Die Antwort auf: Und nun?

Musik Im Dezember haben wir mit Dirk von Lowtzow und Jan Müller über das neue Tocotronic-Album gesprochen. Nun ist "Wie wir leben wollen da". Thomas Winkler hat es angehört

Schon erstaunlich, wie bereit und fröhlich manch einer ist, in sein Grab zu steigen. „Hey, ich bin jetzt alt/Hey, bald bin ich kalt“, singt Dirk von Lowtzow zum Einstieg, „im Keller wartet schon/der Lohn“. Ein Schüttelreim zum Abschied. In den ersten Zeilen von Wie wir leben wollen, dem neuen Album seiner Band Tocotronic, steckt alles, was Lowtzow zum wohl unbestritten bedeutendsten Popsongtexter dieses Landes gemacht hat: Niemand sonst versöhnt so schwerelos Klamauk und Ernst als griffig formulierte Lebenshilfe für die Grübler der kreativen Boheme.

Tocotronic sind im 20. Jahr ihres Bestehens und mit dem 10. Album zu einer Band gereift, die nicht nur den Kopf zu rocken versteht. Musikalisch ist die Metamorphose von der Schrammelband zur geschmeidigen Maschine abgeschlossen: Das Quartett produziert sanfte Melodien und wundervolle Harmonien, während es jedes Genre von Americana bis Soul adaptiert. Man höre Abschaffen, für dessen simples, aber effektives Gitarren-Riff Keith Richards Pate gestanden hat und das sich so lange im Kreis dreht, bis der Zuhörer überzeugt ist, der Geburt des perfekten Popsongs beizuwohnen.

Damit nichts mehr an die alten Zeiten erinnert, wurde Sänger von Lowtzow bei den Aufnahmen weitgehend von seiner Zusatzaufgabe als Gitarrist entbunden. Bassist Jan Müller, Schlagzeuger Arne Zank, Gitarrist Rick McPhail und der langjährige Produzent Moses Schneider haben dafür gesorgt, dass aus der Diskurs-Popband eine Popband geworden ist, die großen Spaß am Diskurs hat. Denn die gereifte Musikalität bedeutet noch lange nicht, dass von Lowtzow jetzt plötzlich Herz auf Schmerz reimen würde. Oder nur in jenem höchst ironischem Tonfall, mit dem der 41-Jährige seine eigene Karriere Revue passieren lässt: „Ich war keiner von den Stars/ Ich war höchstens Mittelmaß.“

Wie wir leben wollen ist inhaltlich eine Weiterentwicklung, die nötig geworden war nach dem Abschluss ihrer Berliner Trilogie. Die Alben Pure Vernunft darf niemals siegen (2005), Kapitulation (2007) und Schall & Wahn (2010) waren in der Hauptstadt aufgenommen worden und verhandelten die gesellschaftlichen Veränderungen in der sogenannten Berliner Republik – vom neoliberalen Umbau der Arbeitswelt zur Tempoverschärfung des Lebens im Takt neuer Medien.

Nun folgt in 17 Songs die Antwort der daraus resultierenden Frage: Und nun? Die philosophische Schwere des Albumtitels konterkarieren Tocotronic zwar mit einem Manifest aus 99 eher humoristischen Aussagen, „wie wir leben wollen“: „als Touristen“, „auf dem Grund des Swimmingpools“, „plüschophil“, „high“ oder wahlweise einfach „frei“. Aber das sind großteils Zitate aus den Texten, und natürlich steckt hinter dem Titel ein Konzept.

Nicht ausschließlich, aber doch recht programmatisch beschäftigt sich von Lowtzow mit Themen, die von einer eher der Jugend verpflichteten Popmusik gewöhnlich ignoriert werden. Er singt vom Älterwerden, vom Tod, vom eigenen Vergehen. Fast zwangsläufig münden die gewohnt schlauen, poetisch verschlüsselten und eleganten Texte in dem existentialistischen Dilemma, wie weitergelebt werden kann, wenn man erkannt hat, dass sich dem Elend des Daseins keine höhere Bestimmung zuweisen lässt. Außer der, dass wir alle in die Grube fahren werden.

Tocotronic Wie wir leben wollen (Vertigo Berlin/Universal)

Hier der Link zum Interview

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