Eine interessante Frage im Gespräch der Zeit mit Robert Habeck, es geht um Von hier an anders, sein nachdenkliches Buch zum Wahljahr 2021, was man schon am nachdenklichen Robert-Habeck-Porträt vorne drauf erkennt. Die Frage: Ist es denn die Aufgabe von Politik, Affekte zu modellieren? Habecks Antwort liest sich wie eine wegwischende Handbewegung: „Das tut Politik permanent. Hoffnung, Zuversicht, Angst, Freiheit, Sicherheit …“ Aber wie steht das zu Habecks Politikverständnis, wenn es um Systemkritik geht, den utopischen Gehalt möglicher Regierungsbeteiligungen? Die Kollegen fragen nicht weiter, sie interessiert der Habitus. Sie wollen wissen, wie er denn so sei, der Robert.
Vermutlich hätte er vom „Einvernehmen“ erzählt, den Begriff
0; erzählt, den Begriff leiht er sich bei Hannah Arendt aus, ihm geht es dabei um eine Problemlösung durch „Verständigungsbereitschaft“. So was habe ihn in Schleswig-Holstein mit Milchbauern, Fischern und anderen Menschen zusammengebracht. Als stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Energiewende/Umwelt/Landwirtschaft habe er festgestellt, dass man früh mit Beteiligten reden, Gegenpositionen schätzen, seine Ideen hinterfragen soll. Und so würde er in einer Bundesregierung die großen, harten Aufgaben wohl mit kleinen Schritten und freundlichem Antimoralismus angehen. Das aus dem Anekdotischen abgeleitete und sacht theoretisch eingeordnete Einvernehmen „bringt für mich auf den Punkt, wie Macht ausgeübt werden sollte, wenn Politik unter den Bedingungen unserer Zeit handlungsfähig sein will“, schreibt Habeck.Ästhetische AlternativeSicher sympathisch, auch eine ästhetische Alternative zur Großen Koalition. Wer aber im Wahljahr mehr zum Machtbegriff der Grünen wissen will, zu Genese, Häutungen, Unschärfen, muss Ulrich Schultes vortreffliche Gesamtanalyse Die grüne Macht lesen. Seit zehn Jahren begleitet der taz-Journalist die Grünen, war bei Parteitagen, als sie sich noch zu dampfenden Massenveranstaltungen in Hallen versammelten, hat ihr Spitzenpersonal in Wahlkämpfen begleitet, bei Hintergrundgesprächen getroffen, Koalitionspartner und politische Gegner befragt. Vielleicht führt er deshalb schon auf Seite 22 den Begriff der „Biegsamkeit“ ein – nicht als Yoga-Klassenziel, sondern als politisches Attribut, das zum Regieren unverzichtbar sei. Biegsamkeit hätten die Grünen in Landesregierungen und ab 1998 im Kabinett Schröder beigebimst bekommen. Mit Baerbock und Habeck, kann man zusammenfassen, hat der Wille zur Regierungsfähigkeit die innere Mechanik der Partei ergriffen.Schultes Blick auf die Grünen ist wohlwollend und kritisch, teilt nicht die schlichte Entwertung, mit der Linke hinter Baerbock und Habeck eine „neoliberale Variante des Kapitalismus mit grünem Anstrich“ (Katja Kipping) sehen, er lächelt über die dauerbeleidigte Koch-und-Kellner-Haltung der SPD: Diese Dreierkonstellation ist tüchtig im Eimer. Und Schulte beobachtet die Nervosität, mit der CDU-Granden auf Geländegewinne der Grünen in der sagenumwobenen politischen Mitte der Gesellschaft reagieren und ihnen das Label „Verbotspartei“ an die Backe zu kleben versuchen.Im Kern untersucht Schulte die grüne Entwicklung als politische Kalibrierung, in deren Mitte die fast zwingende Konstellation Baerbock/Habeck steht. Ihnen schreibt er die Flügelbefriedung zu, genauso wie die Hinwendung zur Soziale-Medien-Paradedisziplin, zum „Storytelling“. Und nicht zu knapp: dabei eingekaufte Vagheiten und Ambivalenzen von Stil und Programmatik. Nun dringen nur noch „erwünschte Debatten (…) nach außen, das meiste bleibt hinter geschlossenen Türen verborgen. Ihre zur Schau gestellte Streitlust ist vor allem eine Inszenierung, ihr fehlt das Spontane und Ergebnisoffene, das echten Streit auszeichnet.“Zwei Kapitel sortieren theoretische Grundlagen, die aus einer habituell sehr abstehenden, systemkritischen Partei Schwiegersohn/Schwiegertochter-fähige Anwärter auf eine Bundeskoalition mit der CDU/CSU machen: Nach dem enttäuschenden Ergebnis des dezidiert linken Wahlkampfes von 2013 gewannen Positionen des Soziologen Armin Nassehi weiter an Einfluss („den Wert des Kompromisses und der kleinen Veränderung in den Vordergrund zu stellen, um das große Ganze zu beeinflussen“ sowie unkonventionelle Allianzen), und die vor allem von Ralf Fücks vorangetriebene Idee des „grünen Kapitalismus“. Während Habeck kapitelweise darüber nachdenkt, wie soziokulturelle Abwertung ganzer Milieus mit Bildung aufgefangen, Zölle und Abgaben ökologisch ausgerichtet werden könnten, rechnet Schulte der Partei ihre Hasenfüßigkeit vor: Eine faire Reichtumsverteilung ist für sie kein öffentliches Thema, sie verschweigen unbequeme Wahrheiten wie ökologisch gebotenen Verzicht, am Gefüge der warenproduzierenden Ökonomie wollen sie kaum schrauben. All das trage dazu bei, „eine Glaswand um die Dilemmata der Moderne zu errichten, unsichtbar, aber undurchdringlich“.In alldem hat Schulte auch ein Buch über uns geschrieben, die Wähler*innen. Einer realpolitisch gezähmten Partei ohne utopistischen Überschuss, einer, die uns nicht wehtut, sondern erzählt, dass wir fast so weitermachen können wie bisher, werden etwa 21 Prozent bei der nächsten Bundestagswahl zustimmen. Nähmen die Grünen Klimanotstand und Diskriminierung ernst, würden sie tiefe Einschnitte in Gesellschaft und Wirtschaft wissenschaftlich, eine progressive Flüchtlingspolitik moralisch begründen, so hätten sie keine Chance. Einvernehmen hin oder her.Placeholder infobox-1