Dich, hochwertiges Getier, verdamme ich

Kunstfluchen In Deutschand gibt es ja die Deine-Mutter-ist-eine Flüche. Aber das ist harmlos im Vergleich zu Rumänien. Dort ist Fluchen eine Volkskunst

"Zu viel pisda moti, Majestät“, soll, nach Marin Preda, die Antwort eines deutschen Beraters auf die Frage des Königs ausgefallen sein, wie jener denn nun die rumänischen Landen gefunden hätte. Die Aussage bezieht sich auf der Rumänen liebstes Schimpfwort: das Zurückkatapultieren des Gegners in den sehr vulgär bezeichneten Mutterschoß. Ein hässliches Schimpfwort, vor dem die von Peter Kümmel neulich in der Zeit ins Visier genommenen „Deine Mutter“-Witze ob ihrer Harmlosigkeit verblassen. Und dennoch: ein allgegenwärtiges Wort, was bei einem Volk, dem, laut Emil Cioran, das Fluchen wichtiger als Psychoanalyse und Religion ist, nicht verwundern kann. Cioran wusste, wovon er sprach, verfiel er doch selbst bei seinen häufigen Wutausbrüchen stets in rumänische Fluchkaskaden, obwohl er sich sonst nur noch des Französischen bediente. Nun kennt die rumänische Sprache eine Vielfalt von Schimpfwörtern, die unbegrenzt variiert werden können. Da sind der Teufel und das ständig evozierte männliche Glied. Vor allem aber ist da die Mutter.

Die Mutter und ihr Schoß, ihre Götter, ihre Kirche, ihr Christus und ihre Toten, die, in magischen Verwünschungsformeln eingebaut, penetriert werden. Manchmal entfalten sich diese in der Regel kurzen Flüche zu höchst originellen Konstruktionen. Als Paradebeispiel darf man den Defäkationswunsch mit (man staune!) gebratenen Gliedteilen auf dem Grab der Mutter anbringen. Beteiligte werden solche Flüche aber kaum gelassen hinnehmen.

Des Käfers Schritt

Der Beschimpfte kann sich, aller Vernunft zum Trotz, einer gewissen inneren Verwundung nicht entziehen, während sie auf den Schimpfenden unleugbar kathartisch wirken. Kein Wunder, es entspricht einem immer noch tiefverwurzelten magischen Grundgefühl, das sich in der Profanierung des Heiligsten entlädt. Ihr Pendant sind die Angst vor dem „bösen Blick“, die Kreuze, die als Amulette an dem Rückspiegel der Autos hängen, oder Sympathie ausdrückende Redewendungen wie „Ich würde dich aufessen“.

Da Flüche aus dem Alltagsleben der Rumänen also nicht wegzudenken sind, begegnet man ihnen freilich auch in der Volksdichtung. Eines der schönsten rumänischen Volkslieder, durch Maria Tanase berühmt geworden, ist eine Verfluchung des verratenden Geliebten: „Wer liebt und verlässt,/den soll Gott strafen,/mit der Schlange kriechen/ und des Käfers Schritt.“

Kein Wunder, also, dass das Fluchen auch in der hohen Literatur Platz gefunden hat. So heißt eines der bekanntesten Gedichte des Bukarester Schriftstellers Tudor Arghezi schlicht Flüche: „Dich, mit Schmiere bestrichene Leiche/verdamme ich, stehend schon zu verfaulen/.../stinken soll dir der Kuss, dein Seufzer,/das Grab mit abgestandenem Schlamm.“ George Toparceanu hat Arghezi mit einer seiner nicht minder berühmten Originalparodien geantwortet: „Dich, hochwertiges Getier,/verdamme ich, stehend schon einzuschlafen/und wirst du noch versuchen, einen Fluch zu ­schreiben,/soll eine Maus dir in der Hand gebären.“ Wurden vor der Wende vulgäre Ausdrücke nicht gedruckt, so bedienen sich zeitgenössische Romanciers wie Stelian Tanase in seinem ­Maestro der krudesten Alltagssprache. Das wirkt befreiend. Ob das kunstvolle Fluchen aber wirklich der letzte Ausweg aus der zerschundenen rumänischen Gesellschaft ist, bleibt offen.

Ioana Orleanu kommentierte im Freitag zuletzt den Fall Oskar Pastior

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