Die Altlinken sind die Spießer

Versteinerte Fernsehlandschaft Lars-Ole Walburg inszeniert Lukas Bärfuss´ neues Stück über die Folgen der Gentechnologie, "Die Probe", an den Münchner Kammerspielen

Vater, Mutter, Sohn, lächelnd - in den Münchner Kammerspielen hängt das Bild der glücklichen Familie Korach wie ein Motto über der Spielfläche. Am Ende dreht sich noch das Universum aus braunen Ledersofas, Kühlschrank und Herd. Das Bild aber ist verschwunden, die Familie Korach auch. Alles nur wegen eines Fetzens Papier: dem Vaterschaftstest.

Früher war das der Stoff, aus dem Tragödien gemacht sind. Heute muss das Soap- und Talkshowformat reichen, wenn Lukas Bärfuss, Dramatiker des Jahres 2005 und einer der meistgespielten deutschsprachigen Gegenwarts-Bühnenautoren, sein neuestes Stück vorstellt. Bislang packte er heiße Eisen an, ohne leichte Lösungen zu bieten und trug dazu bei, die Bühne wieder zum Verhandlungsort gesellschaftlich relevanter Themen zu machen. In Die sexuellen Neurosen unserer Eltern waren es Behindertensexualität und Zwangspsychiatrie, in Der Bus geht es um die Frage nach der Religiosität, in Alices Reise in die Schweiz um aktive Sterbehilfe.

Bärfuss´ jüngster Streich nennt sich Die Probe (Der brave Simon Korach) und bringt die Folgen der Gentechnologie aufs Tapet. "Welche Macht heute in einer gebrauchten Zahnbürste liegt, einem Kaugummi, einem ausgerissenen Haar," sinniert Peter (Oliver Mallison), der durch einen heimlichen Vaterschaftstest erfahren muss, dass sein Kind nicht von ihm ist. Mit seiner Frau Agnes (Katharina Lorenz) lebt er die heile Welt der Kleinfamilie, während seine Alt-68er-Eltern eine offene Ehe führen und entweder politisch engagiert sind oder auf dem Selbstfindungstrip. Natürlich sind die Altlinken die größeren Spießer, und so lässt sich Hans Kremers Simon selbstherrlich die Füße waschen, während Gundi Ellerts überdrehte Helle im trotzigen Ton für alle Probleme das schlechte Essen verantwortlich macht und nebenbei eine Zierfalte ins Lederkissen schlägt.

Diese Figurenzuspitzungen gestalten Regisseur Lars-Ole Walburg und seine Kostümbildnerin Kathrin Krumbein mit Plastikperücken und viel Make Up zu Playmobilzombies, die ihre Befindlichkeiten wie Sprechblasen frontal zum Publikum absondern. Das passt zum Verhandlungstext, der wenig Spiel-Raum bietet, stattdessen Talkshowperspektiven wiedergibt. Weichgespülte Walzer (Tomek Kolczynski) sorgen zudem dafür, dass man nie vergisst: Alles halb so schlimm.

Nach einer guten Stunde ist Peter tot, und während sich die Rest-Familie zerfleischt, wandelt er mit Trauerschärpe über die Bühne, betrachtet das Chaos mit maliziösem Lächeln und nährt Simons Zweifel an der eigenen Vaterschaft. Der Weg Richtung Abgrund ist mit kleinen bösen Pointen am Rande gewürzt. Nur einmal scheint so etwas wie eine Lösung auf: Gegen Ende sitzt Katharina Lorenz wie eine zusammengebrochene Aufziehpuppe auf dem Boden und prangert die selbstgerechte Wahrheitsliebe der Schwiegereltern an, fordert Unwissenheit statt unverdaubarer Gewissheit, soziale statt biologischer Familie. Hier bekommt das Stück etwas von der Dringlichkeit anderer Bärfuss-Werke.

Außerhalb der familiären Konstellation steht die interessanteste Figur: Franzeck, der Ex-Alki, den Simon einst von der Straße auflas und zum Faktotum aufbaute. Als gelehriger Schüler seines Ziehvaters ist er der bessere Sohn, eine Art Wechselbalg, der sich den Korachs mehr und mehr unterzuschieben versucht. Einerseits bittet er Simon um seine Adoption und zerstört andererseits zur Beschleunigung dessen Familie, indem er Peter Zweifel an dessen Vaterschaft einpflanzt. Nach dessen Tod umwirbt er Agnes nicht aus Liebe: "Mir geht es bloß um die Familie. Herrgott, ein Mann braucht doch eine Familie." Stefan Merki spielt diesen Franzeck als gefallenen Engel, als ewig gedemütigten Jago. Ihm gelingen einige der schönsten Szenen: Wenn er anfangs neben der großen Katharina Lorenz steht und diese ihn wie einen kleinen Jungen um die Schulter fasst, er etwas später dann auf eine Wanne steigt, um größer zu sein als sie und sie nun triumphierend im Arm hält, ist das ebenso komisch wie traurig.

Momente wie diese bleiben selten. Mit seinen Kens und Barbies in einer versteinerten Fernsehlandschaft folgt Walburg Bärfuss´ Text in die Verflachung, anstatt ihm starke, frische Bilder entgegenzusetzen. Seine piefige Korach-Welt dreht sich immer schneller und gerät zunehmend in Schräglage. Doch obwohl die Bühne (Robert Schweer) zum Schluss kräftig rotiert, kommt das Geschehen auf ihr selten in Fahrt.


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