Die beiden Macher

Italien Mit ihrer Wahlrechtsreform demontieren Silvio Berlusconi und Matteo Renzi die repräsentative Demokratie und steuern den Zwei-Parteien-Staat an
Ausgabe 06/2014

Zwei starke Männer sollen es richten, der eine 77, der andere 39 Jahre alt. Ein Mandat haben sie beide nicht: Silvio Berlusconi darf laut Gerichtsbeschluss sechs Jahre lang kein öffentliches Amt bekleiden, Matteo Renzi ist als Bürgermeister für die Kommunalpolitik von Florenz zuständig. Spätestens seit seiner Wahl zum Sekretär des Partito Democratico (PD) Anfang Dezember aber ist er der große Hoffnungsträger – nicht nur seiner eigenen Partei, auch des politischen Gegners. Denn zum gleichen Zeitpunkt spaltete sich das rechte Volk der Freiheit (Popolo della Libertà/PdL) in die kleinere regierungstreue Neue Rechte Mitte (Nuovo Centrodestra/NCD) um Vizepremier Angelino Alfano und die weiterhin Berlusconi ergebene Mehrheit. Unter dem alten Namen Forza Italia (FI) bestimmt diese zweifelhafte Wiedergründung aus der Opposition heraus die italienische Politik.

Das geht, weil Renzi den Ausgleich mit Berlusconi sucht. Seit er diesen am 18. Januar zu einem Vier-Augen-Gespräch in der PD-Zentrale empfing, starrt alles auf die beiden Macher. Schon ihr erstes Agreement hat es in sich. Im Handumdrehen einigten sie sich auf eine Änderung des Wahlgesetzes, das vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden war. Das freilich könnte ihrem Reformvorschlag ebenfalls blühen, denn das Grundprinzip blieb unverändert: Im Namen der Regierbarkeit wird die Exekutive gestärkt, das Parlament entmachtet, die Vielfalt der Parteien im Parlament dezimiert.

Für das erfolgreichste Wahlbündnis soll es künftig eine Mehrheitsprämie von 15 Prozent der Mandate geben, vorausgesetzt es erreicht 37 Prozent der Stimmen; andernfalls wird die Mehrheitsprämie erst nach einem zweiten Wahlgang vergeben. Für Parteien in Wahlbündnissen gilt eine Sperrklausel von 4,5, für allein antretende Parteien gar eine Hürde von acht Prozent – für Wahlallianzen selbst von zwölf Prozent. Gruppierungen, die in drei Regionen mehr als neun Prozent erreichen, ziehen ebenfalls ins Parlament ein – nach Lage der Dinge profitiert von dieser Sonderregelung allein Berlusconis langjähriger rechter Bündnispartner, die Lega Nord.

Gewaltfantasien via Facebook

Die einzige nennenswerte politische Kraft, die sich gegen das neue Gesetz zur Wehr setzt, ist die Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento Cinque Stelle/M5S) des Komikers Beppe Grillo – sie tut dies teils mit üblen Mitteln wie persönlichen Beleidigungen und sexistischen Drohungen. Auf die autoritäre Verhandlungsführung der Parlamentspräsidentin Laura Boldrini reagierte Grillo via Facebook mit der rhetorischen Frage: „Was würdet ihr mit Laura in einem Auto tun?“ Seine Follower antworteten mit Vergewaltigungsfantasien und Morddrohungen. Erst nach energischen Protesten wurden die Kommentare gelöscht.

Der linke Flügel des PD und die Abgeordneten der Partei Linke, Ökologie, Freiheit (Sinistra Ecologia Libertà/SEL) beschränken sich darauf, die schlimmsten Zumutungen des neuen Wahlgesetzes zu kritisieren: Zum Beispiel, dass eine Vier-Prozent-Partei zwar zum Sieg des eigenen Wahlbündnisses beitragen, aber bei der Verteilung der gewonnenen Mandate leer ausgehen würde. Nicht, dass die Linken die Tragweite der Gesetzesänderung nicht sehen würden – nur sie sind vollauf damit beschäftigt, das eigene parlamentarische Überleben zu sichern. Innerhalb der SEL wird bereits über einen kollektiven Übertritt zur Demokratischen Partei debattiert.

Dass die linke Opposition in der Wahlrechtsfrage auf verlorenem Posten steht, hat nicht nur etwas mit der Übermacht der beiden starken Männer Renzi und Berlusconi zu tun. Seit mehr als 20 Jahren gehört es in Italien zum Common Sense, dass Regierbarkeit alles, Opposition aber verzichtbar sei. Dass eine Demokratie, die einen Großteil der Wähler nicht mehr repräsentiert, ihre eigenen Fundamente sprengt, ist in den Mainstream-Medien kein Thema. Anhängern und Verfechtern eines demokratisch legitimen Verhältniswahlrechts wird vorgeworfen, hoffnungslos altmodisch zu sein. „Wer das will, will zurück zur Ersten Republik“ der Jahre vor 1992, so Renzi, der stolz darauf ist, „in kaum einem Monat“ das geschafft zu haben, worüber andere jahrelang nur geredet hätten. Bis zum 15. Februar soll das neue Wahlgesetz verabschiedet sein. Danach steht die Abschaffung des Senats, der zweiten Parlamentskammer, auf der Agenda.

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