Das Internet wird 40, der Mosaic-Browser, der Brandbeschleuniger des World Wide Webs wird 20 und das soziale Netzwerk Facebook bereitet sich auf seinen zehnten Geburtstag vor. Die digitale Vernetzung hat Millionen von modernen Arbeitsplätzen geschaffen und Millionen vernichtet, genaue Zahlen gibt es nicht. Der technische Fortschritt produziert Smartphones, bei denen ein einziges Gerät die Rechenleistung aller vier Computer übertrifft, die die ersten Knoten des Internet bildeten. Dieses ausfallsicher konzipierte Netz ist ungeheuer erfolgreich gewesen.Doch hat die gesamte IT-Technologie wenig verändert: Eine gerechtere Gesellschaft ist nicht entstanden.
Deutschland im Jahre 2013: Nach dem im Bundesrat durchgewunkenen Leistungsschutzrecht, nach der polizeifreundlich geregel
ch geregelten Bestandsdatenabfrage kann man kritische Töne von jenen lesen, die vom Internet die Lösung aller Probleme erwarteten. Die Netzgemeinde habe versagt, verkündete etwa Spiegel Online und lieferte gleich eine Definition mit: „Ein paar tausend Leute, die mutmaßlich im weitesten Sinne ähnlich denken“. Natürlich fehlte auch die Mahnung nicht, dass man sich breiter aufstellen und Themen aufgreifen müsse, die die mutmaßlich im weitesten Sinne ähnlich denkenden Massen begreifen und zum Handeln treiben. Wenn genügend Menschen es nur wollten, entfalte das Internet sein Potenzial als Bürgermedium.Optimistische Netzpolitiker wie die Paladine der Gründerszene verschwenden keinen Gedanken daran, ob das Internet eine Technologie sein könnte, die bestehende Ungerechtigkeiten zementiert. Dass die zunehmende Vernetzung, die geoschlauen Smartphones, Big Data und die „Quantified Self“-Bewegung zur allumfassenden Überwachung führen kann, gegen die der weltbeste Datenschutz machtlos ist.Eine konservative TechnologieAuffällig ist, wie kritisches Nachdenken über die technologische Entwicklung an den Rand gedrängt wird. Was auf Konferenzen wie TED und SXSW als neuester Trend präsentiert wird, wird bejubelt, während es in den 90er Jahren noch Versuche gab, die „kalifornische Ideologie“ als Blendwerk zu enttarnen. Eine der wenigen ideologiekritischen Stimmen, die noch zu hören sind, ist die von Evgeny Morozov (siehe Interview S. 6).Erwähnt man Morozov auf einschägigen Treffen der Digeratis, werden die Augen gerollt. Bestenfalls gibt es Witze aus der Morozov-Jarvis-Debatte, die niemals eine ernsthafte Diskussion war, weil der Journalismus-Professor Jeff Jarvis einfach immer alles toll findet, wenn Daten von Personen zu neuen Geschäftsmodellen verdichtet werden. Morozov zitiert einen der typischen Jarvis-Sätze als Motto gleich in der Einleitung seines Buches To save everything, click here: „Complexity is a solvable problem in the right hands.“Für Morozov aber geht es darum, diesen „Solutionismus“, den Lösungsfetischismus, zu bekämpfen, der mit der Digitalisierung des Alltags die herrschende Ideologie geworden ist: Der Glaube, dass es computerisierbare Lösungen für alle Probleme der Welt gibt, behindert gesellschaftlichen Fortschritt. Das Internet ist eine konservative Technologie, die konservierende Lösungen produziert.Der Glaube hat viele Facetten, einige tragen „Open“ im Namen wie ein Banner des Fortschritts. Open Source und Open Data sind nicht das Hauptthema von Morozovs Buch, illustrieren aber gut das zeitgenössiche IT-Problem. Quelloffene Programme, die jeder Kundige auf Hintertürchen prüfen kann, jeder Meister verbessern kann. Offene Daten aus der Verwaltung, die allen gehören und jeder mit seinen Programmen auswerten kann. Für sich genommen sind beide Ansätze wunderbare Ideen, doch je nach Kontext produzieren sie keine fortschrittlichen Lösungen, sondern konservieren bestehende Strukturen oder erzeugen gar neue Ungerechtigkeiten.Da gibt es die Ausweis-App, das Programm, mit dem der deutsche elektronische Personalausweis ausgelesen und die Identität des Bürgers über das Internet übertragen werden kann. Nach dem erklärten Willen der Bundesregierung ist diese 90 Megabyte große App Open Source, doch selbst die Fachleute sprechen von einem Haufen Gefrickel. Keiner blickt durch, mit der Konsequenz, dass niemand ausschließen kann, dass das Programm nicht doch Überwachungsfunktionen enthält.Keine große VisionIn Indien wurden Grundstücksdaten einiger Verwaltungsbezirke im Zuge als Open Data veröffentlicht. Dies nutzten Investoren aus, um systematisch Grundstückslücken zu suchen und zu kaufen, über die als rotierendes Eigentum in turnusmäßigen Verhandlungen zwischen den Dorfältesten benachbarter Dörfer mündliche Verträge geschlossen waren. Die guten Weidegebiete, die zwischen den Dörfern liegen, gehören nun denen, die per Open Data räuberten.Seit geraumer Zeit arbeitet Google an dem Projekt, ein selbstfahrendes Auto zu entwickeln. Die Firma hat die aktuellsten Straßenkarten der Welt. Sie bilden zusammen mit den Bewegungsdaten der Android-Smartphones und Google Glasses die Grundlage für die nächste digitale Revolution. Wenn es in zehn Jahren solche Autos geben wird, werden Millionen Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren, natürlich im Namen der Sicherheit. Eric Schmidt, der „elder Statesman“ von Google, warnt bei jeder Gelegenheit davor, wie gefährlich der heutige Straßenverkehr ist.Ob Google Brumm, ob Internet oder Facebook: Wie kein zweites Mal in der IT-Technologie war die Entstehung des Personal Computers mit der Hoffnung verknüpft, ein Gegenstück zu den totalitären Großcomputern der Konzerne sei gefunden. Er sollte die Menschheit befreien, Gleichheit für alle Rassen, Glaubensrichtungen, Minoritäten und Klassen bringen. Diese erhabenen Sätze schrieb David Bunnell in das Benutzerhandbuch eines der ersten PC, des Altairs der Firma MITS im Jahre 1974. Schon knapp zehn Jahre später zog Bunnell eine pessimistische Bilanz: „Anstelle die Standesunterschiede zu zerstören, hat der PC ein neues Kasten-System geschaffen, basierend auf dem privilegierten Datenzugriff. Er hat eine Art Berliner Mauer aus Drähten geschaffen, die die informationstechnisch Verarmten ausgrenzt.“Der ehemalige SDS-Aktivist Bunnell beließ es nicht bei diesen Worten, sondern verfasste den Aufruf The Participatory PC. Im Kern ging es darum, alle Personal Computer miteinander zu vernetzen, auf das man sich an allen Diskussionen beteiligen könne, verbunden mit der Warnung, dass eine unbedachte Vernetzung direkt in den Überwachungsstaat führen könne. „Wir müssen raus aus den Sesseln und das Feld verteidigen. Wenn wir es diesmal nicht tun, werden wir alle, die die große Vision des Personal Computing teilen, vollkommen desillusioniert dastehen.“All das gilt auch für die „Netzpolitik“ von heute, wenn sie breiter aufgestellt sein will. Es ist eine gute Zeit, die gesellschaftliche Debatte um die neuen IT-Technologien zu führen und die Versprechen von Google und Co auf den Prüfstand zu stellen. „Wenn wir es richtig anstellen, können wir alle Probleme der Welt lösen“, behauptete Eric Schmidt. Genau das ist die Frage.
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