Die Besten und die Schlechtesten

Wehrdienst Dem Verteidigungsminister laufen die Freiwilligen für die Bundeswehr davon. Wer bleibt, hat anderswo keine Chance. Prägt bald der „Prekarier in Uniform“ die Armee?

Morgens das Hemd auf DIN-A4-Format falten. Sich nachmittags auf Befehl in den Matsch werfen. Später die verdreckte Stiefelspitze polieren. Wer einst per Einzugbescheid verpflichtet wurde, der musste manche Schikane fügsam erdulden.

Inzwischen ist die Wehrpflicht ausgesetzt, zur Bundeswehr gehen nur noch Freiwillige. Doch viele bleiben nicht lange: Jeder Siebte der rund 3.400 jungen Männer und Frauen, die zum 1. Juli ihre Jeans gegen den Tarnfleck eintauschten, hat der Armee kurz darauf wieder den Rücken gekehrt.

Verteidigungsminister Thomas de Maizière tat den Schwund als „nicht so Besorgnis erregend“ ab. Viele der Rekruten hätten sich gleichzeitig für Studium oder Beruf beworben. Doch die große Zahl von Abgängern gleicht einem Menetekel. Die neue Bundeswehr leidet nicht nur unter den allseits kolportierten Startschwierigkeiten einer hastig umgesetzten Wehrreform. So plant man statt der ursprünglich angepeilten 15.000 Freiwilligen in diesem Jahr nur noch mit 5.000 Neu-Soldaten. Nein, in jedem der Abgänger manifestiert sich ein grundlegenderes Problem – die Bundeswehr ist nicht attraktiv genug.

Keine „Ossifizierung“

Der Freiwilligen-Armee könnte deshalb drohen, was schon heute unter Berufssoldaten zu beobachten ist: eine „Ossifizierung“. Rund ein Fünftel der Bundesbürger lebt in den neuen Ländern, aber etwas mehr als ein Drittel des Bundeswehrpersonals stammt von dort. Michael Wolffsohn, Historiker an der Münchner Bundeswehrhochschule, hat schon vor zwei Jahren darauf hingewiesen. Mit dem Start der Freiwilligen-Armee lebt die „Ossifizierungs“-These nun wieder auf.


Aus den aktuellen Zahlen geht das aber nicht hervor. Von den ersten 3.400 Freiwilligen kamen nur etwa 20 Prozent aus den neuen Bundesländern und Berlin. Minister de Maizière hat Spekulationen über eine „ostdeutsche Unterschichtenarmee“ denn auch als „unerhört“ zurückgewiesen. Richtig sei vielmehr, „dass der Bildungsstand in unseren Streitkräften eine Qualität aufweist, um die uns andere Arbeitgeber beneiden“.

Wer bleibt noch in der Truppe?

Der Ausdruck „Ossifizierung“ sollte durch den Begriff „Prekarisierung“ ersetzt werden. Wenn von den 417 bayerischen Rekruten 13 Prozent die Bundeswehr verlassen, weil sie doch noch einen Studienplatz ergattert haben oder die Zusage für eine Berufsausbildung erhalten – wer bleibt dann eigentlich noch in der Truppe?

Die Bundeswehr erklärte auf Anfrage, sie habe bisher keine belastbaren Zahlen über die Abbrecher. Erst Anfang Oktober soll ein aussagekräftiger Trend über die Beendigung der Dienstverhältnisse vorliegen, eine Bilanz wird es erst im kommenden Januar geben – dann ist die sechsmonatige Probezeit für den ersten Schub der Freiwilligen abgelaufen. Skeptiker nehmen aber bereits jetzt an, dass die bis zu 1.146 Euro Sold plus Unterkunft, Verpflegung und Sozialversicherungsverträge vornehmlich für Menschen interessant sind, die schon länger erfolglos nach einer anderen Beschäftigung suchen oder in Regionen zu Hause sind, in denen Strukturschwäche und Aussichtslosigkeit Hand in Hand gehen.

Wird der „Prekarier in Uniform“ (Wolff­sohn) den „Staatsbürger in Uniform“ ersetzen? „Fallen“ in Kriegseinsätzen bald nur die ökonomisch schlechter Gestellten?

Hoffnungsträger Ausländer

Ein Blick auf ausländische Freiwilligenarmeen zeigt eine weiteren möglichen Trend: Die zunehmende Verpflichtung von Ausländern. Ein Großteil der im Irak getöteten US-Soldaten zum Beispiel sind keine US-Bürger. In Großbritannien und Spanien machte das Beispiel der Greencard-Soldaten ebenfalls Schule. Die spanische Armee rekrutiert nach der dortigen Abschaffung der Wehrpflicht gerne mittellose Latinos aus ehemaligen Kolonien. Wem das allzu fern scheint: Der über eine Plagiatsaffäre gestürzte Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hatte bereits angekündigt, in Zukunft bei der Besetzung der Bundeswehr auch auf Ausländer setzen zu wollen.

Historiker Wolffsohn nennt das Neokolonialismus und fordert eine Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht. Dieser Weg dürfte aus verschiedenen Gründen verstellt bleiben. Und auch das Problem der „Wehrgerechtigkeit“ bliebe weiter ungelöst – zuletzt waren allenfalls 40 Prozent der jungen Männer überhaupt zu Armee oder Zivildienst eingezogen worden.

Aggressivere Werbung

Damit die Freiwilligen-Armee kein Desaster wird, fordern der Bundeswehrverband und die Opposition, die halbgare Reform endlich anzupacken. Dazu gehöre nicht nur, Freiwillige aggressiv zu werben. Rekruten müssten sich von ihrem Dienst auch mehr persönliche Vorteile erwarten können. „Die Bundeswehr steht im Wettbewerb mit großen Unternehmen um Fachkräfte“, sagt Jan Meyer vom Bundeswehrverband. „Wir brauchen die Besten und nicht die Schlechtesten.“ Überlegt wird, den jungen Männern und Frauen nach Ende ihres Dienstes Zeugnisse auszuhändigen, mit denen sie leichter einen Job finden können oder bei der Vergabe von Studienplätzen bevorzugt werden.

Eine „attraktivere“ Bundeswehr gibt es nicht zum Nulltarif. In Frankreich hat sich die Hoffnung, mit der Einführung einer Freiwilligen-Armee Geld zu sparen, nicht erfüllt. Unterm Strich zahlt Paris drauf.

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