HIPC ist kein neuer Virus, sondern das gemeinsame Kürzel von 41 hochverschuldeten, armen Ländern (Highly Indebted Poor Countries). Sie sind bei den nördlichen Gläubigern (private und öffentliche) mit insgesamt über 200 Milliarden US-Dollar verschuldet. Daß sie entlastet werden müssen, ist zwischen den G7-Staaten unstrittig. Aber wie und in welchem Umfang? Darüber soll während des Kölner Gipfels verhandelt werden. Die Bundesregierung hatte sich Anfang des Jahres auf ein sogenanntes »7-Punkte-Programm« verständigt (siehe Kasten). Zur aktuellen deutschen Position und zu den Erwartungen an den Kölner Gipfel befragte Stefanie Christmann die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul.
FREITAG: Im Vorfeld des Kölner G8-Gipfels ist über die Entschuldung der ärmsten Länder lange diskutiert worden. Die deut sche Position hängt die Meßlatte ziemlich hoch. Anteilig sollen nur die Schulden gestrichen werden, die mehr als das Doppelte der jährlichen Exporterlöse betragen. Ein Land mit einem Schuldenstand von zwölf MilliardenDollar und jährlichen Exporteinkünften von fünf Milliarden, würde demnach nur um zwei Milliarden entlastet. Wie kommen Sie zu dieser 200-Prozent-Marke? Wer hat sich auf deutscher Seite durchgesetzt: Sie vom BMZ, das Finanzministerium oder das Auswärtige Amt?
HEIDEMARIE WIECZOREK-ZEUL: Bei diesem wichtigen Thema geht es nicht darum, wer sich wem gegenüber durchsetzt. Es geht darum, eine gemeinsame breit angelegte internationale Entschuldungsinitiative auf den Weg zu bringen. Geredet wurde dar über seit Jahren. Jetzt muß der Knoten endlich durchschlagen werden. Ich bin sehr zuversichtlich, daß der Kölner Gipfel eine Entschuldungsinitiative beschließen wird, die eine breite, schnelle und nachhaltige Entschuldung der ärmsten Entwicklungslän der ermöglicht. Wichtig ist, daß die Richtung stimmt - über Details und Prozentzahlen kann man reden.
Finden Sie es richtig, daß die Entschuldung an Strukturanpassungen gekoppelt wird?
Die Entschuldung soll der armen Bevölkerung zugute kommen. Es sollen also Finanzmittel für die Bereiche Bildung und Basisgesundheit verwandt werden. Das werden wir verbindlich zur Auflage machen, was übrigens auch den Wünschen der Nichtregierungsorganisationen in diesen Ländern entspricht. Das heißt natürlich auch, daß die Strukturanpassungsprogramme verändert werden müs sen, denn so, wie sie bisher waren, haben sie den Schwerpunkt viel zu häufig auf bloße Haushaltskonsolidierung und viel zu wenig auf menschliche Entwicklung gelegt.
Welchen Einfluß haben Sie auf den Zuschnitt der Strukturanpassungsprogramme?
Deutschland ist drittgrößter Anteilseigner im IWF und der Weltbank. Als solcher entscheiden wir mit über die Programme. Wir werden diese Auflage, daß die arme Bevölkerung Nutzen von den Krediten haben soll, übrigens auch bei künftigen Kreditvergaben machen. Die jetzt zu entschuldenden Entwicklungsländern bleiben ja auf lange Zeit von neuen Krediten abhängig, daher haben wir auch künftig die Möglichkeit, darauf Einfluß zu nehmen.
Nichtregierungsorganisationen kritisieren, es gehe beim Kölner Gipfel nur darum, die hochverschuldeten armen Länder in den Stand zu versetzen, ihre Schulden zurückzahlen zu können. Ziel sei aber nicht eine wirkliche Entschuldung.
Aber die Argumentation ist doch absurd. Es geht gerade darum, Schulden zu erlassen, damit die ärmsten Länder wieder eine Entwicklungsperspektive bekommen.
Es werden aber nicht alle Schulden erlassen.
Das fordert auch ernsthaft niemand, selbst die Erlaßjahrkampagne nicht. Aber unsere Entschuldungsvorschläge gehen sehr weit: So sol len den ärmsten Entwicklungsländern alle Schulden aus der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit erlassen werden. Bei den Handelsforderungen, die im Pariser Club behandelt werden, sehen wir ebenfalls im Einzelfall bis zu 100 Prozent Schuldenstreichung vor.
Was heißt: Bis zu 100 Prozent der Schulden sollen erlassen werden? Die HIPC-Länder haben allein bei Deutschland knapp 10,75 Mrd. DM Schulden. Gibt es für die Entschuldungsinitiative zusätzliches Geld, einen Sonderfonds vom BMF?
Haushaltstechnisch ist kein Sonderfonds nötig, weil die Bundesregierung nur auf Einnahmen, nämlich die fälligen Rückzahlungen, verzichtet. Da sich die Entschuldung über längere Zeit hinzieht, ist die Belastung für den Bun deshaushalt insgesamt eher gering.
Ludger Volmer hat Anfang Mai mit Blick auf den Wiederaufbau im ehemaligen Jugoslawien gesagt, Europa habe jetzt selbst Probleme, Afrika müssen sich auf Kürzungen in der Hilfe einstellen.
Für das BMZ wird Afrika ein Hauptpartner bleiben.
Also Sie würden sich weigern, die Hilfe für die Entwicklungsländer im Süden noch weiter zugunsten europäischer Länder einzuschränken?
Es geht nicht darum, ob ich mich weigere. Man muß sich die jeweilige Situation ansehen. Wir verhandeln gerade über die Neuformulierung des Lomé-Vertrages, da geht es unter anderem vor allem um die Finanzmittel für afrikanische Länder.
Nochmal zur Verteilung der Gelder an die verschiedenen Ländergruppen. Seit 1990 ist der Anteil der am wenigsten entwickelten Länder an der öffentlichen Entwicklungshilfe deutlich zurückgegangen zugunsten osteuropäischer Staaten. Offensichtlich will doch jemand diesen Trend fortsetzen. Wie wollen Sie sich dazu verhalten?
Ich halte es für notwendig, diesen Prozeß umzukehren. Nur: Das würde voraussetzen, daß wir mehr Finanzmittel bekämen.
Wie haben Sie auf Herrn Eichels Aufforderung reagiert, daß alle Ministe rien Kürzungsvorschläge machen sollen?
Wir verhandeln.
Entwicklungspolitik sei globale Strukturpolitik, so steht es im Koalitionsvertrag. Damit ist Ihr Ressort auch besonders gefordert. Wenn im Dezember in Seattle die WTO Forderungen des berüchtigten MAI, also des Multilateralen Investitionsabkommens, übernimmt, dann kämpft danach die klassische Entwicklungshilfe auf verlorenem Posten.
Ich habe den Eindruck, daß das MAI - dankenswerter weise - tot ist. Insofern sollte man in keiner Weise Versuche der Wiederbelebung unternehmen. In jedem Fall muß immer sichergestellt werden, daß Entwicklungsländer soziale und ökologische Standards verankern können. Ich sehe mich in dieser Forderung auch bestärkt durch den Bericht, den James Wolfensohn für die Weltbank vor einigen Tagen vorgelegt hat: Gerade wegen der Erfahrungen mit Finanzkrisen müsse es soziale Grundstrukturen geben wie Arbeitslosenversicherungen, Finanzierung von Bildungsmaßnahmen und ähnliches. Die Forderungen Wolfensohns sind das Gegenteil dessen, was mit dem MAI intendiert war.
Globale Strukturpolitik soll mehr sein als ein neues Etikett. Ihre britische Kollegin Claire Short hat für globale Strukturpolitik eine eigene Arbeitsgruppe mit 15 MitarbeiterInnen aufgebaut.
Wichtiger als eine neue große Arbeitsgruppe ist es, Entwicklungszusammenarbeit als globale Strukturpolitik im gesamten Ministerium, in allen regionalen und sektoralen Bereichen, tatsächlich umzusetzen.
Man hat Ihrem Ressort zwar den Auftrag globale Strukturpolitik gegeben, es Ihnen aber aufgebürdet, sich selbst die dafür nötigen Kompetenzen von Ihren Ministerkollegen zu holen - was der Koalitionsausschuß zu Zeiten, als es noch einfacher gewesen wäre, nicht geschafft hat. Wie weit ist Ihnen das gelungen?
Die Federführung für den Lomé-Bereich haben wir, auch für die sogenannten Transform-Programme, für den Weltsozialgipfel und für Habitat (UN-Wohnprogramm, d. Red.). Das wurde in der Koalitionsvereinbarung und danach einvernehmlich geregelt. Die Zuständigkeit für humanitäre Hilfe - die beim AA liegt, also einem Ministerium des Koalitionspartners - haben wir nicht bekommen können, weil dies der Koalitionspart ner nicht wollte. In diesem Bereich müssen wir versuchen, so gut wie irgend möglich, zwischen den Ressorts zu koordinieren.
Nach einer neuen Studie von Mirjam van Reisen nutzt die EU ihren Einfluß als größter Geber öffentlicher Entwicklungshilfe kaum politisch: Außerdem fließe da Geld der EU-Kommission wegen administrativer Probleme oft nicht ab, so daß sich Vorreiter der Entwicklungshilfe wie die Niederlande aus der EU zurückzogen. Hat die deutsche Ratspräsidentschaft dem entgegengewirkt?
Zunächst bezweifle ich, daß sich Länder aus der gemeinsamen Entwicklungshilfe zurückziehen. In zwei Bereichen könnte mit den vorhandenen finanziellen Mitteln effektiver gearbeitet werden: Es muß eine bessere Arbeitsteilung zwischen der Entwicklungshilfe der EU-Kommission und den jeweiligen Mitgliedsstaaten geben. Das würde auch die Entwicklungsländer von sehr viel Koordinierungsarbeit entlasten. Der zweite Punkt: Mißwirtschaft und mangelnde Effektivität in der Entwicklungszusammenarbeit der EU-Kommission selbst. Vor allem in der Lateinamerika- und der Mittelmeerpolitik fehlt eine politisch-strategische Ausrichtung. Der Entwicklungsministerrat hat am 21. Mai beschlossen, eine grundsätzliche poli tisch-strategische Linie für die Entwicklungszusammenarbeit der EU festzulegen, die verbindlich gemacht wird, von der auch die einzelnen Haushaltspositionen abgeleitet werden. Das ermöglicht auch eine bessere Zusammenarbeit mit dem Ministerrat und dem Europaparlament. Dieses Konzept soll bei der Besetzung der EU-Kommission berücksichtigt werden: Statt wie bisher die Zuständigkeit für Entwicklungspolitik aufzusplitten, sollen Kompetenzen und Verwaltungsstrukturen einer Person zugeordnet werden. Das wird viel Verzettelung und Durcheinander vermeiden. Romano Prodi hat sich auch in diesem Sinne geäußert. Das wäre eine wirklich durch greifende Reform.
Zu Lomé: Wie stehen Sie dazu, daß Lomé durch Freihandelsabkommen abgelöst werden soll?
Wir haben dieses Mandat von der vergangenen Regie rung übernommen. Ich kann das jetzt nicht neu formulieren. Wir werden aber in mehreren Verhandlungsrunden mit den AKP-Staaten versuchen, einerseits den Wunsch einiger Länder der AKP-Gruppe, stärker in die Weltwirtschaft einbezogen zu werden, zu berücksichtigen, andererseits aber auch den Ländern, die keine Chance haben, sich auf diese Weise in die Weltwirtschaft zu integrieren, weiterhin die Möglichkeit zu geben, ihre Märkte zu schützen. Für solche Länder kann man die Reziprozität bei den Handelsbeziehungen nicht einführen. Sonst würden ihre Märkte überrollt. Für sie muß es daher u.a. auch längere Schutz- und Übergangsfristen geben.
Eine letzte Frage: Wie wollen Sie jetzt im Kaschmir-Krieg die Entwicklungszusammenarbeit mit Indien und Pakistan fortführen?
Die Verhandlungen über finanzielle Zusammenarbeit bleiben eingefroren, wir wollen keinen Haushaltsausgleich für die Finanzierung des Krieges oder von Atomtests leisten. Die Programme der Technischen Zusammenarbeit, die der armen Bevölkerung zugute kommen, werden für die Zeiträume, für die sie geplant waren, fortgesetzt. Wir wollen ja nicht die Armen dafür bestrafen, daß sie diese Regierungen haben.
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