Die Banalität des Unheimlichen

Ausstellung Hiroshima ist an der Seine oder die Post-Atomkriegsszenarien des Künstlers Matthew Day Jackson
Ausgabe 31/2013
Die Banalität des Unheimlichen

Bild: Matthew Day Jackson

Ein als Porträtfoto ausgewiesenes Bild zeigt Matthew Day Jackson im Gras liegend. An seinem Brustkorb hängen blutige Fleischreste. Die untere Gesichtspartie fehlt bis auf ein weißes Gebiss. Auch die Nase ist weg; das linke Auge bedeckt ein blasses Lid, wo das rechte war, klafft die leere Augenhöhle. Der Künstler, 1974 in Panorama City, Kalifornien geboren, gestaltet seine Ausstellungen als Kulissen für blutige Fantasy- und apokalyptische Science-Fiction-Filme. Das ZKM Karlsruhe zeigt erstmalig in Deutschland eine Einzelschau: Total Accomplishment, die totale Vollendung. Vollendet ist hier das Werk destruktiver Technik. Der Künstler zeigt in den 20 Meter hohen Hallen ein Post-Atomkriegs-Szenario. Fast alle Werke sind eigens für diese Ausstellung gefertigt.

Am Anfang steht eine stählerne Flugkapsel. Man kann sich in der polierten Oberfläche spiegeln. Jackson hat das Cockpit eines B-29-Bombers erworben – eines jener Flieger, die zum Abwurf der Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki verwendet wurden. Der Titel der Großskulptur: Axis Mundi. Durch die Frontscheiben sieht man einen leeren Pilotensessel, ein Skelett und eine Vitrine mit in Edelmetalle gegossenen menschlichen Organen. Wie Ersatzteile oder Kostbarkeiten werden sie aufbewahrt. Nur scheint es niemanden mehr zu geben, dem man sie einsetzen könnte.

Zwischen Ruinen

Hinter der Kapsel erstreckt sich eine Sternenlandschaft, der Himmel scheint zu brennen. Am Rande liegt das verrostete Gerippe eines Robotermenschen auf einem abgesägten Autodach. Eine Vitrine zeigt tönerne Urnen und deformierte Gips-Schädel in giftigen Farben. Es ist alles vorüber, nach der Katastrophe gibt es keine Erfahrung mehr davon. Wer sind wir, die sich noch zwischen diesen Ruinen herumtreiben?

So eindrucksvoll die dystopischen Installationen von Matthew Day Jackson auch sind: Beim Betrachten der gewaltigen Arbeiten drängt sich der Eindruck inhaltlicher Leere auf. Was durchaus am Format liegt. Das Thema, die Auslöschung des menschlichen Lebens auf der Erde, ist sehr abstrakt. Statt Gesellschaft geht es um Technik, statt Erfahrung um einen Bereich, der jenseits des Erfahrbaren liegt. Im Grunde ist die Vorstellung einer Welt nach ihrem Untergang vollkommen belanglos.

Auf der grünen Wiese

Menschen spielen in Jacksons Gruselkabinett nur bedingt eine Rolle. Bemerkenswert ist deshalb die 82-teilige Fotoserie Commissioned Family Photo. Sie zeigt in unveränderter Position den Künstler und seine Familie auf einer grünen Wiese in Colorado. Die Aufnahmen wurden innerhalb einer halben Minute mit einer Kamera gemacht, die für Waffentests entwickelt wurde. Durch die extreme Anzahl an Mehrfachbelichtungen, hier sind es knapp 10.000, wirken die Personen unwirklich, wie Geister. Auch das ist unheimlich und belanglos zugleich: Die Bilder evozieren die Vorstellung, die Familie sei verschwunden. Aber auch ihr Verschwinden ist zu abstrakt, als dass man einen Zugang bekäme.

Für August 6. 1945 – das Datum des Abwurfs der Atombombe auf Hiroshima – hat Jackson eine ganze Stadt verschwinden lassen. Ein riesiges, in die Vertikale verlagertes Relief stellt sie dar. Jackson hat diese Stadt errichtet und niedergebrannt. Man sieht verkohlte Häuserzeilen, am Eiffelturm erkennt man Paris. Die Seine ist mit Blei ausgegossen. Hiroshima ist überall. Und somit nirgendwo.

Matthew Day Jackson. Total Accomplishment ZKM in Karlsruhe, bis 10. November 2013

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