Zwischen zwei Königen: israelisch-jordanischer Grenzübergang
Foto: Jalaa Marey/AFP/Getty Images
Ungewissheit bis zum Schluss: Die israelischen Annexionspläne schlagen diplomatische Wellen, wie sie die Region lange nicht erlebt hat. Heiko Maas reiste für Gespräche eigens nach Israel und Jordanien. Im Mai hatte der jordanische König Abdullah II. im Interview mit dem Spiegel gewarnt, eine Annexion der Westbank führe zum „massiven Konflikt“ mit seinem Land. Er deutete an, womöglich das Friedensabkommen mit Israel von 1994 zu kündigen: dezent scharfe Worte eines Staatsoberhaupts, sonst bekannt für diplomatische Behutsamkeit. Das westlich orientierte Haschemitische Königreich gilt seit Jahrzehnten als Garant für Sicherheit zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn. Es bewacht die Grenze östlich des Jordan gegen feindli
egen feindliche Infiltration und hütet seit 1924 die Heiligtümer auf dem Tempelberg in Ostjerusalem. Aber jetzt steht seine regionale Autorität, ja, das politische Überleben auf dem Spiel. Eine Kündigung des Friedensabkommens könnte Jordanien schwer schaden, dessen Erhalt aber ebenso.Am 18. Juni eilte Außenminister Ayman Safadi nach Ramallah, um mit Mahmud Abbas, dem Präsidenten der Autonomiebehörde, die Lage zu diskutieren. Israel solle sich für Frieden statt Konfrontation entscheiden, ließ er mitteilen und bekundete Jordaniens Solidarität mit den Palästinensern. Amman befindet sich in einer gefährlichen Zwickmühle: Das Königreich, das die Westbank von 1948 bis 1967 annektiert hatte, bis sie durch Israel im Sechstagekrieg besetzt wurde, verzichtete 1988 auf sämtliche Ansprüche und unterschrieb 1994 das Wadi-Araba-Friedensabkommen mit Israel.Auch wenn nun Königshaus und Parlament in Amman verbal aufrüsten – was bewirkt das schon? Das Land ist von seinem Nachbarn abhängig: Israel liefert Wasser, das Jordanien dringend braucht. Es gibt ein Gasabkommen zwischen beiden Staaten. Die USA, Israels engster Verbündeter, stabilisieren Jordanien mit Auslandshilfe. Weit über die Hälfte aller Jordanier sind Palästinenser, die letzte Zählung ging von 70 Prozent aus. Durch eine Annexion des Jordantals könnten es noch mehr werden, weil dann auf einem Drittel des Westbank-Territoriums schlagartig etwa 50.000 Palästinenser zu Illegalen werden könnten. Weder die Autonomiebehörde noch Israel wären juristisch für sie zuständig. Israelische Hardliner behaupten seit langem, Palästina existiere doch bereits: in Jordanien. Es liegt also im Interesse Ammans, die palästinensischen Bestrebungen nach einem Staat zu fördern, um Transjordanien unter haschemitischer Herrschaft zu bewahren.Der Analytiker Amer Al Sabaileh wünscht sich daher eine klarere Außenpolitik seines Landes: „Trumps Administration hat die misslichen Entwicklungen diktiert. Jordanien sollte sich jetzt entschieden als regionaler Vermittler positionieren. Wir müssen unsere politischen Strategien überarbeiten, um eine konstruktive Rolle zu spielen, und hervorheben, welche stabilisierenden Vorteile Jordanien seinen Nachbarn, nicht zuletzt Israel, durch Kooperation bietet.“Das Annexionsszenario treibt auch Samar Muhareb um. In Amman arbeitete die Direktorin der Nichtregierungsorganisation Arabische Renaissance für Demokratie und Entwicklung (ARDD) mit ihrem globalen Expertennetzwerk auf Hochtouren, um rechtzeitig ein Positionspapier auf den Weg zu bringen. In einem Dokument vom 29. Juni warnen die Experten vor dem Kollaps regionaler Friedensvereinbarungen, vor dem Ende der Zweistaatenlösung, vor Gefahren für Israelis und Palästinenser gleichermaßen, vor einem Bruch internationalen Rechts. „Das hätte auch Folgen für die innere Sicherheit der EU-Staaten“, sagt Muhareb. Sollte Israel 30 Prozent der Westbank annektieren, wie es der „Jahrhundertdeal“ der US-Regierung vorsieht, sei das tatsächlich der schwerste Verstoß gegen internationales Recht seit dem Zweiten Weltkrieg – man habe es mit einem Präzedenzfall zu tun.Gantz laviertDie Rechtsanwältin mit palästinensischen Wurzeln kämpft in ihrer Region für Fortschritt und sieht ihre Erfolge jetzt gefährdet. Mit dem Arabischen Frühling gründete sie 2008 in Amman die ARDD. Zunächst bot sie Geflüchteten aus dem Irak Rechtsberatung an, erkannte jedoch bald, dass die Belange marginalisierter Menschen ein breiteres Engagement erfordern, um soziale Gerechtigkeit und politische Partizipation zu erreichen.Mutiges Engagement wie dieses braucht das kleine Königreich östlich des Jordan auch aus einem anderen Grund: Es trägt eine der Hauptlasten des Syrienkrieges. Nahezu eine Million Syrer sind in Jordanien und erhöhen den Druck auf die soziale Infrastruktur. Viele Syrer sind in den Arbeitsmarkt integriert, einige arbeiten im fruchtbaren Jordantal in der Landwirtschaft. Die EU honoriert dieses Engagement mit zusätzlichen Finanzspritzen – neben den USA zählt Deutschland zu den größten Förderern. In Jordanien leben seit den Kriegen von 1948 und 1967 darüber hinaus in zehn offiziellen Flüchtlingslagern der UNO über zwei Millionen Palästinenser, von denen die Mehrheit gesellschaftlich integriert ist. „Wir haben hier Geflüchtete aus 56 Nationen, das erzeugt viel Spannung“, sagt Muhareb. Weitere Irritationen, fürchtet sie, könnten unkontrollierbare Unruhen in der gesamten Region, vor allem aber in Jordanien provozieren.Gerade hat man die Corona-Pandemie unter Kontrolle gebracht, mit bislang unabsehbaren ökonomischen Folgen, schon zeichnet sich mit Israels Annexionsabsichten die nächste Bedrohung ab: „Die meisten Jordanier empfinden das als Kriegserklärung. Selbst ein symbolischer Akt der israelischen Regierung wäre für sie erniedrigend – wozu das alles, wo es doch friedliche Lösungen für den Palästina-Konflikt gibt?“ Die Menschenrechtlerin denkt vor allem an die Zukunft palästinensischer Jugendlicher.Während allenthalben Aufregung herrscht, schweigt Israels wortgewaltiger Premier Netanjahu sich zum 1. Juli plötzlich aus – und gewinnt in Umfragen an Zustimmung. Sein Koalitionär Benny Gantz von Blau-Weiß sendet derweil widersprüchliche Botschaften an die Autonomiebehörde: mal drohend, mal appellierend. Sie sollte endlich wieder verhandeln, um das Schlimmste zu verhindern. Gantz bedient das bekannte Narrativ, die Palästinenser verpassten keine Gelegenheit, eine Gelegenheit zu verpassen. Will er vorsorglich klären, wer die Schuld an einer Annexion trägt? Oder wappnet er sich für den Fall, dass es sich Netanjahu einstweilen anders überlegt, um dann ihn und die radikalen Siedler für eine historisch verpasste Chance verantwortlich zu machen?Wie und wann auch immer die israelische Regierung handelt: „Trumps Jahrhundertdeal ist ihre Roadmap. Selbst wenn sie das Jordantal jetzt noch nicht annektieren, bleibt das Teil ihres größeren Plans“, sagt der politische Experte Jalal Al Husseini in Amman. Lex Takkenberg, pensionierter Mitarbeiter des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge, Mitautor des ARDD-Positionspapiers, meint: „Ironischerweise haben ausgerechnet die Annexionspläne den Diskurs über einen gemeinsamen Staat für Palästinenser und Israelis wieder angeheizt.“ In der EU dürfte sich indes Ernüchterung breitmachen: Zu lange hat man an die Zweistaatenlösung geglaubt und die zuwiderlaufenden Tendenzen und Tatsachen vor Ort nicht ernst genommen.Placeholder authorbio-1
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