Die Ausweitung der Kampfzone

Feminismus Am Sonntag wird Alice Schwarzer 75. Eine kritische Würdigung
Ohne Alice Schwarzer hätten Frauenbewegung und feministische Debatten hierzulande anders ausgesehen
Ohne Alice Schwarzer hätten Frauenbewegung und feministische Debatten hierzulande anders ausgesehen

Foto: Johannes Eisele/AFP/Getty Images

Wer ist eine richtige Feministin? Wofür hat sie einzustehen? Und für wen? Was darf sie fordern und was nicht?

Diese Frage wurde jahrelang rasch und anstandslos beantwortet: Alice Schwarzer. So wie keine andere Frau in Deutschland wurde ihr Name mit der Frauenbewegung hierzulande verbunden, sie verkörperte de facto den Feminismus und den Kampf für Frauenrechte. Am Sonntag, 3. Dezember, wird Schwarzer – Journalistin, Gründerin und Herausgeberin der Zeitschrift Emma sowie Autorin von Büchern wie „Der kleine Unterschied und die großen Folgen“ (1975), Biographien über Simone de Beauvoir, Marion Gräfin Dönhoff, Romy Schneider und zuletzt „Der Schock“(2016) über die Kölner Silvesternacht 2015 – 75 Jahre alt.

Schwarzer ist eine produktive wie umstrittene Autorin. Schon bevor sie 1977 EMMA gründete, wurde sie angegriffen, angefeindet, beschimpft. Das ist bis heute so geblieben. Doch die Angriffsfläche, die Schwarzer für viele und vieles bietet, hat sich verändert. So wie sich auch die Emma-Unterzeile gewandelt hat: Aus der einstigen „Zeitschrift von Frauen für Frauen“ wurde irgendwann das „Politische Magazin für Menschen“.

Früher war Schwarzer vor allem Männern ein „rotes Tuch“. Ihr Pochen auf mehr Freiheit und Entscheidungskraft für Frauen mochten damals nicht nur konservative Männer nicht mittragen. Frauen, die arbeiten gingen und ihr eigenes Geld verdienten, sich gegen Gewalt und Vergewaltigung in der Ehe wehrten, die selbst bestimmten, wann und mit wem sie Sex haben, das ging manchen damals schlicht zu weit, das rüttelte an den Grundfesten „bewährter“ Geschlechterrollen.

Viele Männer trauen Schwarzer noch immer nicht über den Weg

Mit dem CDU-Mann Heiner Geißler – von 1982 bis 1985 Familienminister – stritt sie leidenschaftlich über das Recht auf Abtreibung. Geißler wollte das ungeborene Leben grundsätzlich schützen, erkannte aber Notsituationen von Frauen an, die einen Abbruch durchaus rechtfertigten: „Wenn eine Frau schon vier bis fünf Kinder hat, der Mann säuft und sie verprügelt.“

Schwarzer machte auf sexuelle Gewalt an Kindern zu einer Zeit aufmerksam, als andere von „Spielchen im gegenseitigen Einvernehmen“ sprachen. Sie thematisierte lesbische Liebe, sexistische Werbung, forderte Frauenhäuser und dass Frauen eigene Unternehmen gründen sollen. Kurz: Ihr Handlungsrahmen und ihr Oevre reichen weit.

Viele Männer trauen Schwarzer immer noch nicht über den Weg. Heute indes erntet die, ja doch, Grande Dame des Feminismus vor allem Kritik von ihren eigenen Geschlechtsgenossinnen. Schwarzer und ihr Hausblatt seien „rassistisch“ und „islamophob“. Sie beschäftige sich nur noch mit „Islam und Prostitution“, befand Stefanie Lohaus, Mitgründerin und Mitherausgeberin des feministischen Missy Magazine, vor gut einem Jahr in einem Schlagabtausch zwischen Emma und Missy im rbb.

Islamophobie oder Kritik an Fundamentalismus?

Schwarzer vertrete in beiden Themenfeldern „eine konservative Haltung und ist mit pauschalisierenden Aussagen zu Geflüchteten und gegen Political Correctness Stichwortgeberin für die Neue Rechte“ geworden, meinte Lohaus. Schwarzer will Prostitution verbieten, weil sie Sexarbeit per se als Frauenverachtung und -ausbeutung definiert. Und da ist ihre Haltung zum Kopftuch. Das Kopftuch sei eine „Flagge des Islamismus“, findet Schwarzer. Das gehöre verboten, ebenso wie die Vollverschleierung von Frauen. Schon kleine muslimische Mädchen würden gezwungen, Kopftuch zu tragen, dadurch würden sie nicht nur isoliert und an ihrer eigenen Entwicklung gehindert, sondern zudem frühzeitig „sexualisiert“. Weil das Kopftuch eine „Verhüllung der Frau als Sexualobjekt“ darstelle. Über solch eine Schlagrichtung freut sich die AfD.

Ihr Buch „Die große Verschleierung“ (2010) wird von vielen als Feldzug gegen den Islam gelesen. Darin prangert sie eine „falsch verstandene Toleranz“ der deutschen Mehrheitsbevölkerung gegenüber dem Islam an, die den Islamismus hierzulande erst stark gemacht habe. Sie selbst legt Wert darauf, dass es ihr nicht grundsätzlich um den Islam gehe, sondern um eine Minderheit, die den Islam für fundamentale und islamistische Tendenzen missbrauche.

Im Sommer eskalierten die Auseinandersetzungen zwischen Schwarzer, Emma und ihren Kritikerinnen. Ausschlag war ein im Queerverlag erschienener Essayband der selbsternannten Berliner Polittunte Patsy L'Amour LaLove mit dem Titel „Beißreflexe“. Darin üben zahlreiche Autorinnen und Autoren Kritik an queerfeministischen Positionen der wissenschaftlichen Gender-Studies, die islamistische Gewalt ignorieren, zumindest aber relativieren und damit „die Frauensache“ verraten würden. Das Bittere wie Kuriose daran: Queerfeminist*innen greifen Queerfeminist*innen an.

Auch der Feminismus verändert sich

Der Schlagabtausch fand auf großer Bühne statt: in der Zeit, mit Angriff, Rechtfertigung, Gegenwehr. Es fielen heftige Vorwürfe wie „Rufmord“ und „Sprechverbote“. Beide Seiten scheinen sich unversöhnlich gegenüber zu stehen. Und das ist das Fatale daran: Wo man gemeinsam stark sein könnte – im Kampf gegen Ausgrenzung, Herabwürdigung, Verachtung, Gewalt – trennen sich (queer)feministische Akteur*innen.

Man kann es auch anders sehen: Die Zeiten ändern sich und mit ihnen Feminismus und Menschenrechte, der Kampf für und um sie – und ihre Protagonist*innen und Akteur*innen. Manches hat sich überlebt, neue Gefechtslinien haben sich aufgetan. Und vielleicht ist Schwarzers Zeit tatsächlich vorüber, so wie das manche ihrer Kritikerinnen sehen.

Eines darf man aber getrost vermuten: Ohne Schwarzer hätten Frauenbewegung und feministische Debatten hierzulande anders ausgesehen.

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Geschrieben von

Simone Schmollack

Chefredakteurin der Freitag

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