Die ängstliche Vorsitzende

Furcht vor einem Regierungsmandat zur Unzeit Angela Merkel muss auf dem Parteitag im Dezember ihre Oppositionsstrategie rechtfertigen

Sie ist immer für eine Überraschung gut, die CDU-Parteichefin, und die Beobachter sollen nun ja nicht glauben, sie habe sich endgültig darauf festgelegt, die Radikalreformerin zu geben. Die Vorsitzende schaffte es bisher immer, in einem überraschenden Augenblick das Ruder herumzureißen und ihre parteiinternen "Freunde" zu irritieren. Es sei erinnert an die Abrechnung mit Kohl und den plötzlichen Frühstücksbesuch bei Edmund Stoiber in Wolfratshausen, um sich dessen Kanzlerkandidatur zu beugen. Überraschende Schachzüge, darin hat sie Meisterschaft erlangt. So handelt sie auch dieser Tage, da Rot-Grün wackelt.

Knapp einen Monat vor dem CDU-Parteitag Anfang Dezember streitet die Christenunion darüber, wie Gerhard Schröder in Zukunft bekämpft werden soll. Während Merkel lieber den Kurs der sanften Opposition fortführen möchte, pocht Roland Koch darauf, die Koalition bald zu stürzen. Damit glaubt der Hesse nicht etwa, dem ersehnten Kandidatenthron näher zu kommen, sondern vielmehr seiner Unionsführerin die Tour zu vermasseln. Kochs Kalkül ist langfristiger angelegt (Freitag, 26/2003) und könnte sich bald schon auszahlen. Er will die immer noch an der Basis sehr beliebte Politikerin nicht mobben oder wegputschen, eher versucht er, sie langsam an die Seite zu schieben und den Parteimitgliedern zu zeigen, dass er schlicht der Kompetentere ist.

Merkel galt lange Zeit als schwer zu fassen, sie lavierte zwischen verschiedenen Meinungen und zeigte kein Profil. Trotz häufiger Fehlschläge und -urteile, wie in der Irak-Debatte, oder peinlicher Patzer, wie bei ihrem Nahost-Besuch, traute sich kaum jemand die Frau anzugreifen, die es wagte, Kohl über die Spendenaffäre abzuservieren. Nun aber rüttelt sie an den Grundpfeilern des deutschen Sozialsystems mit den Zumutungen ihrer Herzog-Kommission und sorgt damit für Aufruhr und Unbehagen. Der Arbeitnehmerflügel der Christenunion will ihr nicht folgen und bietet sogar der SPD-Linken im Bundestag die Zusammenarbeit an, um sowohl Schröder als auch Merkel zu stoppen. Alte Haudegen wie Geißler und Blüm wettern in Interviews und in der Partei gegen die Pläne der Chefin. Geißler prophezeit sogar: "Wer so stiehlt, den wählt man nicht". Herzogs Idee einer Kopfprämie sei den Wählern nicht zu vermitteln. Auf Dauer kann es mit ihr nicht gut gehen, sagt Blüm, der seine Partei dank Merkel nicht mehr wiederzuerkennen glaubt. Die Zwei-Drittel-Partei CSU lehnt unisono Herzogs Gesundheitspauschale ab und beschimpft Merkel, jegliches "Gefühl für soziale Gerechtigkeit verloren zu haben." Es wird also nicht leicht für sie auf dem Parteitag in Leipzig.

Zwar stellen die Bayern keine Delegierten, doch die Stimmung überträgt sich. "Jeder weiß doch, dass nur eine geeinte Union bei Wahlen die Regierung niederringen kann", sagt ein CDU-Mann. Und stand nicht gerade Merkel für diese unverbrüchliche Einheit der Schwesterparteien? Alles passé, heißt es unverblümt aus dem Umfeld der Vorsitzenden, nun gehe es eben um einen Richtungskampf. Wer den für sich entscheide, der sei der natürliche Herausforderer des Kanzlers.

Auf dem Parteitag muss Merkel weit über 90 Prozent Zustimmung erhalten, sonst gilt das Ergebnis als schwach und ein Sturz der Unionschefin wäre wahrscheinlicher als der des angeschlagenen Kanzlers. Angesichts dieser Situation darf man darauf gefasst sein, dass Merkel noch einmal eine Wende vollführen wird, um sich ein gutes Ergebnis zu sichern.

Einmal deutete sie bereits an, die Herzog-Vorschläge nicht "eins zu eins" übernehmen zu wollen. Zuletzt verteidigte sie im Parteipräsidium wiederholt ihre Haltung zur Kooperation mit Rot-Grün in "gewissen Fragen" und meierte Koch ab, der sie hinter verschlossenen Türen erstmalig harsch angriff. "Mit mir wird es keine Totalblockade geben", wiederholt Merkel seit ihrer Rede vom 1. Oktober unablässig. Letztlich stützt sie nach Meinung vieler damit mehr die Regierung als die eigene Fraktion. Aber der Zeitpunkt für eine Machtübernahme scheint einfach ungünstig und die Kanzlerschaft ein Risiko, wenn die Wirtschaftsdaten auf eine weiter steigende Arbeitslosigkeit hindeuten. Koch mag da mutiger sein. Den Brutalopolitiker schreckt die Richtlinienkompetenz eines Bundeskanzlers keineswegs. Auf dem Parteitag wird für ihn vielleicht eine wichtige Entscheidung fallen: ob er sich langfristig Merkel unterordnen muss oder seine Rivalin doch irgendwann zur Seite drängen kann.

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