Die Dänen müssen verrückt sein, oder?

Coronakrise In der Debatte um eine Maskenpflicht dominiert nicht die Angst vor dem Virus, sondern die Angst vor den Behörden
Ausgabe 29/2020
Wer dieser Tage nach Bayern reist, erlebt einen Freistaat mit ungewohntem Antlitz
Wer dieser Tage nach Bayern reist, erlebt einen Freistaat mit ungewohntem Antlitz

Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images

Wer derzeit in Hamburg einen Zug in Richtung des dänischen Aarhus besteigt, kann kurz hinter Flensburg ein interessantes Phänomen beobachten. Alle Fahrgäste nehmen ihre Maske ab, denn sie sind in einem Land angekommen, in dem es die Pflicht zur Mund-Nase-Bedeckung nicht gibt, weder beim Einkaufen noch in öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Dänen müssen verrückt sein! Zumindest aus deutscher Sicht.

Denn wer ein paar Tage später weiter nach Bayern reist, erlebt einen Freistaat, in dem der Mundschutz sogar unter freiem Himmel getragen werden muss, etwa auf den Wochenmärkten oder auf dem Weg zum Tisch im Biergarten. Auch bei Bergwanderungen darf er nicht fehlen. Denn in der Stille ihrer Amtsstuben legten bayerische Beamte fest, dass auch im Außenbereich der Bergwirtschaften eine Maske getragen werden muss.

Mit dem Infektionsschutz kann das nichts zu tun haben, denn die Zahl der täglichen Neuinfektionen bewegt sich sowohl im maskenfreien Dänemark als auch in Bayern auf niedrigem zweistelligen Niveau. Dabei ist unser Nachbar im Norden kein Einzelfall. Auch Norwegen und Finnland haben sich gegen eine generelle Maskenpflicht entschieden und verzeichnen dennoch ein geringes Infektionsgeschehen. In den Niederlanden darf man maskenfrei einkaufen, am Wochenende bilden sich in der Grenzregion lange Staus in Richtung der holländischen Supermärkte.

Angesichts des Blicks in unsere Nachbarländer muss die Frage erlaubt sein, ob sich der staatliche Eingriff in die Gesichter aller Menschen hierzulande noch rechtfertigen lässt. Doch in der Diskussion um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme sind Maß und Mitte verloren gegangen. Nicht einmal in China gibt es eine Maskenpflicht. Dennoch wird hierzulande jeder kritische Einwand mit dem Verweis auf Leben oder Tod zurückgewiesen. Die deutsche Öffentlichkeit erlebt in dieser Hinsicht gerade ein Déjà-vu.

Als Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow am 23. Mai ankündigte, angesichts zahlreicher infektionsfreier Landkreise über die Abschaffung der Maskenpflicht beim Einkaufen nachzudenken, brandmarkten ihn Politiker und Medien als verantwortungslos. Bayern drohte gar Grenzkontrollen an. Als Österreich Mitte Juni die Maskenpflicht in Geschäften aufhob, hielt der bayerische Nachbar dann plötzlich still. Erst als es aus dem fast infektionsfreien Mecklenburg erneut einen Vorstoß zum Ende der Maskenpflicht Anfang August (!) gab, intervenierte die Bayerische Staatskanzlei erneut – zusammen mit zahlreichen Bundespolitikern. Doch weil sich die Diskussion diesmal nicht so leicht abwürgen ließ, ersann Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eine neue Vorgabe von weniger als 100 täglichen landesweiten Neuinfektionen für ein Ende der Maßnahme. Das war auch deshalb notwendig, weil alle bisher ausgegebenen Ziele in der Virusbekämpfung längst erreicht worden sind.

Doch in der Debatte regiert die Angst. Die Reaktion der Menschen im Zug nach Aarhus zeigt, es ist nicht mehr die Angst vor dem Virus, die sie zum Maskentragen bewegt. Es ist die Angst vor Behörden, die die vorgeschriebene „Solidaritätsgeste“ notfalls mit einem Bußgeld durchsetzen. Es ist die Angst von Geschäftsleuten vor den Kontrollbehörden eines Staates, der im Frühjahr gezeigt hat, wie leicht er ihnen ihre Existenzgrundlage entziehen kann. Und es ist die Angst von Politikern wie Markus Söder, der sich gerne mit seiner blau-weißen Maske zeigt – vor dem Gesichtsverlust.

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