Die Athletin und die hormonelle Norm

Leistungssport Der Fall der Sportlerin Dutee Chand zeigt die Hilflosigkeit eines Sportsystems, das mit Menschen, die nicht seiner Norm entsprechen, nicht umzugehen weiß
Ausgabe 15/2015
Dutee Chand (li) darf bei den Asien-Spielen im Juni starten. Aber erst mal nur da
Dutee Chand (li) darf bei den Asien-Spielen im Juni starten. Aber erst mal nur da

Foto: Manjunath Kiran/AFP/Getty Images

Dutee Chand passt nicht ins System. Der Körper der indischen Sprinterin produziert mehr Testosteron, als es für Frauen üblich ist. Und deutlich zu viel für ein binäres Sportsystem, das klar in Männer- und Frauenwettbewerbe aufgeteilt ist. Der internationale Leichtathletikverband IAAF hat Chand im vergangenen Jahr gesperrt, da sie ja aufgrund ihrer hormonellen Situation – Hyperandrogenismus heißt das Syndrom – möglicherweise Vorteile gegenüber anderen Athletinnen haben könnte.

Seit dem Fall Caster Semenyas, die 2009 in Berlin Weltmeisterin über 800 Meter wurde und sich im Anschluss mit einer hässlichen Debatte über ihr Geschlecht konfrontiert sah, haben der IAAF und das Internationale Olympische Komitee festgelegt, dass Frauen, die einen erhöhten Testosteronwert haben, nicht starten dürfen – es sei denn, sie unterziehen sich einer androgensenkenden Behandlung. Diese kann entweder medikamentös geschehen oder mittels einer Operation, falls es sich um eine intersexuelle Athletin handelt, der dann die innen liegenden, hormonproduzierenden Hoden entfernt werden. Was da im Sinne eines fairen Wettbewerbs geschehen soll, ist aber nichts anderes als menschenunwürdige Gleichmacherei, die gewaltsame Herstellung einer wettbewerbstauglichen Weiblichkeit.

Dutee Chand hat nicht vor, sich normieren zu lassen. „Ich bin, wie ich bin“, sagt sie und zog vor den Internationalen Sportgerichtshof (CAS) in Lausanne. Vergangene Woche fiel das Urteil, zumindest ein vorläufiges: Chand darf bei den Asien-Spielen im Juni starten. Aber erst mal nur da. Eine endgültige Entscheidung wird in den nächsten Monaten erwartet. Man könnte das als Teilerfolg für Chand sehen. Man kann es aber auch als Eingeständnis der Hilflosigkeit eines Sportsystems betrachten, das mit Menschen, die nicht seiner Norm entsprechen, nicht umzugehen weiß. Dabei ist es nicht einmal erwiesen, dass höhere natürliche Testosteronwerte wirklich Wettbewerbsvorteile bringen. Chands Bestleistung über 100 Meter liegt bei 11,62 Sekunden. Die Weltjahresbestzeit 2014 lief die US-Sprinterin Tori Bowie mit 10,80 Sekunden.

Und überhaupt: Welche Vorteile haben die Körper anderer Athleten gegenüber der Konkurrenz? Die langen Beine des erfolgreichen Sprinters? Den kräftigen Körperbau eines Kugelstoßers? Keiner gleicht dem anderen – und doch ist ein sportliches Messen kein Problem. In der Regel. Die internationalen Sportverbände wollen offenbar die eindeutige Trennung der Geschlechter lieber zementiert sehen, als sich der Normalität zu öffnen. Denn Menschen wie Caster Semenya, Dutee Chand und Santhi Soundarajan, die 2007 einen Selbstmordversuch unternahm, nachdem ihr wegen uneindeutiger Geschlechtszugehörigkeit die Silbermedaille über 800 Meter bei den Asien-Spielen aberkannt wurde – sie sind normal. Unsere Vorstellung von zwei eindeutig trennbaren Geschlechtern ist es nicht.

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