Die CO2-Steuer erlöst uns nicht

Kapitalismus Eine Abgabe als Rettung vor dem bösen Klimawandel? So wird die Umweltkrise als Feind von außen inszeniert. Dabei ruft unser System sie hervor
Ausgabe 26/2019
Wenn das letzte Eis in der Arktis geschmolzen ist, wird auch dieser Mann verstehen, dass man Kunst nicht essen kann
Wenn das letzte Eis in der Arktis geschmolzen ist, wird auch dieser Mann verstehen, dass man Kunst nicht essen kann

Foto: Daniel Leal-Olivas / AFP / Getty Images, Installation, „Ice Watch“ vom Künstler Ólafur Eliasson und dem Geologen Minik Rosing, iStock

Unter den Dauerfrostböden, die ein Viertel der Fläche auf der Nordhalbkugel ausmachen, lagert doppelt so viel Kohlenstoff wie in der Atmosphäre. Tauen sie auf, gelangt massenhaft CO₂ in die Atmosphäre – sowie Methan, das 25-mal klimaschädlicher ist. Ein Kipppunkt im Klimasystem, der die Erderwärmung beschleunigen und unumkehrbar machen kann. Gerade haben Forscher entdeckt, dass die Permafrostböden rasanter schmelzen – 70 Jahre früher als angenommen. Für große Beunruhigung scheint diese Horrornachricht nicht zu sorgen. Weiter wird der Klimawandel als Zukunftsszenario empfunden, wovor „unsere Kinder und Enkel“ zu schützen sind. CDU und SPD hadern damit, dass sie dem Klimawandel-Erfolg der Grünen kein eigenes Thema entgegensetzen konnten. Jetzt beschränkt sich die klimapolitische Debatte weitgehend auf die Forderung nach einer CO₂-Steuer – die wird zum Allheilmittel aufgeblasen.

Sie soll klimaschädliches Produzieren und Konsumieren teuer machen und dafür sorgen, dass Industrie und Bürger von selber Kohlendioxid reduzieren, während Verbote von Kurzstreckenflügen oder SUVs, der radikale Umbau des Verkehrs- und Energiesektors oder der Landwirtschaft als nicht verhandelbar gelten. Darüber hinaus soll die CO₂-Steuer als Umverteilungmechanismus wirken: Während die Vermögen und Privilegien der Reichen unangetastet bleiben, sollen Ärmere durch eine Art Trickle-down-Effekt von der CO2-Steuer profitieren, indem die Abgabe wieder ausbezahlt wird. Eine seltsame Vorstellung von Gerechtigkeit, schließlich beträgt der CO2-Fußabdruck der Reichen mehr als 130 Tonnen pro Kopf und Jahr. Zehn Mal mehr als der Durchschnittsdeutsche und so viel wie 400 Bangladescher pro Jahr ausstoßen.

Die Beschränkung auf das Marktinstrument CO2-Steuer setzt am Ende einer langen Kette der Zerstörung an und ist Teil einer Entpolitisierung, wie ihn der belgische Geograf Erik Swyngedouw beschreibt: Der Klimawandel würde als ein Feind von außen inszeniert, der den Kapitalismus bedrohe. „Die Probleme erscheinen deswegen nicht als Ergebnis des Systems, eines Ungleichgewichts von Macht, einflussreichen Netzwerken der Kontrolle, zügelloser Ungerechtigkeit oder von fatalen Fehlern, die diesem System eingeschrieben sind – stattdessen wird ein Außenseiter verantwortlich gemacht.“ Dieser Eindringling könne nur von innen heraus, mit den Mitteln des Kapitalismus, bekämpft werden. „Mit anderen Worten: Wir müssen uns radikal ändern, aber im Rahmen der bestehenden Umstände, sodass sich nichts wirklich ändern muss“, schreibt Swyngedouw. Und CO2 ist die Währung der Green Economy, die suggeriert, dass unser System völlig in Ordnung ist und „Auswüchse“ technologisch in den Griff zu bekommen sind.

Was BP, Shell & Co. wollen

Aber wie beim grandios gescheiterten Emissionshandel ist die CO2-Steuer an die Zerstörung von Klima und Umwelt gekoppelt. Die Verschmutzer können sich ihr vermeintliches Recht auf Verschmutzung kaufen. Auch die CO₂-Steuer ist nicht vor dem Einfluss der Industrie gefeit: Die hat ihre Privilegien, die für all die Zerstörung verantwortlich sind, immer ordnungspolitisch durchgesetzt. Würde das Märchen vom freien Markt stimmen, hätten Airlines und fossile Energien kaum eine Chance, sie wären zu teuer. Sie sind groß und mächtig geworden, weil sie subventioniert wurden.

Dass der Ausstoß von CO₂ reduziert werden muss, steht außer Frage. Doch die Beschränkung auf CO₂-Bilanzen, schreibt der Co-Autor des Buches Kritik der grünen Ökonomie, Thomas Fatheuer, sei „ein Gegenentwurf zu einer umfassenden ökologischen und sozialen Transformation“. Mit Folgen: Zwar konnte die Autoindustrie ihren Ausstoß mittels Biosprit kleinrechnen – doch das führte zur Zerstörung von Regenwald für Palmölplantagen. Die Aufforstung von Wäldern zur CO2-Kompensation führt zu Landkonflikten im globalen Süden. Dass in Schweden die CO₂-Steuer so gut „funktioniert“, liegt mit am Energiemix des Landes, der zu 40 Prozent aus Atomkraft besteht, die sich auch hier wegen ihrer vermeintlichen „Klimafreundlichkeit“ in die Debatte schleicht. Gefährliche Technologien wie Geoengineering lauern ebenfalls am Horizont. Dafür setzen sich wiederum Ölkonzerne ein, die diese Technologien zur CO2-Reduktion nutzen könnten. Und so sind es auch BP, Exxon Mobile und Shell, die das „Climate Leadership Council“ mitgegründet haben. Das fordert vor allem: eine steigende Abgabe auf CO₂.

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