Da ich ein Knabe war, im Frühling 1945, saßen wir in den Schützengräben vor Prenzlau und besprachen, von wem wir erobert werden wollten - Amis oder Russen. Die Amis waren uns lieber. Sie versprachen, was wir unter Freiheit verstanden: Rauchen, Saufen, Hotten, Weiber. Everything goes.
Die Faszination, die von der Kultur der USA ausging, habe ich in etlichen Texten beschrieben, zuletzt in meinem Roman Das Wespennest. Wir wussten fast nichts darüber, damals in Prenzlau, aber sie bewahrheitete sich in ihren Symbolen, als wir endlich im Westen waren: Der erste Straßenkreuzer, der erste Comic-Strip, der erste Kaugummi, die erste Musikbox, der erste Atompilz, der erste Jazz-Keller und später: der erste Joint.
Im Milieu des Western begriff ich, dass die Leute im ne
ch, dass die Leute im neunzehnten Jahrhundert ausgewandert waren, um dem Muff und der Enge der deutschen Provinz zu entrinnen. Die Kultur der Amis war das Andere, Neue, die Negierung alles dessen, was in Europa die Kultur so makaber machte.Sie war von Anfang an postmodern. Der Mann von der Military-Police war eine Ikone. Das Wesen der europäischen Kultur erschloss sich erst im Diskurs und musste erpaukt werden. An der US-amerikanischen war alles unmittelbar sichtbar, hörbar, spürbar und, was noch wichtiger war: sie provozierte. Der Alte, der mich anbrüllte, als ich mir heimlich die erste Ami-Kutte gekauft hatte: "Ich hab´ mir von denen sechs Jahre lang den Arsch aufreißen lassen und du rennst hier rum im Olivgrün meiner ärgsten Feinde!" Mit der Volkstanzgruppe Mährisch-Ostrau und Pfarrer Niemöller war das nicht zu schaffen.Es gab nur das bisschen französischen Existenzialismus, das Cinema della verità und viel AFN, als ich Abi machte. Wenn der Deutsch-Lehrer meinte, "Die Amis sind das einzige Volk der Erde, das den Weg von der Steinzeit in die Zivilisation ohne den Umweg über die Kultur absolviert hat", konnte ich nur stänkern. Den Bepop loben, das Action-Painting, Marlon Brando in Viva Zapata, Bourbon saufen, in Ami-Kneipen abhängen und Rock´n´Roll tanzen, behaupten, in den USA gebe es die besseren Dichter.Die europäische, die deutsche Kultur der letzten 50 Jahre verdankt den USA nahezu alles. Fast nichts ist hier aus eigener Kraft entstanden. Die Pop-Art und die Pop-Musik, die Protest-Songs und die studentischen Demos, die freie Liebe, die langen Haare, die E-Guitarre, die Öko-Bewegung und die Stadtguerilla, das neue Theater und der Autorenfilm, die Erfindungen in Wissenschaft und Technik - es stammt alles zu einem Großteil aus den USA.Wer denkt schon daran, dass jede Kultur ihren Dünger braucht? Im Falle der USA sind die ständigen Kriege und Menschenrechtsverletzungen, die ihre Regierungen seit zweihundert Jahren begehen, der Mist, auf dem die unvergleichlichen kulturellen Leistungen dieses Landes wachsen.Nicht die böse Hegemonie ist schuld, wenn die Menschheit sich seit Jahrzehnten dort drüben bedient - auch die Welt der Fundamentalisten und der Amok-Läufer. Europa lag längst im Sterben, als die Amis kamen. Sie kamen, 1917, 1941, noch dazu von Deutschland eingeladen, weil wir nicht fähig waren, unsere politischen Probleme zu lösen und moralisch versagt hatten. Dass Europa nur noch ein stinkender Leichnam war, wusste man vor hundert Jahren. Die sozialistischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts waren die letzte Chance einer Renaissance auf dem Kontinent. Sie wurde vertan.Was halte ich mit diesem Background von der Debatte über unser Verhältnis zu den USA? Hätte Mr. Rummsfeld Herrn Struck Zucker in den Hintern pusten sollen in Polen? Haben Sie Schröder etwa gratuliert? Hätten Sie Herta für eine Dame gehalten, die selber denken kann, wenn auch falsch?Ich beteilige mich nicht an Geisterbeschwörungen. Die Frage, ob man Bush mit Hitler vergleichen darf, ist tüterich. Man muss immer alles vergleichen. Das weiß sogar der Mann vom Media-Markt. Man darf nur nicht glauben, Hitler hätte Polen überfallen, um von seinen innenpolitischen Problemen abzulenken. Ein bekloppter Diktator hat keine. Ich würde es auch unterlassen Ramallah mit Auschwitz zu vergleichen. Man weiß nie, wer gewinnt. Aber das war keiner von Rot-Grün.Manchmal scheint mir, eine Menge Leute reden so, als bräuchten sie die USA oder die EU, um die Deutschen vor sich selber zu schützen. Als müssten wir fürchten, dass bald die Springer-Stiefel in Marschkolonnen aufs Verbundpflaster knallen und Schily Konzentrationslager für Ausländer bauen lässt, wenn die Amis und die Franzosen nicht auf uns aufpassen.Das hängt mit dem Konzept deutscher Sonderweg zusammen. Ich weiß nicht, wer den Kampfbegriff erfunden hat. Er ist dämlich. Dazu gehört übrigens die sogenannte Analyse, dass die Deutschen die bürgerlichen Revolutionen seit 1789 verschlafen hätten. Professoren, die sich selber als Jakobiner bezeichneten, liebten sie einst. Aber auch sie ist ein ziemlicher Unsinn. Die Weltgeschichte besteht seit Olims Zeiten aus Sonderwegen und kein Staatsmann hat je die Menschenrechte mit Löffeln gefressen. Es ist schön, wenn man alles möglichst einfach zu erklären versucht, aber nicht immer möglich.Zum Krieg gegen den Irak, der Anfang 2003 los gehen soll, fällt mir folgendes ein: Ob Bush innenpolitisch von irgendwas ablenken will, weiß ich nicht. Der US-Kapitalismus ist in der Krise seit ich denken kann und die sozialen Verhältnisse da drüben sind unter aller Sau. In den USA, meinte Jack London in Die eiserne Ferse, dauert es noch mindestens dreihundert Jahre bis zur nächsten Revolution, und wenn die Staatenlenker der restlichen Welt so weitermachen wie bisher und ihre Völker für´n Appel und ´n Ei verhökern, dauert es noch länger.Eher denke ich, dass die US-Oligarchie die Bush´n Cheney-Truppe so bescheuert agieren lässt, um zwei Dutzend machtloser Klein- und Mittelstaaten zwischen Ankara, Baku, Teheran und Kabul, Grosny im Norden und Mekka im Süden zu kontrollieren, zu denen eben auch der störrische Irak gehört. Menschenrechte und eine von dort ausgehende Kriegsgefahr sind nur der übliche Vorwand, der schon den alten Griechen und Römern einfiel.Also, dies fragt sich der Aufsichtsratsvorsitzende von Halliburton, Exxon-Mobil und Chevron-Texaco: "Warum sollen wir für die fuck´n germans den Zugang zu den Ressourcen und die terms of trade garantieren, wenn sie kein Schießeisen halten können?" Er hört es nicht gerne, wenn die deutschen Schlaumeier, die von den Vorteilen profitieren, die seine Weltmacht den Industrienationen verschafft, seinen Warlord dafür mit einem gewissen Hitler vergleichen. Sein Bush war nie so blöd wie Hitler, weiß aber, dass auch sein Karfiol-Trust nur geostrategisch denkt und versucht, was Weltherrscher seit jeher anstreben: Raum zu schaffen für seine Völker, um andere über den Tisch zu ziehen.Das macht die moralischen Appelle, doch bitte nur in den Irak einzufallen, wenn er wirklich Terroristen ausbildet und über Massenvernichtungswaffen verfügt, so lachhaft. Es geht nicht darum. Kein Staatsmann hat etwas gegen Terroristen, wenn er sie selber einsetzen kann, und auch nicht gegen Massenvernichtungswaffen, die er selber besitzt. Sie sind die Voraussetzungen der Macht.Ich kann mir nicht vorstellen, dass Schröder, Fischer und die übrigen Sozialdemokraten aller Parteien im neuen Bundestag nicht wissen, in welchem Maße Wohlstand, Ordnung und sozialer Frieden in Deutschland von der Weltpolitik der USA und ihrer ungehinderten Verfügung über die Bodenschätze, Handelswege und ökonomischen Potenziale der Erde abhängen.Wer Frieden und Menschenrechte will, muss sich abkoppeln vom System, das die Bush´n Cheney-Connection vertritt, und bereit sein zur Armut der Völker am Golf, in Zentralasien, im Mittleren Osten und im Kaukasus. Steinzeit? Ja, bitte! Die Alternative zum sozialen Wohnungsbau, wie wir ihn aus der dritten Welt kennen, ist das Tipi und das war aus Büffelleder und Büffel gibt es weniger als weiße Tauben. Die Klagen über den angeblichen Wohlstandsverfall in unserem Land zeigen: Wir haben uns längst entschieden für den Life-Style à la USA. Schröder und Fischer müssen da mitmachen. Sie würden den Ausstieg nicht überleben. Politisch.Im übrigen, frei nach Stalin: Die Bushs kommen und gehen, das Volk der USA bleibt bestehen. Da sind 25 Prozent schon gewöhnt an das Leben im Dreck.Peter O. Chotjewitz lebt als Schriftsteller in Stuttgart. Von erschien im Frühjahr 2002 in der Hamburger Europäischen Verlagsanstalt das Buch: Mord in Alexandria - Der Fall Hypatia" ein historischer Roman aus der Spätantike.
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