Dichter und Fürst

Literatur Sigrid Damm beschreibt die Höhen und Tiefen der Freundschaft von Goethe und Carl August
Ausgabe 02/2021
Fürst und Freund: frostige Verhältnisse unter Dichtern
Fürst und Freund: frostige Verhältnisse unter Dichtern

Foto: Christof Stache/AFP/Getty Images

Sie ist die erfolgreichste Biografin der großen Dichter der Goethezeit. Voran ihre Bücher über Goethe selbst und seine Nächsten. Begonnen hat die promovierte Literaturwissenschaftlerin Sigrid Damm noch in der DDR-Zeit mit einer Recherche über Goethes Schwester Cornelia, danach schrieb sie – ihr größter Erfolg – über Goethe und seine Frau Christiane. Jetzt, mehr als 30 Jahre später, rundet sie zu ihrem 80. Geburtstag das Goethe-Bild mit einer Darstellung der Beziehung von Goethe und Carl August ab. Carl August war Regent des kleinen Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach. Er hatte als 17-Jähriger auf seiner Erziehungsreise Station in Frankfurt gemacht, Goethe besucht und ihn nach Weimar eingeladen. Daraus wurde – heißt es in der Regel – eine lebenslange Freundschaft. Sigrid Damms Buch weiß wesentlich mehr über diese Männerbeziehung zu erzählen und nennt sie im Untertitel Wechselfälle einer Freundschaft.

Damm beginnt ihr Buch mit Carl Augusts Tod am 14. Juni 1828. Er hatte in Berlin seinen ersten Urenkel begrüßt. Carl August besaß verwandtschaftliche Beziehungen in höchste Kreise. Seine Enkelin Marie war mit dem preußischen Prinzen Karl verheiratet, Lieblingsenkelin Augusta wird an der Seite von Wilhelm I. spätere deutsche Kaiserin. Infolge des anstrengenden Besuchsprogramms und seiner angeschlagenen Konstitution stirbt der 71-Jährige auf der Rückreise. Goethe kommentiert in seinem Tagebuch lapidar: „Die Nachricht vom Tode des Herzogs störte das Fest.“ Danach kommt, was bei Goethe immer kommt: Er nimmt an der Beerdigung nicht teil. Das war bei Schiller und bei seiner Ehefrau nicht anders.

Schmeichelhaft ist Sigrid Damms Goethe-Bild nicht. Sie holt den Dichterfürsten nicht vom Sockel, weiß aber doch einiges zu erzählen, was das Licht auf ihn ein wenig abdunkelt. Dafür erhält der wirkliche Fürst neben ihm einiges Licht mehr. Carl August zeigt sich nicht als Freund Napoleons, welcher von Goethe als Genie verehrt wird. Der Fürst versucht, Politik zu gestalten. Er unternimmt einige diplomatische Bemühungen für ein Bündnis der kleinen deutschen Länder als Gegengewicht zu Preußen. Als das scheitert, sorgt er für eine neue Verfassung für sein Halb-Millionen-Ländchen, in der Pressefreiheit und die Freiheit von Wissenschaft und Lehre zugesichert werden. Carl August unterstützt die Burschenschaften bei der nationalen Einheit aller Deutschen. Das ist mutig und gehört zum Modernsten nach 1815 in Deutschland, wo Kanzler Metternich lieber alles beim Alten sähe. Goethe geht es ähnlich. Sein Konservativismus hält es lieber mit Ruhe und Ordnung. Er fürchtet, dass man in diesen Zeiten sein 50 Jahre altes Gedicht Prometheus als Revolutionsfanal missverstehen könnte. Fast zehn Jahre haben sich Goethe und Carl August wenig zu sagen. Danach führt beide die Diplomatie zur Freundschaft zurück.

Die eigene Endlichkeit

Im Schlusskapitel ihres außerordentlich gut recherchierten und bestens lesbaren Buches stellt sie die Frage, was jeder dem andern verdankt. Carl August wäre weitgehend vergessen, hätte er nicht Goethe den Raum gegeben. Und Goethe hat sich als Ratgeber eines Herzogs und dessen Minister als historische Figur sehen können, was ihn auch als Dichter immer wieder angestachelt hat. Sigrid Damm ist so genau in den Details, dass sie einen Blick in die Psyche ihrer Protagonisten wagen kann. Mit Carl Augusts Tod sieht Goethe seine eigene Endlichkeit und tritt mit Arbeit an seinem Werk – immerhin ist Faust, zweiter Teil noch nicht fertig – die Flucht nach vorn an. Sigrid Damms Goethe und Carl August ist eine außerordentliche Darstellung geworden, weil die Autorin genau das Richtige macht: Sie weist nach, dass beide eigentlich Antipoden sind. Nach dem deutlich schwächeren Buch Im Kreis treibt die Zeit (Suhrkamp 2018) über die späte Aussöhnung mit ihrem Vater, knüpft die Autorin in Goethe und Carl August wieder an ihre großen Goethe-Darstellungen an. Sigrid Damm ist eine erfahrene Biografin, die trotz langer und gründlicher Recherche weiß, wann sie schreiben muss: So könnte es gewesen sein. Das macht aus ihren Sachbüchern eine schöne Prosa.

Info

Goethe und Carl August – Wechselfälle einer Freundschaft Sigrid Damm Suhrkamp 2020, 319 S., 24 €

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