Die Augen des Klempners

Alltag I Dem Blick des Handwerkers entgehen keine Schmuddelecken

Wäre da doch nicht diese 60-Watt-Birne in der Fassung! Gnädige 25 Watt, und diese Dellen im PVC würden in freundlichem Dämmer verschwimmen. So sieht er alles: Jede Unebenheit, jeden Fleck, sämtliche Kratzer, sämtliche Risse. Ich hätte dran denken können, hätte sie auswechseln sollen, und zwar rechtzeitig.

Nun steht ein Profi in meiner Wohnung, nun ist es zu spät.

Da hängt ein Netz und in der Zimmerecke hockt die Spinne, die es gebaut hat und lauert auf Beute. "Guten Tag", sage ich, greife zum Besen und fege die Spinne von der Wand, "das ist wirklich schlimm mit den Spinnen. Im Erdgeschoss hat man immer Spinnen, vor allem um diese Jahreszeit kann man nichts dagegen tun."

"Ja", sagt der Mann, stellt seinen Werkzeugkoffer ab und wirft einen Blick in die Küche. Er hält mich für unordentlich, das ist sicher. Und nun hat er gesehen, dass sich über der Spüle ein Zipfel der Tapete gelöst hat. Zipfel? Nein, da hängt ein handtellergroßes Stück Tapete herunter. Es war mir gar nicht mehr aufgefallen. Seit Monaten schon will ich es wieder festkleben.

"Es ist ein bisschen eng", erkläre ich das Offensichtliche. "Eigentlich viel zu eng. Man hat hier immer so Mühe eine Trittleiter hinzustellen. Brauchen sie eine Leiter?"

Er klappt seinen Werkzeugkoffer auf, räumt meine Mülleimerflotte zur Seite und steigt auf die Leiter, während ich weiter rede. "Wäre das nicht so eng, wissen Sie, ich hätte das hier längst mal neu tapeziert. Ist ja auch nötig, sehen Sie ja. Das da oben ist übrigens beim Kochen passiert. Zu viel Dampf: Da löst sich schon mal eine Tapetenbahn. Ist aber auch ein schwieriger Untergrund zum Tapezieren. Sehen Sie ja selbst, dass das alles uneben ist und dann all diese Rohrleitungen auf der Wand. Wenn man mit gemusterter Tapete um all diese Rohre drum herum muss. Das ist nicht einfach."

"Hm", brummt der Installateur und reicht mir die metallene Außenhaut meiner Gasheizung, die ich sofort mit einem Mikrofasertuch abputze. Er hält mich für den schlimmsten Stümper unter den Heimwerkern, das ist klar. Die Tapete ist wirklicht nicht perfekt geklebt, und sie ist gemustert, kinderzimmerbunt gemustert. An 364 Tagen im Jahr bemerke ich sie gar nicht mehr. An Tagen wie diesem würde ich viel darum geben, sie mit einem Wink des Putzlappens wegzaubern zu können. Weil das nicht möglich ist, versuche ich, sie verbal zu vernebeln. Doch auch darin bin ich ein Dilettant: "Inzwischen kann ich ja auch viel besser tapezieren. Wenn man erst mal ein paar Räume gemacht hat, dann geht es plötzlich. Diese Küche hier war ja sozusagen mein Erstlingswerk. Deshalb sind da auch die Bahnen nicht richtig aneinander ... ja da, direkt neben der Gastherme. Schauen Sie da besser nicht so genau hin."

Er schaut nicht hin. Er schaut nach unten und steigt von der Leiter, kniet auf dem Boden und sucht nach einer herunter gefallenen Schraube.

Ich folge seinen Augen. Jetzt ist er ganz dicht an den Fußleisten. Die habe ich auch schon länger nicht mehr aus der Nähe gesehen. Sie sind nicht sauber lackiert. Damals dachte ich, das mühsame Abschleifen kann man sich eigentlich sparen, ein bisschen mehr Lack an kritischen Stellen tut es doch auch. Ein Profi sieht das natürlich auf den ersten Blick. Ist eigentlich der Fußboden sauber?

Es geht so. Auch dafür habe ich eine Ausrede parat: "Ich habe diese Woche den Boden noch nicht gewischt, weil ich dachte, dass Sie bestimmt Staub machen würden."

Er hat die Schraube gefunden. Ich reiche ihm den metallenen Mantel der Gastherme. Er stülpt ihn über die Heizungsanlage und windet die Schraube in ihre alte Position.

Die Thermenwartung ist geschafft. Bis zur nächsten Kontrolle renoviere ich die Küche. Alles wird perfekt sein. Selbst im Licht von erbarmungslosen 60 Watt. Bestimmt.


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