Man könnte Wolfgang Heckel für einen Familienunternehmer halten, wie es ihn tausendfach in Deutschland gibt: Mit einem Dutzend Beschäftigten stellt der Mann aus Kaufbeuren Maschinen für die Holzindustrie her: etwa Spezialfräsen und maßgeschneiderte Förderbänder für Fabriken. „Meine Produkte“, sagt der Allgäuer, „helfen den Unternehmen, ihre Produktionsabläufe zu optimieren.“
Doch die Heckel GmbH Co.KG ist kein Betrieb wie jeder andere, ihr Chef tickt anders als die Konkurrenz: Wenn Wolfgang Heckel am 5. Oktober seine Jahresbilanz veröffentlicht, werden darin nicht Finanzkennzahlen wie Rendite oder Zinsertrag zu finden sein, sondern Informationen darüber, wie groß die Lohnunterschiede innerhalb des
rhalb des Betriebes ausfallen, ob seine Produkte die Umwelt belasten und wie viel die Mitarbeiter mitbestimmen dürfen. Heckels Vision und Motivation: „Wir arbeiten für eine intakte Natur, tolerante Kultur und eine verträgliche globale Technik.“Der bayerische Maschinenhersteller ist einer von mehr als 100 deutschen, schweizerischen, österreichischen und italienischen Unternehmen, die in Kürze ihre erste sogenannte Gemeinwohlbilanz vorlegen werden. Die Idee dahinter: „Der Erfolg eines Unternehmens soll nicht weiter in Geld, sondern im Beitrag für das Gemeinwesen gemessen werden“, sagt Christian Felber. Der österreichische Attac-Gründer und Dozent der Wirtschaftsuniversität Wien hat gemeinsam mit einer Reihe von Unternehmern im vergangenen Jahr 18 Kriterien definiert, die den Gemeinwohlbeitrag bemessen sollen, indem sie möglichst alle sozialen und ökologischen Auswirkungen einer Firma erfassen: Wie groß ist die Lohnspreizung? Bleiben Überschüsse im Unternehmen oder werden sie an Externe ausgeschüttet? Wie ist der Umgang mit Kunden und Zulieferern? Und wie umweltfreundlich sind die Produkte?Tradition der SiebzigerIn jeder der 18 Kategorien können Unternehmen Punkte sammeln – unter dem Strich entsteht eine Gesamtpunktzahl, die Gemeinwohlbilanz. Felbers Idee haben sich nicht nur kleine Familienunternehmen angeschlossen, sondern beispielsweise auch die Münchener Sparda Bank mit rund 670 Mitarbeitern oder das Bregenzer Bauunternehmen Rhomberg mit 1000 Angestellten. „Fast täglich kommen neue Unternehmen dazu“, sagt Felber. Sie alle wollen weg von der Gewinnmaximierung, hin zu einer wirklich nachhaltigen Wirtschaftsweise.Die Überlegung, beim Wirtschaften die sozialen und ökologischen Auswirkungen zu beachten und darüber Rechenschaft abzulegen, ist nicht neu: Schon in den siebziger Jahren erstellten zahlreiche Betriebe eine Sozialbilanz, um zu dokumentieren, wie sich ihr Handeln auswirkt. Vor allem, weil sich soziale Leistungen schwer in Kennzahlen fassen lassen, setzte sich der Ansatz aber nicht durch.Heute ist die Idee zurück – und Betriebswirte lernen im Hörsaal den „Stakeholder-Ansatz“ kennen. Dahinter verbirgt sich der Grundsatz, dass Unternehmen nicht nur ihren Geldgebern verpflichtet sind, also möglichst hohe Gewinne erwirtschaften müssen, sondern auch allen anderen Gruppen, mit denen sie in Berührung kommen, beispielsweise Kunden, Zulieferern, Mitarbeitern, Anwohnern und dem Ökosystem. Die Bedeutung solcher Ansätze in der Praxis ist jedoch begrenzt: Zwar kann es sich heute kein größeres Unternehmen mehr leisten, auf eine Ökobilanz oder einen Nachhaltigkeitsbericht zu verzichten. Doch dabei handelt es sich im Großteil der Fälle um Greenwashing, also eine Art Marketingmaßnahme, zeigt eine Reihe internationaler Studien. So bilanzierte ein Forscher-Trio aus Harvard kürzlich, dass es „keine Hinweise auf Unternehmen gibt, die Profite dem sozialen Interesse opfern“. Ein Ökonom der renommierten Yale-University, der die Geschäftspraxis von etwa 3.000 US-Konzernen unter die Lupe nahm, kommt zu dem Schluss, dass vor allem Unternehmen, die Schlechtes zu überdecken haben, zum Ausgleich auf CSR-Aktivitäten (Corporate Social Responsibility) setzen.Kritiker wie der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann bemängeln angesichts solch ernüchternder Forschungsergebnisse seit Längerem, dass die von Managern öffentlich angepriesene Unternehmensethik zu einem von vielen Instrumenten verkommen ist, das ausschließlich dazu dient, die Gewinne zu maximieren. Wirtschaftsaktivist Felber und die beteiligten Unternehmen wollen mit dieser Denkweise brechen. Familienunternehmer Heckel sagt, er würde aus innerer Überzeugung seine Werkstatt möglichst energieeffizient ausrüsten und seinen Angestellten möglichst viel Raum zur Entfaltung geben. Dass sein Betrieb dank der Gemeinwohlbilanz höhere Profite erwarten darf, glaubt er dagegen nicht. „Darum ist es mir von Anfang an auch gar nicht gegangen“, betont der Maschinenhersteller.Der Druck soll wachsenWorum es bei der Gemeinwohlbilanz stattdessen geht, erklärt ihr Erfinder Felber: „Die Bilanz soll die unterschiedlichen Nachhaltigkeitsberichte endlich vereinheitlichen und durch die Punktevergabe auf einen verbindlichen und vergleichbaren Nenner bringen.“ Dadurch soll sie leicht verständlich und für Unternehmen aller Branchen anwendbar sein. Felber und seine Mitstreiter hoffen, dass sich in den kommenden Jahren immer mehr Betriebe anschließen und für Manager der Druck wächst, sich an den Gemeinwohlkriterien messen zu lassen.Das Problem unter den derzeitigen Rahmenbedingungen: Unternehmen, die bereit sind, faire Löhne zu zahlen und mehr in Umweltschutz und gute Arbeitsbedingungen zu investieren, sind am Ende die Dummen. Ihnen droht die Pleite, weil ihre Produkte teurer sind als die der Billigkonkurrenz. Kritiker halten Felbers Ansatz deshalb für illusorisch. Felber hat diese Kritik mitgedacht. Um Betriebe, die in der Gemeinwohlbilanz gut abschneiden, einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, schlägt der österreichische Querdenker vor, dass sie durch niedrigere Steuern und günstigere Kredite belohnt werden sollen. Auf diese Weise wären sie weiterhin konkurrenzfähig. „Nur wenn der Anreizrahmen entsprechend angepasst wird, kann sich langfristig etwas ändern“, ist Felber überzeugt.Unternehmer Heckel will darauf nicht warten. Mit drei seiner Mitarbeiter ist er dabei, seinen Betrieb komplett zu durchleuchten. Bei einigen Gemeinwohl-Kriterien wie der Arbeitsplatzqualität und der Lohnspreizung schneidet er bereits sehr gut ab. Sollte sich zeigen, dass er bei anderen Kriterien, die er für sinnvoll hält, hinterherhinkt, will er nachbessern, „auch wenn es etwas kostet“, sagt der Maschinenbauer.
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