu beraten, betraten sie überwiegend neues Terrain. Mehr als ein Jahrhundert lang, seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, war das Interesse der Profession auf die Aussagekraft von schriftlichen Quellen reduziert gewesen. Erst die alternative Geschichtsbewegung der alten Bundesrepublik hatte seit den späten siebziger Jahren vergessene Bilddokumente jeder Art neu entdeckt, sie als Anschauungsobjekte ausgestellt und die mündliche Erinnerung von "Zeitzeugen" dokumentiert, die Zugang gerade zur Erfahrungswelt der "kleinen Leute" und der Geschichte "vor Ort", des Stadtteils oder eines Hauses boten. Die Entdeckung dieser Geschichts-Bilder war eine demokratische Öffnung des Geschichtsbildes, des Zugangs vieler Menschen zur "eigenen" Geschichte. Doch Vertreter dieser Generation spielen heute in der Historikerzunft nur dann noch eine Rolle, sofern sie sich später doch den "anerkannten" Themen, Methoden und inneren Normen zugewandt hatten. Auf dem Historikertag blieb diese "neue Geschichtsbewegung" der achtziger Jahre mit ihrer innovativen Wahrnehmung der visuellen Kultur weggeblendet.

In Deutschland hatten über weite Zeitphasen geschlossene Geschichtsbilder die Vorstellungen von Zeit beherrscht, wie das des Nationalismus. Themen wurden dann zugelassen, sofern sie einen Beitrag zu deren Konstruktion darstellten, anderes als "geschichtsunwürdig" abgewertet. Aufblendungen und Ausblendungen waren die Regel. Eine herrschaftskritische Geschichtswissenschaft wurde an deutschen Universitäten dauerhaft nicht zugelassen. Wenn es stimmt, dass jede Kultur mit Erinnerung beginnt, wäre zu fragen, woran sich die deutsche Gesellschaft in der Gegenwart erinnert, welche Bilder dabei weggeblendet bleiben. Was bedeutet beispielsweise die weit gehende Reduzierung der Geschichte der DDR auf die Stasi und das mangelnde Interesse für die vielen widersprüchlichen Schichten des Alltagslebens der Menschen?. Der Historikertag vermied Fragen wie diese und arbeitete stattdessen ein Nebeneinander von unterschiedlichen Themen der Bildgeschichte ab: Kriegsbilder, Bilder die in die Planung von Städtebau und Architektur eingehen, Körperbilder und vieles andere.

Hier ist ein Dilemma unübersehbar. Einerseits beansprucht die deutsche Historikerzunft die Deutungshoheit für "die Geschichte". Andererseits wird das Geschichtsbild der breiteren Bevölkerung der Bundesrepublik in der Mediengesellschaft stark von populären Fernsehsendungen bestimmt, die im Stile der Geschichtsmanufaktur eines Guido Knopp als "yellow press" der Erinnerung Klischees reproduzieren. Sie arbeiten mit unhinterfragtem Bildmaterial, das im Status des Dokumentarischen eingeführt wird, jedoch für den Zweiten Weltkrieg häufig von Propagandakompagnien der Wehrmacht gedreht worden war, ferner mit Statements von Zeitzeugen, darunter von SS-Leuten, die unkommentiert schiefe Erinnerungsbilder anbieten. Allerdings ist die Geschichtswissenschaft selbst in dem engen Wissenschaftsverständnis von Spezialisten gefangen, die für ihre Kollegen Fachbücher schreiben und weitgehend von der Möglichkeit abgedrängt sind, im Mainstream-Fernsehen Zusammenhänge für ein breites Publikum kritisch zu kommentieren.

Welche enorme Bedeutung der quellenkritische Umgang mit Bildern andererseits bekommen kann, hat sich in der Auseinandersetzung um die erste Wehrmachtsausstellung gezeigt, als mit dem Argument der falschen Beschriftung bei einigen Fotos die Glaubwürdigkeit der Bilder von Wehrmachtsverbrechen insgesamt in Zweifel gezogen wurde und damit die Legende von der "sauberen Wehrmacht" verteidigt wurde. Die Möglichkeit der "Fälschung" von Bildern ist künftig weit stärker gegeben, da sich mit der digitalen Bildbearbeitung neue Gestaltungspotenziale anbieten. Die Notwendigkeit von Quellenkritik galt und gilt jedoch gleichermaßen für schriftliche Texte, die ebenso häufig gefälscht wurden und werden.

Man kann gerade aus der deutschen Geschichte lernen wie Ausblendungen und Überzeichnungen die bildliche Konstruktion des kollektiven Gedächtnisses begleiteten und verfälschten. Die Möglichkeit, sich an einem demokratischen Geschichtsbild zu beteiligen, bleibt an den Zugang zur publizierten Öffentlichkeit gebunden, So ist offen, inwieweit sich die Pluralität der unterschiedlichen Erfahrungen der Menschen künftig darin wiederfindet.


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