Kongresse französischer Parteien gehören ins Genre des Showbusiness. Entschieden wird dabei gar nichts, das glitzernde Event dient der Profilierung des Spitzenpersonals und beschwichtigt das Parteivolk. Erkennbar wird das gerade bei den Konservativen. Parteichef Nicolas Sarkozy rief für den 30. Mai nicht zu einem Parteitag, sondern bat um ein Treffen zur Neu- wie Umgründung der UMP (Union pour un Mouvement Populaire), die er seit sechs Monaten wieder führt. Sein Slogan: „Kommt zahlreich, kommt begeistert!“ Wer das tat, konnte erleben wie die Partei nach einer handstreichartig anberaumten Urabstimmung in Les Républicains umbenannt wurde. Ein Programm indes soll es erst im Wahlsommer 2017 geben. Sarkozys Rivalen um die Präsidentschaftskandidatur
dentschaftskandidatur – der Liberale Alain Juppé und der Liberal-Konservative Bruno Le Maire – sagen unumwunden, dass sie bei einem solchen Programm mit nichts anderem rechnen als einer „Agenda Sarkozy“.Im gegnerischen Lager wird der Parti Socialiste (PS) zwar vom 5. bis 7. Juni einen regulären Parteitag mit gewählten Delegierten abhalten, aber von Sarkozys Namensgebung dürfte er sich nur in Nuancen unterscheiden. Auf dem Kongress in Poitiers wird es so gut wie nichts zu entscheiden geben. Alles Wichtige fand sich im Vorfeld festgeklopft.Hollandes ImperativDie Parteiströmungen (les familles) legten jeweils eine programmatische Charta (motion) vor, über die das Parteivolk am 21. Mai bei einem innerparteilichen Referendum abstimmen konnte. Eine Woche später stellten sich die Erstunterzeichner der beiden am besten platzierten Plattformen zur Wahl des Ersten Sekretärs der Partei. Der dabei siegreiche Parteichef Jean-Christophe Cambadélis hatte sich danach bis zum Zusammentritt des Kongresses um das Personal der Parteigremien Conseil National (Parteiparlament) und Bureau National (Parteivorstand) zu kümmern. Deren Zusammensetzung richtet sich nach den Voten über die vier Plattformen. Auf regionaler Ebene entscheiden die Ergebnisse jener Abstimmung auch über das Kräfteverhältnis zwischen den einzelnen politischen Lagern, aus denen die Delegierten kommen.Placeholder infobox-1So weit das formale Verfahren, das innerparteiliche Demokratie im Prinzip ermöglicht, aber in der Praxis eher erschwert. Der PS ist momentan gespalten in fünf „Familien“: die Anhänger François Hollandes (hollandistes), von Premier Manuel Valls (vallsistes), Martine Aubry (aubrystes), Pierre Moscovici (moscovicistes) und von Vincent Peillon (peillonistes). Die fünf „Familien“ treten jedoch nicht mit fünf eigenen Plattformen an, sondern eine oder mehrere folgen der aussichtsreichsten. Diese bestimmt neben dem Präsidenten und der Regierung die Politik in Partei und Staat.So unterschrieben die Plattform A „Le renouveau socialiste“ (Die sozialistische Erneuerung) des Erstunterzeichners Cambadélis außerdem François Hollande, Premier Valls, alle Minister und Staatssekretäre sowie Ex-Finanzminister und EU-Kommissar Pierre Moscovici. Das bedeutet, die Schwergewichte in der Partei stehen für den Status quo, sprich: das Weiterregieren mit dem Duo Hollande/Valls. Da sich auch Hollandes ernsthafteste Gegenspielerin Martine Aubry der „Motion A“ angeschlossen hat, steht schon vor Poitiers fest, dass diese Plattform bei den Delegierten über eine absolute Mehrheit verfügt und Hollande bei der Präsidentenwahl 2017 erneut als Kandidat des PS antreten dürfte. Für ihn gilt der Imperativ des Weder-Noch – „weder Sozialliberalismus noch Neokommunismus“. Für Parteichef Cambadélis zeugt das von einem „rustikalen Pragmatismus“ und „wirklichen Sozialismus“, bei dem nicht verteilt werden könne, „was man nicht produziert hat“. Auf rund 40 Seiten wird repetiert, welchen Zielen sich die Regierung – bisher mit zweifelhaftem Erfolg – verschrieben hat: nachhaltiges Wachstum, weniger Ungleichheit, „eine brüderliche Republik“. Hollande wird in Poitiers viel Applaus für das bloße Versprechen erhalten, in der verbleibenden Amtszeit von zwei Jahren all das zu ermöglichen, was bisher nur auf dem Papier steht.Mitterrands ErbeBei Plattform B, die dem Credo folgt „À gauche pour gagner“ (Links, um zu gewinnen), sammelt sich hinter dem Abgeordneten Christian Paul die Parteilinke, darunter auch jene Parlamentarier, die im Februar 2015 den Ex-Banker und Wirtschaftsminister Emmanuel Macron dazu zwangen, zum Notrecht aus Verfassungsartikel 49/3 zu greifen, um seine neoliberale Agenda an der Nationalversammlung vorbei zu dekretieren. Jedoch blieb Plattform B ohne die Galionsfigur Martine Aubry beim Votum vor dem Parteikongress mit 29 Prozent unter den Erwartungen.Schließlich Plattform C, überschrieben mit dem Slogan „Osons un nouveau pacte citoyen et républicain“ (Wagen wir einen neuen bürgerlich-republikanischen Pakt) – sie erhebt mit Florence Augier an der Spitze den Anspruch, die Parteibasis zu vertreten. Augier ist die einzige Nicht-Parlamentarierin unter den Erstunterzeichnern und arbeitet in einem Jobcenter.Von unten initiierte Plattformen zählen zum Kernbestand sozialistischer Tradition. Doch haben deren Anhänger nur Erfolg, wenn sie prominente Mitunterzeichner finden wie 2012 mit Stéphane Hessel, dem greisen Widerstandskämpfer und Autor des Appells Empört Euch!, der europaweit einen Riesenerfolg verbuchte. Da jetzt ein solches Zugpferd fehlt, bleibt Augier nur ein parteiinterner Rückhalt von 1,5 Prozent. Die Parlamentsabgeordnete Karine Berger ist die Erstunterzeichnerin der Plattform D „La fabrique“, bei der es sich um eine Neuauflage des 2003 geplanten Nouveau Parti Socialiste (NPS) handelt, der aber nie zustande kam, da sich die Spitzenleute des Projekts – Arnaud Montebourg und Vincent Peillon – lieber auf die Seite der stärkeren Bataillone der „hollandistes“ schlugen und vorübergehend Ministerposten erhielten. Die Plattform kam vor Poitiers auf 9,5 Prozent der Stimmen. Da Karine Berger ihren Unterstützern empfahl, bei der Wahl des Ersten Parteisekretärs für Cambadélis zu stimmen, ist gesichert, dass alles beim bisherigen Parteikurs bleibt.Die Voten vor dem Parteitag spiegelten den schlechten Zustand des PS. Wahlberechtigt waren im Prinzip alle gut 131.000 Parteimitglieder (2006 noch 280.000). Wirklich abstimmen durften aber am 21. und 28. Mai nur jene, die nachweisen konnten, ihre Mitgliedsbeiträge bezahlt zu haben. Tatsächlich teilgenommen haben gut 75.000. Da sich 60 Prozent für einen Verbleib von Cambadélis im Amt des Parteichefs entschieden, waren das annähernd 45.000 Mitglieder – ausreichend legitimierte Politiker sehen anders aus.Hollande und Valls könnten sich über die bescheidenen Wahlergebnisse mit einem Blick in die Parteigeschichte trösten. Bei der Parteigründung 1971 war François Mitterrand noch nicht einmal Parteimitglied und erhielt für seine Plattform eine schmale Mehrheit von 51 Prozent, vier Jahre später kam er auf 46,9 Prozent, und nach seinem Rücktritt als Parteichef war der PS 1990 so gespalten, dass es zu drei schwachen Ergebnissen kam für die Plattformen von Lionel Jospin (28,9 Prozent), Laurent Fabius (28,8) und Michel Rocard (24,2). Eine fast identische Pattsituation gab es 2008 zwischen Ségolène Royal, Bertrand Delanoë und Martine Aubry. Davon hat sich die Partei bis heute nicht erholt, auch wenn die 60 Prozent für die Motion A sowie Hollande/Valls – das Resultat ist auch der Angst vor dem Untergang 2017 geschuldet – glänzend aussehen.
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