Die Amerikaner mögen siegen und noch einmal siegen
Kriegserklärung an die Weltgemeinschaft Millionen, die gegen einen Irak-Krieg auf die Straße gingen, wussten, dass sie kurzfristig verlieren konnten, doch ihre Vision lässt sich nicht mehr ersticken
Einen Tag nach der denkwürdigen Sitzung des Weltsicherheitsrates in New York, auf der die versammelten UN-Botschafter mit einem ganz unüblichen Beifall die Friedensrede des französischen Außenministers de Villepin gefeiert hatten, waren wir Zeuge eines denkwürdigen Ereignisses - am 15. Februar formierte sich eine neue große Weltgemeinschaft des Friedens. Zunächst wusste man von den Millionen Demonstranten nur, dass sie gegen den Irak-Krieg mit ihren Füßen abstimmen wollten - und dies, obwohl ihnen die mächtigsten Medienkonzerne seit Monaten einredeten, der geplante Angriffskrieg diene einzig der präventiven Verteidigung gegen das waffenstarrende Monster im Irak. Aber warum blieben die Menschen immun gegen den exorzistischen Kriegswille
llen der Bush-Regierung? Sicherlich nicht aus Sympathie für Saddam Hussein.Sie ahnten, was in dieser Woche zur furchtbaren Gewissheit wurde - Hunderttausende von Menschen sollten zur Eroberung des irakischen Öls geopfert werden. Ihnen war auch nicht die neue amerikanische Debatte entgangen, in der von einer Verwestlichung des gesamten mittelöstlich-islamischen Raumes über einen Brückenkopf Irak die Rede war - gedacht als Komplettierung der Herrschaft Amerikas und der transnationalen Konzerne über die arabische Region bei gleichzeitiger Entmachtung der islamischen Kultur.Was Millionen dagegen aufstehen ließ, war keine Ideologie, sondern ein Gespür dafür, dass die auf eine Weiterentwicklung von Menschlichkeit gegründete Zivilisierung in elementarer Gefahr ist - dass ein Krieg den Absturz in eine verheerende Entzivilisierung bedeutet. Den Millionen auf den Friedensmärschen war bewusst, dass sie der Wild-West-Philosophie der Kriegsmacher menschlich überlegen waren. Das gab ihnen ein erstaunliches Gefühl von Selbstachtung und Selbstsicherheit. Es war, als wüssten alle, dass sie eine enorme moralische Macht darstellten. Sie hielten unbeirrbar an der UN-Charta, an den Völker- und Menschenrechten fest, auf die sich die internationale Gemeinschaft nach dem Inferno des Hitler-Krieges verständigt hatte, als aus den inneren Verwüstungen durch die Kriegsbarbareien das Bewusstsein von der Ebenbürtigkeit und Gleichberechtigung der Menschen, der Völker und Kulturen erwacht war.In einem öffentlichen Appell der Internationalen Ärzte für Frieden und soziale Verantwortung hatte ich die aktuelle geistige Situation zusammengefasst: »Die Welt steht vor der Wahl, entweder einen brutalen imperialen Eroberungskrieg nach Vorbildern des Kolonialzeitalters zu unterstützen, oder an der notwendigen Demokratisierung der internationalen Gemeinschaft weiterzuarbeiten und für das Ziel einer Kultur der Menschlichkeit und des Friedens zu kämpfen.« Wie die vergangenen Tage zeigen, gilt diese Alternative mehr denn je.Wer auf die Straße ging, wusste auch, dass er kurzfristig verlieren konnte, sollten sich Bush und Blair trotz der Stürme des Widerstandes, die sie entfacht hatten, zum Durchspielen ihres High-Noon-Stückes entschließen. Aber die erwachte Gegenvision von einer menschlicheren, sozialeren und gerechteren Welt wird sich nicht mehr ersticken lassen - der worst case bestätigt ihre Notwendigkeit. Sie hat sich in dem Maße verstärkt, in dem die Verdummungskampagne der Kriegspropaganda ihre Verlogenheit bloßgelegt hat.Es ist ganz offensichtlich, dass sich die Bush, Powell und Rumsfeld verrechnet hatten, als sie vor Monaten noch glaubten, sie könnten sich den Sicherheitsrat nach Belieben gefügig machen und mit den Waffeninspekteuren eine Art Marionetten-Theater aufführen. Daran gewöhnt, die Widerstände in der UNO durch erprobte Macht- und Erpressungsmittel ersticken zu können, gerieten sie zunehmend in Verlegenheit und verschlimmerten ihre Lage noch durch die mehrfache Drohung, die Vereinten Nationen bei Unfolgsamkeit einfach zu missachten.Niemand kann die Bush-Regierung hindern, nach John Wayne-Muster erklärte Weltschurken aus dem Felde zu schlagen. Aber was sie seit Anfang des Jahres im Sicherheitsrat erlebte - was als neue kritische Weltbewegung zusammenwachsen könnte -, dürfte ihr dennoch gefährlich werden. Jetzt erst recht. Bisher vermochten die Amerikaner ihre Größen- und Allmachtsträume noch immer mit einem religiösen Berufungsglauben zu versöhnen. Sie glaubten und glauben sich zum Teil noch immer ausersehen, das Urböse in Gestalt der Noriegas, Ghaddafis, Milos?evic´s, bin Ladens und nunmehr Saddam Husseins auszutilgen. General Thomas Farrel, Augenzeuge des Hiroshima-Infernos, berichtete Präsident Truman 1945 von der Entfesselung der Kräfte des Allmächtigen durch Menschenhand. Das Bombenflugzeug war vor dem Start christlich eingesegnet worden - nach Günther Anders »wohl der erschreckendste Missbrauch, der in der christlichen Ära je geschehen, ohne dass die Gläubigen ihrem Christentum in dieser Situation zu Hilfe gesprungen wären«.Bis heute funktioniert diese amerikanische Schuld- und Mitleidsverdrängung im Bewusstsein des nationalen Auserwähltseins. Die lange geplante Hiroshima-Erinnerungsausstellung zum 50. Jahrestag des Bombenabwurfs ließ man einfach verbieten. Es soll eine heroische Erfolgsgeschichte bleiben. Dahinter steckt die Kraft einer phantastischen Egomanie, der Wahn einer nationalen Selbstvergöttlichung, aber immer verbunden mit der Besessenheit, sich die größenwahnsinnige Selbstidealisierung durch ewige Reproduktion des High-Noon-Szenarios bestätigen zu müssen. In unendlicher Wiederholung muss man wie der heilige Georg in dem anderthalb Jahrtausende alten Mythos den Drachen töten. Man braucht zum Niederkämpfen ewiger ödipaler Unsicherheit ständig den Sieg über die Herren der Finsternis als Selbstbeweis. Der Läuterungsheld benötigt den weltbedrohenden Feind für die heroische Heilsgeschichte, keinesfalls einen kastrierten Saddam Hussein ohne atomare, chemische oder biologische Weltbedrohung. Bin Laden und Saddam müssen, so wenig der Terror des einen mit der Tyrannei des anderen etwas gemeinsam hatten, zu einer einzigen gigantischen Teufelsgestalt verschmelzen, um das ödipale Duell zum heroischen Läuterungsdrama verklären zu können.Der 11. September 2001 hatte Bush kurzfristig sogar ermutigt, zu einem Kreuzzug aufzurufen. Er blieb auch nach Verzicht auf diese Benennung bei seinem fundamentalistischen Ansturm gegen die Mächte des Bösen. In seiner Nashville-Rede beschwor er alle christlichen Tugenden, darunter das Mitgefühl, aber ausdrücklich auf das eigene Land gewendet, nicht etwa umfassend im Sinne des universalistischen Religionstyps. Wenn Nelson Mandela diesem Präsidenten Beschränktheit ankreidet, so meint er wohl gerade die Einengung des moralischen Horizonts. Nun jedoch stößt diese nationale amerikanische Selbstheiligung auf eine Bewegung, in der gerade die Überwindung des manichäistischen Denkens zu den zentralen Antrieben zählt. Sie spürt Mitverantwortung für die Opfer im Irak. Und sie steht entschlossen für eine Weltordnung ein, in der kein religiös drapierter Machtegoismus die Menschheit in selbstgerechte Sieger und abgehängte Verlierer spaltet. Die Machtriege in Washington ist in eine unerwartete Defensive geraten, denn mit ihrem manächistisch-apokalyptischen Weltbild kann sie eine Bewegung nicht länger einschüchtern, die das tarnende Blendwerk vor einem rigorosen kolonialen Machtegoismus klar durchschaut. Washington hat die Chance verpasst, die Welle der Anteilnahme und der Solidarisierung nach dem 11. September für eine besonnene Reaktion im Rahmen der internationalen Rechtsordnung zu nutzen, anstatt sich zu einem Rachefeldzug auf dem Niveau der gleichen Brutalität wie derjenigen der Angreifer zu erniedrigen und nun sogar zu einem imperialen Eroberungskrieg anzusetzen. Die Amerikaner mögen siegen und noch einmal siegen, aber sie sind dabei, die weltweit herausgeforderten moralischen Widerstandskräfte zu unterschätzen, gegen die kein Raketenabwehrschild, keine CIA, keine Homeland Security Schutz garantieren.
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