Die Demokratie als Trick

Spanien Wie mit einem Griechenland-Votum im Madrider Parlament Wahlkampf betrieben wird
Ausgabe 30/2015
Mariano Rajoy hat die zum Jahresende anstehenden Nationalwahlen im Blick
Mariano Rajoy hat die zum Jahresende anstehenden Nationalwahlen im Blick

Foto: Denis Doyle/Getty Images

Regierungschef Mariano Rajoy will das Parlament über die Griechenland-Hilfen abstimmen lassen, voraussichtlich im August. Seine Volkspartei (PP) verfügt über die absolute Mehrheit, und Oppositionsführer Pedro Sánchez hat ein Ja der sozialistischen PSOE zugesichert. Also kein Risiko, zumal das Votum laut Verfassung nicht notwendig ist.

Dass er trotzdem abstimmen lässt, begründet Rajoy mit den hohen Summen, für die Spanien bei einem neuen Griechenland-Deal bürgen müsse: etwa zwölf Prozent der ins Auge gefassten 86 Milliarden Euro. Tatsächlich aber ist die Stimmabgabe innenpolitisch motiviert, hat sie mit einer sich umwälzenden Parteienlandschaft und den zum Jahresende anstehenden Nationalwahlen zu tun, bei denen die PP wohl straucheln dürfte.

Rajoy reagiert auf massive Proteste aus der linken Podemos-Bewegung, die sie unter dem Hashtag #ThisIsACoup verbreitet. Für Podemos und andere Oppositionelle sind die Griechenland-Auflagen ein Coup mit klar deutscher Handschrift und ein Putsch gegen die Syriza-Regierung. Angesichts dieser Stimmung hält es Rajoy für geboten, gegenüber Angela Merkel nicht mehr übertrieben erbötig zu sein. Lieber zieht er Parallelen zwischen Syriza und Podemos und weckt Ängste vor chaotischen Zuständen wie in Griechenland, sollte Podemos in Madrid mitregieren. Deren Galionsfigur Pablo Iglesias, der Alexis Tsipras bisher unterstützt hat, betont denn auch eilig: Spanien und Griechenland seien nicht zu vergleichen.

Was nichts daran ändert, dass es auch in Spanien ein Spardogma gibt, das Kritiker und Betroffene austericidio nennen, übersetzt: Selbstmord durch Sparen. Es ist richtig, dass Madrid anders als Athen wieder Geld auf dem Kapitalmarkt beschaffen kann, das Land durch keine Troika überwacht wird und sich die ökonomischen Daten bessern. Doch erst für 2017 wird eine Rückkehr zu der Wirtschaftsleistung erwartet, wie sie 2008 erbracht wurde, als die Immobilienblase platzte. Es gibt keine relevante Wachstumsbranche, die Binnennachfrage ist schwach, und Investitionen kommen vornehmlich aus dem Ausland. Die Arbeitslosigkeit lag laut OECD im Mai bei 22,5 Prozent und trifft bei den unter 25-Jährigen jeden zweiten. Im Vorjahr sind gut 500.000 Jobs entstanden, was die mit der Krise erlittenen Stellenverluste nicht aufwiegt. Stattdessen wird der Sektor prekärer Beschäftigungen weiter aufgebläht.

Der Braindrain junger, gut ausgebildeter Spanier auf der Suche nach einem Job im Ausland hält an und liegt höher als in jedem anderen westeuropäischen Land. In der EU verlassen sonst nur mehr Polen, Rumänen und Griechen ihre Heimat. Überdies beklagt die Plattform der Hypothekengeschädigten (PAH), dass wegen der Zwangsräumungen nunmehr eine halbe Million Haushalte kein Heim mehr haben.

Maria Beneyto, Sozialarbeiterin in der Provinz Valencia, hat täglich mit den Folgen der Austeritätspolitik zu tun. „Die Einschnitte im sozialen Bereich seit 2012 sind furchtbar. Hilfen beschränken sich auf die überlebensnotwendige Armutsbekämpfung – es gibt einfach keine soziale Intervention mehr. Kulturelle Netze werden systematisch vernichtet.“ Die Volkspartei würde den Zugang zu gesetzlichen Leistungen, etwa zur Versorgung abhängiger Personen, gezielt beschneiden, so dass sich Familien gezwungen sähen, ihre Angehörigen aus Pflegeheimen nach Hause zu holen.

Die Sozialarbeiterin wundert sich über den Stoizismus einer verarmenden Bevölkerung: „Das geht so weit, dass sie die Politik verteidigen, weil doch schließlich kein Geld da sei. Entweder hat diese Autoritätshörigkeit immer noch mit dem Franquismus zu tun oder die Leute arbeiten schwarz und kommen irgendwie über die Runden. Es kommt vor, dass sie die Großeltern aus dem Altersheim holen und von deren Rente leben. Aber man findet sich eben damit ab und fragt nicht nach, was die Institutionen mit den Steuergeldern gemacht haben.“

Der Ease-of-Doing-Business-Index der Weltbank platziert Spanien bei der Steuermoral hinter Griechenland. Korruption schädigt die Wirtschaftsleistung längst nachhaltiger als der marode Immobiliensektor. Auch das kann die PP ihr Regierungsmandat kosten. So versucht Premier Rajoy, mit dem Griechenland-Votum Druck von links aufzufangen und mitzuteilen: Wenn ich weiter Verantwortung trage, bleibt Spanien ein griechisches Schicksal erspart.

Verena Boos schrieb zuletzt über die bis heute Verschwundenen des Bürgerkrieges

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