Die alte Volksbühne lugt hervor

Theater Zum Auftakt bedient sich René Pollesch am Zirkus. Der neue Intendant findet, dass diese halb im Verwegenen turnende Welt ein guter Anfang sein kann

Unterm wallenden orangefarbenen Vorhang, der mit Seilen aus dem Bühnenhimmel immer mal wieder in die Form eines Zirkuszeltdachs gezogen wird, soll ein weißes Kaninchen auf den schwarzen Bühnenboden gezaubert werden. Man sieht, der Vorhang ist da ein Tick zu schnell schon wieder oben, wie ein Bühnenarbeiter das besonders langohrige Tier aus einer Luke hievt. Ein verstolperter Zaubertrick. Gleich zu Beginn erläutert die hinreißende Kathrin Angerer ihrem Gegenüber Martin Wuttke ein Schießkunststück: „Wir sind hier im Zirkus, Sie müssen schon daneben schießen, sonst ist es keine Kunst.“ Volltreffer.

Vor der Volksbühne steht ein echtes Zirkuszelt, das wie fast alles an diesem Eröffnungsabend schwer mit Tradition behängt ist. Denn in einem solchen gründete vor dreiundzwanzig Jahren, in Zeiten eines anderen Wahlkampfs, Christoph Schlingensief seine Partei „Chance 2000“. Jetzt ist das Zelt vor allem Spielstätte des Jugendtheaters P 14 und Bühne für kleinere Diskursabende. Zur Eröffnung kann man sich darin Bert Neumanns legendäres Räuberrad, als Zeichen der Pollesch-Intendanz zu einer Art bunten Lego-Figur gerastert, auf ein T-Shirt bügeln lassen. Das hat was von Jahrmarkt. Zwei Zirkuswagen stehen auch gleich daneben und erinnern an die Rollende Road Show, mit der die Castorf-Volksbühne in theaterferne Randbezirke Berlins und bis ins Ruhrgebiet zog.

So lugt hinter dem ganzen Drumherum immer die alte Volksbühne hervor, und man weiß nicht recht, ob das jetzt ein beseelter Umgang mit ihrem kaum zu erfüllenden Vermächtnis ist (insbesondere als Hommage á Bert Neumann) oder eine Geste, die allzu hohen Erwartungen mit Utensilien des alten Dorfzirkus zu unterlaufen. Denn fünf Jahre nach dem politisch vorsätzlichen Abbruch der Castorf-Ära und den nachfolgend aus unterschiedlichen Gründen gescheiterten Intendanzen, waren die Ansprüche von Politik, Medien und Kulturwelt an die nächste Intendanz ins Unermessliche gewachsen: Bitte mal das Theater neu erfinden, aber dabei auch die 2500 Jahre seiner Geschichte berücksichtigen. Und die spezielle Tradition der Volksbühne als Zukunft noch dazu. Irgendwie so.

Was ist ein Anfang?

René Pollesch, der aus einer Art Luxus-Exil im Deutschen Theater zurückkehrt, wo er vor allem sehr lustige Komödien über das Theatermachen selbst inszenierte, findet stattdessen, dass der Zirkus und seine so halb im Verwegenen turnende Welt ein guter Anfang sein kann. Freilich nicht als Schauwert von Trapezartistik, Clownsnummer und Pferdedressur, sondern als Trampolin für Polleschs Gedankensprünge, die häufig auch als Kommentar der eigenen Position zu hören sind. „Mein Neid auf neue Kunstformen hält sich eher in Grenzen“, räsoniert Martin Wuttke, der über weite Strecken der Inszenierung ein bewegliches Skelett auf dem Rücken trägt – was tatsächlich den Schauwert einer Zirkusattraktion hat. Wuttke und Angerer werden umspielt von Margarita Breitkreiz (mit ihrem charmanten russischen Akzent) und Susanne Bredehöft (die einst zum wilden Tross in Schlingensiefs Filmen gehörte). Das riesige Zirkuszelttuch für Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen hat Bert Neumanns Sohn Leonard Neumann für die Bühne entworfen und in Bewegung gebracht. Es dient auch als Leinwand für Großaufnahmen der Kamera von Jens Crull, der zu den Veteranen dieser Sparte an der Volksbühne gehört.

„Was ist ein Anfang? Der absolute Anfang, der große Sprung, damit kann man ja nicht unbedingt was anfangen. Der absolute Anfang wäre einem ja völlig unbekannt.“ Selten hat René Pollesch ein Thema, eine Situation so direkt adressiert. Und ganz ironisch ist das wohl auch nicht gemeint. Zuletzt war im Freitag von der Vision Herbert Fritschs zu lesen, dass der Theatergott, der irgendwo in den Eingeweiden der Volksbühne haust und den ganz sicher noch niemand je gesehen hat, gekitzelt werden müsse. Nun ja, sie haben ihn immerhin angerufen und unterhalten mit dem Angebot einer VOLKsbühne. Das ist ja auch ein Anfang.

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