Tocotronic gelten neben Blumfeld und Die Sterne als Ikonen des linken, deutschen Diskurspop. "Diskurspop" heißt: Text ist wichtig, Lied hat Aussage. Aber bitte: Niemals blöd. Texte von Tocotronic sind beliebt dafür, um wenigstens drei Ecken gedacht und mehrfach hin und her ironisiert und gebrochen zu sein. Mit ihrer neuen Platte fordern sie zur "Kapitulation" auf. Was mag gemeint sein?
FREITAG: "Harmonie ist eine Strategie" singen Sie auf Ihrem neuen Album. Verraten Sie uns welche?
DIRK VON LOTZOW: Das ist für mich eher negativ besetzt, in der Art einer marxistischen Maxime wie "Religion ist Opium fürs Volk". Zumindest soll es eigenartig klingen, ähnlich einem Filmtitel wie "Liebe ist kälter als der Tod". Harmonie ist ja nicht einfach etwas Nettes, sondern kann auch extrem nervig sein und strategisch im karrieristischen Sinne benutzt werden. Deshalb ist das eher ein verächtlich gemeinter Satz. Der soll den Rest des Songtextes kontrastieren und wenigstens so etwas wie eine Pseudodialektik hervorrufen. Das wird oft missverstanden, was ich aber auch ganz interessant finde.
In einem früheren Stück auf dem so genannten weißen Album hieß es: "Eins zu eins ist jetzt vorbei". Was meinte Tocotronic damit?
Das war ein Versuch, sich gegen diese Eins-zu-Eins-Interpretationen zu wehren. Gegen dieses, immer das allzu Naheliegende zu denken. Uns sind kompliziertere Sachen eben lieber als simplifizierende. Oder anders gesagt: Wenn Sachen in Schichten kommen, wenn man durch die verschiedenen Schichten vordringen kann, dann finden wir das interessanter als das allzu Buchstäbliche.
Als das Agitatorische und Propagandistische?
Plakativ-propagandistisch, das kann künstlerisch schon etwas sehr Reizvolles haben. Wenn man es bewusst einsetzt, kann man es ja auch wieder so ein bisschen brechen. Ich hab nichts gegen etwas plakativ Knalliges. Aber gegen das rein Illustrative.
Das neue Album trägt nun den Titel "Kapitulation". Im ersten Song singen Sie: "Mein Ruin das ist mein Ziel - Die Lieblingsrolle die ich spiel". Was ist ernst gemeint, was Camouflage bei Tocotronic?
Grundsätzlich ist alles ernst gemeint, aber Humor sollte immer mit reinspielen. Nicht, dass alles ein Witz wäre. Das wäre zu einfach. Aber egal wie ernst viele Sachen gemeint sind, man muss auch über sie lachen können. Das ist ein gutes Gegengift gegen das allzu Autoritäre in jeglicher Kunst. Je ernster man etwas sagt, umso lächerlicher wird es auch oft. Das finde ich hingegen ganz schön.
Von "Spex" bis "Spiegel" wird Ihr neues Album vorab bejubelt. Die Band sei rockiger und körperlicher geworden, der Ausdruck lyrisch und präzise. Wie passt die allgemeine Tocotronic-Begeisterung zur Politik-Abstinenz in der heutigen Popkultur?
Das Timing für das neue Album scheint mir ganz gut und antizyklisch gewählt. Viele Leute sind von der Abwesenheit des Politischen in der Popkultur genervt und beziehen sich gerne auf uns. Das kann allerdings manchmal auch schon wieder Kopfzerbrechen bereiten. Wenn dies zu einer neuen Konsensbildung im Feuilleton führt, obwohl die Platte dezidiert keine Konsensplatte sein will.
"Alles gehört Dir - Eine Welt aus Papier - Alles explodiert - Kein Wille - triumphiert", so derSchlussrefrain der Platte. Auf wie viele Weisen lässt er sich singen und interpretieren?
Keine Ahnung. Ich bin ja nicht derjenige, der die Sachen interpretieren muss.
Und wie ist er für Sie selbst zu verstehen?
Ich will damit sagen - "eine Welt aus Papier" - dass einem alles offen steht. Alles ist schon Literatur, bevor es zu Literatur wird.
Also künstlich, konstruiert ...?
Die künstliche Welt, die Welt der Kunst. Es ist alles schon da, man muss es sich nur nehmen. Dann ist da noch ein Witz drin, mit dem abgewandelten Leni-Riefenstahl-Zitat. "Triumph des Willens" hieß ihr schrecklicher Film. Daraus haben wir "Kein Wille triumphiert" gemacht. Eine Verballhornung und ein sehr schöner Schluss für ein Album, das sich "Kapitulation" nennt.
Und die Hörer, die das nicht auf die NS-Geschichte beziehen können?
Auch kein Problem. Die Leute, die´s merken, bekommen ein Surplus, einen Extraspaß, oder auch nicht. Aber das ist nichts Grundsätzliches. Nur ein Angebot, alles andere wäre wirklich zu autoritär. Das Stück wendet sich gegen einen autoritären Kunstbegriff, der meint, etwas mit seinem Willen schaffen, formen zu müssen. Ich behaupte: Es ist alles schon da, und man braucht´s vielleicht auch gar nicht mehr zu bearbeiten.
Aber der Riefenstahl-Titel wurde ja schon bearbeitet und abgewandelt ...
Das schon. Ich beziehe mich da auch auf den anderen Satz: "Eine Welt aus Papier". Das sagt im Prinzip: Das, was du um dich herum siehst, gehört dir schon. Du kannst alles in dich aufnehmen und musst es gar nicht mehr zu Kunst machen. Es ist das vielleicht an sich schon. Du gehst durch den Park und hörst die Vögel singen und sagst dir: Vielleicht brauch ich gar keine Musik mehr schreiben, vielleicht ist der Gesang der Vögel schon so schön, das ist es schon. Vielleicht ist alles um einen herum schon so sehr Kunst, dass man keine mehr machen muss.
Kürzlich haben Sie Ihre Songtexte zusammen mit Bildern von Cosima von Bonin, Sergej Jensen, Michael Krebber und Henrik Olesen in einem Künstlerbuch veröffentlicht*. Was interessiert Sie daran? Was bietet die Kunst, was Sie im Pop nicht finden?
Mich interessiert daran, dass es eben nicht Popmusik ist. Der Tänzer Michael Clark sagt es so: Ich möchte als Tänzer nicht dauernd nur mit anderen Tänzern zusammen sein. Der hat dann, glaub ich, mit The Fall zusammen gearbeitet. Und so finde ich es halt anregend mit bildenden Künstlern oder Filmemachern zusammen zu sein und von denen vielleicht etwas zu lernen. So kitschig das klingt: Ich bin ein großer Fan interdisziplinärer Arbeit
Aber warum ausgerechnet die Kunst und nicht die Universität oder andere Systeme?
Ja, ja die Universität. Sie wissen ja selber, dass Kunst ein hohes Maß an Theorie beinhalten kann.
Wie ist das bei den anderen in der Band? Teilen die Ihr Faible für künstlerische und diskursive Entwürfe?
Jeder auf seine Art, auch wenn es nicht immer die Kunst ist. Arne ist Mitinhaber einer Off-Galerie in Hamburg. Aber diese Art von Kunstszene, die ich meine, ist ein sehr berlinerisches Phänomen. Diese starke Überschneidung von Subkultur und Kunstwelt.
Ist es selbstverständlicher Bandkonsens, auf einem Antifakonzert zu spielen, oder ein Stück für den G 8-Protestsampler beizusteuern?
Bei der Antifageschichte vor zwei Jahren sicherlich. Da hatten wir am 8. Mai, dem Tag der Kapitulation von Nazideutschland, auf dem Alexanderplatz in Berlin gespielt. Da ging es gegen diese Geschichtsklitterung der Deutschen als der eigentlichen Kriegsopfer. Das war wirklich eine sehr gelungene Umsonst-Veranstaltung. Und bei dem G 8-Sampler, da muss ich jetzt sagen, das war noch die eleganteste Lösung, weil wir dort in Rostock-Heiligendamm nicht spielen wollten.
Warum nicht?
Das schien uns zu ambivalent, viele Seiten an dem Anti-G 8-Protest zu uninteressant und inhaltsleer. Da geht es auch um Stilfragen. Ich hab keine große Lust, mit Herbert Grönemeyer auf einer Bühne zu stehen. Es muss auch nicht zu jeder Demonstration noch eine Band spielen. Das ist mir zu eventmäßig. Das Politische tritt ja schnell in den Hintergrund dabei. Man kann doch auch demonstrieren, ohne dass da noch so ´ne blöde Rockband auftritt.
Zurzeit tourt Tocotronic auf allen möglichen Festivals durch den Sommer. Ist es nicht hart, immer wieder vor Tausenden zu stehen, deren musikalische Zuneigung man sich erst erschließen muss?
Es ist eigenartig. Wir sind keine sehr typische Festivalband. Wir beherrschen nicht diese kräftigen Gesten, diese Pulikumsanimation. Diese ganze Festivalkultur ist uns eher suspekt. Künstlerisch ist diese Deplatziertheit aber immer wieder auch interessant und klar: Hier geht´s ums Geld.
Und wenn Sie, "Aber hier leben, Nein Danke", den Hit vom letzten Album anstimmen, wie reagieren die Leute bei diesen Massenevents?
Es kommt sehr darauf an. Es gibt auch weniger mainstreamige Festivals wie das Immergut bei Berlin oder Melt in Dessau. Da gibt es ein dezidiert Indie-sozialisiertes Publikum. Da sind wir schon eher der Fisch im Wasser.
Das Gespräch führte Andreas Fanizadeh.
* Dirk von Lotzow: Dekade 1993-2007. Galerie Daniel Buchholz, Köln 2007, 112 S.,
28 EUR
Das neue Album Kapitulation von Tocotronic, Buback, 16,98 EUR, ist seit 7. Juli im Handel.
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