Auch wenn es mir ein bisschen peinlich ist, damit anzufangen: Ich bin, glaube ich, nicht das, was man „eine klassische Schönheit“ nennt. Attraktiv eher auf die harmlose Art eines Funny Valentine als nach dem Modell von Russ Meyers Supervixen. Ehrlich gesagt, habe ich so konkret nie darüber nachgedacht – bis ich nach Mexico City kam und diese Blicke mich trafen: seltsam feindselige und doch gebeutelt wirkende der Frauen. Und die Männer scannten meinen Körper ab, meist begannen sie bei den Haaren.
Ich bin blond. Das macht mich in Mexiko zur wuerra. „Bitte wie, bitte was?“, fragte ich, als ich das zum ersten Mal hörte. Sprach man mich auf auf la guerra, den Krieg, an, und wenn ja, auf welchen? Nein, wuerra bedeutet so viel wie „das Blondie“, wurde mir erklärt. Seit drei Jahren pendle ich zwischen Berlin und Mexico City, und inzwischen weiß ich, dass „die Blondine“ in Mexiko das lebendige Sinnbild für den Reichtum und die Übermacht Nordamerikas ist. Seit Jahrhunderten läuft zwischen den USA und Mexiko ein reger Austausch: Billige Arbeitskräfte, Bodenschätze, gutes Essen und Drogen kommen aus dem Süden in den Norden. Umgekehrt sind amerikanische Ideale wie Freiheit, Selbstvertrauen und Wohlstand nach Mexiko gewandert. Gerade Letztgenanntes ist zu einem Fetisch für die mexikanische Gesellschaft geworden.
Das Sprachproblem
So werde ich also als Wohlstandsblondine bestaunt, es wird gelacht, gekeucht, gegrinst, wenn ich einen Bürgersteig entlanggehe. Autos mit männlichen Insassen halten abrupt am Straßenrand, aus dem Innern pfeift und johlt man mir entgegen. Oder ich werde von einem Fahrer geschnitten, während ich eine Kreuzung überquere, und aus dem heruntergekurbelten Fenster schallt, betont lässig, ein weiteres wuerrita – oder ein mamita, chiquitita, bonita, perrita oder sonst ein Wort, das mit ita endet, dem spanischen Diminutiv. Die Aggression, die da mitschwingt, wird von der grammatikalischen Verkleinerungsform nicht übertüncht, im Gegenteil.
Schon nach kurzer Zeit wird klar, dass diese Art des „Flirtens“ kein lockeres Spiel ist. Mexikanische Feministinnen prangern das seit vielen Jahren an. Auch für einheimische Frauen gilt: Nie schauen Männer, die sich so äußern, einer Frau ins Gesicht. Keine Chance, auf direkte Art zu kontern: „Ja, ich bin eine heiße Mutter. Schönen Tag noch, Junge.“
Während man die Blicke und die verbalen Anmachen gerade noch so ignorieren könnte – Kopfhörer einstöpseln, Augenkontakt mit Passanten vermeiden –, gibt es eine Sache, die eine Frau in Mexico City nicht so leicht ausblenden kann. 226 Kilometer umfasst das Liniennetz der U-Bahn, hinzu kommen Tausende von Bussen, auch hochmoderne Metrobusse. Mehr als 1,5 Millionen Passagiere sind damit täglich unterwegs, meist sitzen oder stehen sie – gezwungenermaßen – eng aneinandergedrängt. Begrapscht zu werden gehört so zum alltäglichen Programm der Frau.
Tortas heißen die dick belegten Brötchen, die es an jeder zweiten Ecke an Fressständen zu kaufen gibt. Tortas werden auch die Pobacken von Frauen genannt – und tortear heißt das Verb dazu: einer Frau an den Hintern fassen. Fast jede Frau, die ich hier kennenlerne, hat ihre eigenen Torta-Geschichten zu erzählen. Rosa zum Beispiel, 62 Jahre alt und von einer Krebserkrankung schwer gezeichnet. Sie erzählt, wie Männer in überfüllten Bussen ihr unter den Rock fassen und ihr zwischen die Beine greifen: .„Ich war wie versteinert. Ich konnte nichts machen, gar nichts.“
Kleine Siege
Langsam, aber sicher wächst jetzt der weibliche Widerstand in dem erzkatholischen Land. Ja, auch das kommt aus den USA über die Grenze: Bilder von starken, manchmal sogar richtig angriffslustigen Frauen wie Charlize Theron im Kinofilm Mad Max IV, Cate Blanchett in The Hunting Ground oder Daisy Ridley in Star Wars: Das Erwachen der Macht. Mexikanische Feministinnen wie die superkritische, politisch links stehende Starjournalistin Carmen Aristegui würden jetzt stolz ergänzen, dass auch das Land selbst ganz starke Frauenfiguren in seiner (Kultur-)Geschichte kennt: von den aztekischen Wahrsagerinnen über die Nonne Sor Juana de la Cruz, die sich im 17. Jahrhundert in ihrer Poesie als Lesbe outete, über die kommunistische Revolutionärin Tina Modotti bis zur radikalen Künstlerin Frida Kahlo.
Immerhin wird über das Torta-Problem heute öfter gesprochen als zu Zeiten, in denen die kresbskranke Rosa noch ein junges Mädchen war. Und inzwischen gibt es ausgewiesene Frauenabteile in Bussen und U-Bahnen. Trotzdem erlebe ich tagtäglich, wie Männer ausgerechnet dort einsteigen. Einem dieser Herren tippte ich einmal auf die Schulter: „Verzeihung, aber Sie sind hier falsch, das hier ist das Frauenabteil.“ Keine Reaktion. „Señor?“ Meine Stimme wurde schrill. Er reagierte immer noch nicht. „Würden Sie bitte in den hinteren Teil des Zugs gehen, hier ist kein Platz für Sie!“ Schließlich murmelte der Mann, ohne sich zu mir umzudrehen, was mich das denn angehe und dass er ja bald aussteigen würde.
„Das Mädchen hat recht, das hier ist das Frauenabteil“, hörte ich plötzlich hinter mir. „Treten Sie nach hinten durch!“ Meine Unterstützerin war eine chaparrita, eine kleinwüchsige Frau von Mitte 50. Ein junges Mädchen in Schuluniform stellte sich zu uns und deutete auf ein Piktogramm, das eine durchgestrichene Männerfigur zeigte: „Aber da steht’s doch!“ Dann stimmten weitere Frauen ein: „Sie sollten gefälligst Respekt zeigen!“ – „Jetzt machen Sie schon!“ – „Unverschämtheit!“ An der nächsten Haltestelle verzog sich der Mann endlich. Wir Frauen schauten uns zufrieden an, ein bisschen stolz natürlich auch, und für ein paar Momente war da ein Gefühl von Gemeinschaft im Abteil, bis sich eine nach der anderen abwendete und schließlich ausstieg. Um wieder allein zu sein mit dem alltäglichen mexikanischen Sexismus.
Kommentare 8
bei "mexico" von "wohlstand " zu sprechen, ist schon ein wenig zynisch...
billiglöhner haben keine möglichkeit zu wohlstand zu gelangen.
Schade, dass auch hier schon wieder pauschale Urteile getroffen werden ("Muss noch viel lernen: der mexikanische Mann"). Zum Glück gibt es nur wenige mexikanische Flüchtlinge in Deutschland - ein solcher Artikel wäre Wasser auf den Mühlen des ausländerfeindlichen "Feminismus", der mit rechtspopulistischen Rassisten in einer Linie argumentiert.
Auch schade, dass die Autorin als Auftakt ihre eigene (Nicht-)Schönheit ins Feld führt - eine Wertkategorie, die selbst als negierte Koketterie anachronistisch wirkt. Möglicherweise ist das Schönheitsbild in Mexiko ein anderes. Möglicherweise erregt ihre helle Haut die Aufmerksamkeit vieler Männer in Mexiko Stadt, weil sie auf Wohlstand schließen lassen kann (auch das eine Pauschalisierung). Möglicherweise sind einfach alle Frauen in der Metropole an öffentlichen Plätzen einem Sexismus ausgesetzt, der relativ unabhängig von race und class, nur eben nicht gender ist. In jedem Fall ist dieser zu verurteilen, jedes Mal, ausnahmslos. Doch bitte ohne Pauschalurteile über die Männer eines ganzen Landes.
anzeige von pauschal-urteil: fehl-anzeige.
wem spezifische fixierungen der männer-welt,ob im in- oder aus-land (z.b.blondheit,helle haut,russ-meyer-schema) auf-fällig werden, und von epidemischem vorkommen berichtet, soll die klappe halten?
beim wahrnehmen, kommunizieren immer daran denken,wem was in den kram paßt, wem das als vorwand dienen kann?
respektlosigkeiten verschweigen: rassistische, soziale,geschlechts-bezogene?
das sind erkenntnis-fragmentierende sprech-verbote.oder?
wer vergleiche über längere zeit(bei mir 45 jahre) machen kann, dem fällt schon der auto-mobilisierungs-grad der mexis auf. fest-anstellung generiert klein-kredit-würdigkeit.
für viele ist: zu-essen-haben ein schritt voran. und das trotz bevölkerungs-wachstums.
der anteil dunkler ursachen des wirtschafts-wachstums ist nicht bezifferbar: narco-ökonomie entzieht sich der statistik.
zum beitrag von corinna: die fortschritte des zivilen gegen macho-willkür ist ein öffentliches bedürfnis geworden.
selbst kommerzielle tv-sender machen front (fuera!) gegen böse traditionen(muß man gesehen haben: senorita laura).
der hunger nach gerechtigkeit ist dem volk nicht zu nehmen: bei einer lebens-freude, die unsre geschichte längst verschlissen hat. oder? (pauschal gesprochen)
ihre betroffen-präzise beschreibung der mentalität, wie sie im öffentlichen alltag evident wird, hat mir sehr gefallen.
pkw-dichte ist kein wohlstandsindikator, denn die ist bspsw. ebenfalls in 3.welt-staaten in afrika angestiegen und eher einer inflationären absatz-wirtschaft zuzuordnen.
"kreditwürdigkeit" für billiglöhner ist kein wohlstand, sondern die verbliebene möglichkeit der geldanlage für kapitalsammelbecken der "1.welt", sowie ein weiterer schritt zur entmündigung und schrittweisen verschuldung.
wir leben auf kosten der billiglöhner dieser welt. hier macht sich die definition von "kapitalistisch wirtschaften" ( die differenz zwischen lohn und geleisteter arbeit ausbeuten) auf globaler ebene sichtbar.
eine feststellung der lebensverhältnisse ist nur im vergleich sinnvoll, da so manch subjektiver fortschritt lediglich das "abfallprodukt" bzw. unweigerliche konsequenz der handlungsweise der "1.welt".
mein persönl. vergleich bezieht sich auf wahrnehmungen in einem bestimmten zeit-ablauf.
inflationäre absatz-wirtschaft? die schein-wohlstand vorgaukelt?
kredit-wesen-teilhabe nicht von bedeutung?
wenn sie (muß nicht 3.welt sein) arbeitskraft an-mieten und deren mehrarbeits-vermögen ausbeuten, können sie wirklich auf deren kosten leben.
ansonsten sind sie nur ein unbedeutender konsument in der ersten welt, nicht system-relevant.
Oh je - gerade darum ist es so wichtig, die Freiheit in Deutschland zu erhalten.
Abteile für Frauen - das kann nicht mehr als eine Notlösung sein, wie in z.B. Indien auch.
Zeigt auch, wie bösartig und ignorant es ist, Frauenrechtlerinnen zu diskreditieren, wie wichtig Feminismus nach wie vor ist.
Frauenrechte als Menschenrechte anzuerkennen wär echt super..