Am Anfang des Jahres wurde verlautbart, dass die Lebensmittelbranche die Nachfrage nach Bioprodukten nicht mehr befriedigen könne. Der Trend, wissen zu wollen, woher unsere Nahrung stammt, scheint trotz wirtschaftlicher Krise und Billigangeboten bei Aldi und Co. ungebrochen. Allerdings ist die Entwicklung zum bewussten, herkunftsorientierten Essen keineswegs neu: Die Ernährung blieb trotz der fast kompletten Revolutionierung der Produktionsketten als einer der letzten Aspekte des modernen Lebens immer ein besonders sensibler Bereich. Die Natürlichkeit und Reinheit der Lebensmittel bleibt zumindest in den Köpfen der Konsumenten das Ideal, wie es sich am besten in der Werbung ablesen lässt: Keine Branche beschwört weiterhin so ausdauernd das Bild der unentfremde
mdeten, individuellen Produktion, kein Werbeblock, in dem nicht eine Bäuerin meditativ im Milchtopf rührt.Eine Meditation der ganz anderen Art bietet die Dokumentation Unser täglich Brot des österreichischen Regisseurs Nikolaus Geyrhalter. In einer Collage von Filmsequenzen verschafft er dem Zuschauer tiefe Einblicke in die Realität der industriellen Nahrungsproduktion, welche so überhaupt nichts mit den erwähnten Werbebildern zu tun haben scheinen: Kühe und Schweine durchlaufen in Kolonnen ein Fabriksystem der technisch perfekten Tötung, Pflanzenstauden stehen nur zum Ernten bereit in Reih und Glied. Zur völligen Funktionalität degradiert wird die Natur ihrer Natürlichkeit beraubt.Trotz der Brutalität der Massenproduktion, zeigt Geyrhalter mit seinen langen, ruhigen Einstellungen, die auf jegliche musikalische Untermalung verzichten, kein Massaker: Manche Produktionsstätten erzeugen in ihrer Stille, die allenfalls das sonore Summen eines Generators unterbricht, eine fast meditative Atmosphäre. Trotz des rasenden Taktes der Vernutzung lässt der Film dem Zuschauer auf diese Weise Zeit, Atem zu holen. Viele Produktionstrakte gemahnen dabei in ihrer Hyperproduktivität und Sterilität schon fast an futuristische Visionen: Der Großteil der Anlagen funktioniert vollautomatisiert - in einer sehr behutsamen Einstellung tuckert gemächlich ein Tomatentransporter ohne Fahrer durch die Staudengräben in der Gewächshauskathedrale. Eben dieser Aspekt weist zugleich auf die Ambivalenz dieses wahr gewordenen Science Fiction-Szenarios hin: Ist es nicht genau diese anonymisierte Verarbeitung, die Tiere zu bloßen Rohstoffen macht, die aufgrund ihrer Effizienz aber auch die Möglichkeit der Bändigung des Welthungers verspricht? Und zwar nicht in Form einer Schale Reis pro Tag, wie es die bescheiden Plakate von Brot für die Welt suggerieren, sondern als reichhaltige Auswahl für jeden?Geyrhalter verzichtet in seinem Film auf tendenziöse Deutungen. Unser täglich Brot argumentiert mittels einer eigentümlichen Ästhetik der Brechungen. So fällt immer wieder die auf diesem Produktionsniveau erfolgende Verschränktheit von Industrie und Natur ins Auge. Einer Natur zumal, die nur existiert, weil die Industrie sie geschaffen hat, was die ebenfalls mit hochtechnologischer Präzision betriebene künstliche Befruchtung und Erschaffung ganzer Tierparks beweist. Oftmals kommunizieren verschiedene Kameraeinstellungen von Maschine und Natur miteinander: Die aus der Luft aus aufgenommenen, nachts erleuchteten Gewächshauskomplexe strahlen ähnlich golden wie die üppigen Sonnenblumenfelder. Wenn die Kamera ihren Blick aus den alleengleichen Pflanzenschluchten in die Weite schweifen lässt, erkennt man erst beim zweiten Hinschauen, dass der gesamte Himmel von Zeltplanen verhangen ist.Es ist genau diese Schwerpunktsetzung auf die Bildkomposition, die Unser täglich Brot von den in letzter Zeit öfter in die Kinos gelangten Nahrungsdokumentationen wie Darwins Albtraum oder We feed the world unterscheidet. Hinzu kommt, dass Geyrhalters Film scheinbar neutral und sachlich Produktionsabläufe zeigt, deren Beurteilung, sei es nach ökologischen, humanistischen oder tierschutz-relevanten Kriterien, jedermann selbst überlassen bleibt. Besonders wichtig dafür ist das Ausbleiben jeglichen Kommentars, auch denunzierende Interviews gibt es nicht. Die Arbeiter, die das blutige Handwerk vollziehen, sind im wahrsten Sinne des Wortes Schlächter, doch in ihrer Inszenierung beim arglosen Stullenmampfen in der Pause oder beim Plausch übers Angeln taugen sie nicht für die Rolle der skrupellosen Mörder. So erschrickt man eher mitleidig über die Stufe der Entfremdung, die sich in ihren leeren Augen ablesen lässt, wenn sie mit der maschinengestützten Zange den Schweinen die Klauen abknipsen. Es ist keineswegs entschieden, ob man sich eher mit den Menschen in diesem unseligen Arbeitsprozess oder mit den Tieren identifiziert, zumal das dokumentierte Abpflücken von Tomaten durch Arbeiter mit freiem Oberkörper in davor mit Pestiziden eingedampften Gewächshäusern keinen besonders gesundheitsförderlichen Eindruck macht.Doch auch die Kritik der Anonymisierung und Formalisierung des Arbeitsprozesses wird nicht grobschlächtig mit dem Holzhammer verfolgt. Wie als schaurige Parodie dokumentiert die einzige Szene, die an das gute alte individuelle Handwerk erinnert, das minutiöse Schleifen eines Messers. Eben dieses wird dann aber zum widerwärtigen Zersicheln von Schweineinnereien genutzt wird, was die oftmals idealisierte Tätigkeit der scheinbar so gewissenhaften Handarbeit ins rechte Licht rückt: Getötet musste das Tier vor dem Verzehr immer schon werden. So moralisch bequem es auch sein mag, fast wünscht man sich, dass diese grausame Tätigkeit in Bälde auch vollautomatisch zu vollziehen sei.Der Dokumentarfilm Nikolaus Geyrhalters, der sich durch die Vermeidung wohlfeiler Moral auszeichnet, ohne dabei dumpf und zynisch zu werden, verfällt ganz am Ende des Films doch noch den Lockungen der Belehrung. Die letzte Einstellung zeigt die Reinigung des Schlachthofs mit Druckstrahlern, welche die Blutlachen vor sich herjagen. Nach dieser großen Reinwaschung wird die Nahrungsfabrik am nächsten Tage genau so blitzblank sein, wie das säuberlich denaturierte Steak auf dem Teller des Käufers.