Die anderte DDR

ZeitreiseMUSIK Ein Doppelalbum versammelt alte Lieder und neuere Texte des Sängers und Autors Reinhold Andert

Wenn ein linker, nie antikommunistischer, aber zunehmend DDR-unfreundlicher Westberliner die bei Buschfunk erschienene Doppel-CD von Reinhold Andert Alte und neue Nummern hört, dann gesteht er überraschenderweise doch so etwas wie eine leise Ostalgie ein. Was hätte aus der Deutschen Demokratischen Republik werden können, wenn Leute wie Andert dort den Ton angegeben hätten? Wenn dieser Ton, diese musikalisch und textlich artikulierte Haltung die offizielle DDR-Mentalität geworden wäre - eine Haltung treuherzigen Anstands, freundschaftlich-ironischer Distanz zu großen Worten, der Sensibilität für die kleinen Dinge des Alltäglichen und der solidarisch-humorvollen Kritik (Das Märchen von der Rohstoffkrise, Lied über Bedürnisse). Wenn die zum Teil für das "Festival des politischen Liedes" und im "Oktoberklub", zu dessen Gründern Reinhold Andert gehörte, entstandenen Lieder der siebziger Jahre die real existierende Identität der mittleren DDR-Generation auf ihren textmusikalischen Begriff gebracht hätten und nicht nur den Traum davon? Wenn ein solch warmherziger Liedersänger nicht 1979 aus der Einheitspartei ausgeschlossen worden wäre?

Ob der Wurm der Selbstzerstörung der sozialistischen Hoffnung in Gestalt einer besonders bornierten politischen Klasse schon von Anfang an oder erst im Laufe der Jahre (wenn ja, ab wann) die Fundamente und das Gewebe der DDR-Gesellschaft zerfraß, darüber wird es vielleicht eines Tages einen Historikerstreit geben. Aber auch wenn man meint, das Ende des DDR-Experiments sei bereits mit Stalingrad besiegelt gewesen (Heiner Müller), so haben doch viele bis zuletzt und gegen alle schlechte Empirie an die Möglichkeit einer trotz allem zu verwirklichenden sozialistischen Gesellschaft geglaubt. Ohne dass sie dazu durch Privilegien korrumpiert worden wären. Davon singen diese Lieder - Lied vom Vaterland, Im Treptower Park - und wegen ihrer ehrenwerten Illusion darf sich ein kritischer Hörer von heute zur klammheimlichen Ostalgie bekennen. Aber die Wahrheit ist auch, dass die real existierenden Sozialismusverwalter nicht einmal diese ironisch-poetischen Liebes- und Solidaritätserklärungen ertragen konnten. Und darum, möchte man meinen, ging dieser Staat zurecht unter. Er hatte Bürger wie den Liedermacher Reinhold Andert nicht verdient.

Der zweite Teil des Doppelalbums dokumentiert einen Liederabend in Weimar 1993, der von einer fulminanten Rede zum 45.Jahrestag der DDR eingeleitet wird, in der Andert die wunderbare Geschichtsverdrehung von Good Bye Lenin vorwegnimmt. Seine Ansprache steht Wolfgang Beckers Film an Brillanz und umwerfender Komik in nichts nach. Man muss sie aber unbedingt in ihrem für westdeutsche Ohren unnachahmlichen Jargon und Tonfall der Deutschen Demokratischen Republik gesprochen hören (Anderts Rote Wende ist 1996 auch als Buch erschienen): Ein kabarettistisches Juwel, satirische Vergangenheitsbewältigung.

Vielleicht darf man das zu den späten Liedern überleitende, sprach-, also textlose Gitarrensolo als Zeichen der Ratlosigkeit interpretieren - Andert jedenfalls beherrscht musikalisch auch diese Tonlage. Das Traurige daran ist nur: Was die alle zwar vor 1989, aber nach dem Parteiausschluss des Liedermachers entstandenen Stücke (die genauen Entstehungsdaten fehlen leider) an melancholischer Poesie gewinnen, das verlieren sie schon vier Jahre nach der Wende an Publikumszuspruch wieder, wie sich bei diesem Live-Mitschnitt leicht hören lässt. Anderts letztes Werk Das Dorf wird fast prophetisch zu einer Metapher für die bald darauf untergehende DDR. Danach hat er keine Lieder mehr geschrieben. Ihm, der nie ein aggressiver Protestsänger, sondern wie viele Seinesgleichen nichts als ein kritisch engagierter Bürger sein wollte, ist in der kapitalistisch gewendeten Gesellschaft der Nährboden seines Liedermacherschaffens unter den Füßen weggezogen worden. Es ist ihm der Staat, gegen den er sein Wunschbild von der DDR musikalisch verteidigen konnte, genauso abhanden kommen wie der ästhetisch-politisch gleichgesinnte Adressat seiner Lieder. Das macht die CD mit den unprätentiösen Stücken zu einem anrührenden, aber auch zu einem traurig-tragischen Dokument deutscher Gegenwart.

Reinhold Andert: Alte und neue Nummern, Buschfunk (BuschFunk)


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