Die DDR kommen lassen

Ost-West-Feier Zwanzig Jahre Deutsche Einheit lassen sich auch ohne Ossis feiern: Was ich mit dem Weinkenner Stuart Pigott auf dem hessischen "Ball des Weines" in Wiesbaden erlebte

Was Erich Honecker jahrelang nicht vermochte, gelang überraschenderweise am 25. April 2009 dem VDP (Verband Deutscher Prädikatsweingüter). Anlässlich des an diesem Tage im Wiesbadener Kurhaus stattfindenden 9. "Ball des Weines" wollte ich mein altes FDJ-Hemd freiwillig tragen! Unter dem Motto „Die Freiheit zu Genießen – Genuss ohne Grenzen“ sollte der deutsche Wein, namentlich der des VDP ins rechte Licht gesetzt werden. 20 Jahre Mauerfall dienten als roter Faden, und so bewarb man die Galakarten (Preise zwischen 195 und 650 Euro) mit „Ostalgie in allen Sälen“, „Trabicorso vor dem Kurhaus“ und einem Auftritt der Ostband „Die Prinzen“.

Stuart Pigott und ich waren als Gäste geladen und durften vorher an einer Audienz beim Schirmherren der Veranstaltung, Ministerpräsident Koch, im Hotel „Nassauer Hof“ teilnehmen. Der Organisator des Balls, Michael Prinz zu Salm-Salm (Ex VDP-Chef und jetziger Ehrenpräsident) stellte sich mir bei dieser Gelegenheit bescheiden als „Michael Salm“ vor, erlaubt aber langjährigen Weggefährten, ihn einfach "Prinz" zu nennen.
Nach Sekt und Canapes bewegte man sich, teils fußläufig, teils in Trabis fahrend, zum Kurhaus, vor dem, dank Vermittlung des anwesenden Bundesverteidigungsministers Jung, ein Stück originaler Berliner Mauer aufgebaut war. In elegante Abendrobe und Smoking gehüllte Teilnehmer deuteten vor dieser Mauer Kletterbewegungen an und ließen sich von einem uniformierten Volkspolizisten mit hessischem Dialekt fotografieren, bevor man sich zu Tisch begab.

Unter Ausschluss ostdeutscher Protagonisten wurden nun die obligatorischen Reden gehalten. Ministerpräsident Koch freute sich über die gewonnene Freiheit, grenzenlos genießen zu können und mahnte, die Bundeswehrsoldaten nicht zu vergessen, die an der gefährlichen innerdeutschen Grenze Dienst getan hätten, für Michael Salm ging ein Lebenstraum in Erfüllung, da er sich als kleiner Prinz immer gewünscht hatte, mit großen Prinzen auf der Bühne zu stehen und Dr. Georg Prinz zur Lippe, der Anfang der neunziger Jahre das bei Meißen gelegene Weingut Schloss Proschwitz zurückgekauft hatte, war so frei, einen Teil seiner Rede auf Sächsisch zu halten.

Koch klatscht zum Prinzen-Schwein

Beachtenswert war außerdem, dass man zum Dinner sechs westdeutsche Weine reichte, die auch von ostdeutschen Kellnern serviert werden durften, dass Ministerpräsident Koch zum Prinzenlied Du musst ein Schwein sein stehend und rhythmisch mitklatschte, während man zum Lied Ich wär’ so gerne Millionär Kerzen schwang, sowie die Bemerkung vom Prinzen, man müsse sich das mal vorstellen: Dieses Haus sei noch vom Kaiser eingeweiht worden und nun schlügen wir uns hier mit kleinen Prinzen ’rum.

Jahre nach ’89 hatte man sich den Osten so richtig kommen lassen! VDP-Präsident Steffen Christmann wollte später, abgesehen von der Tatsache, dass Weine der Mitgliedsbetriebe ausgeschenkt wurden, mit dem „gesellschaftlich hochkarätigsten Weinereignis Deutschlands“ offiziell nichts zu tun gehabt haben. Auf der VDP-Internetseite allerdings tritt jener als Veranstalter auf und auch im Logo des Balls wird er sichtbar. Die Geschäfte wickelt offenbar die „Ball des Weines AG“ ab, zu deren Vorständen auch die Geschäftsführerin des VDP gehört. Mir ist nicht bekannt, wer die Aktionäre sind.

Wer glaubt, solcherlei Skurrilitäten können nur im Westen blühen, der irrt. Noch vor Mauerfall spielte sich in der DDR, wie ein Freund eines Freundes zu berichten wusste, folgendes ab: Den Wehrdienst leistend, musste seine gesamte Kompanie im Winter in kurzen Hosen antreten. Es kam ein Offizier, der die Beine der Soldaten begutachtete und die zehn Jungs mit den dicksten Waden abführte. Sie wurden in ein Waldstück gebracht, in dem ein bayowarisches, blau-weiß geschmücktes Bierzelt stand. Die Dickwaden bekamen Krachlederhosen und Trachtenhemden verpasst und mussten einen Abend lang, Masskrüge schleppend, so tun, als seien sie Almbuben. Zu bayrischer Live-Blasmusik tafelte an Holztischen niemand anderes, als das Mitglied des Politbüros des ZK der SED und Abgeordnete der Volkskammer, Träger des Karl-Marx-Ordens, der Minister für Nationale Verteidigung Genosse Armeegeneral Heinz Keßler mit der versammelten militärischen Elite des Landes. Jahre vor ’89 hatte man sich den Westen so richtig kommen lassen!

Stuart Pigott, 1960 in London geboren und seit 1993 in Berlin lebend, zählt zu den weltweit bedeutendsten Weinkennern und -kritikern. Er ist Kolumnist der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und Autor zahlreicher Weinbücher, wie Planet Wein, Wilder Wein und Wein spricht deutsch. Gemeinsam mit Hugh Johnson gab er den Atlas der deutschen Weine heraus. In seiner Funktion als Weinautor war er zum Ball des Weines mit einer Begleitperson seiner Wahl geladen. Diese war:
Roy Metzdorf, 1964 in Berlin-Mitte geboren und seitdem mit Unterbrechungen in Berlin-Friedrichshain lebend. Metzdorf gründete 1993 mit Familienangehörigen und Freunden das Weinstein-Prenzlauer Berg (Wirtshaus und Weinhandel). 2001 wurde es im Kleinen Johnson als bestes Weinlokal Deutschlands tituliert

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