Baz Luhrmann, Tobey Maguire und Leonardo DiCaprio am Set
Foto: Douglas Kirkland/ Bazmark Film III PTY Limited
Für und mit The Great Gatsby möchte man Englisch gelernt haben, um zu erkennen, dass der Roman nicht zu übersetzen ist. F. Scott Fitzgeralds Buch ist nicht nur unübersetzbar in andere Sprachen, er ist noch mehr unübersetzbar in andere Medien. Das soll nicht heißen, dass man es nicht immer wieder versuchen muss.
Baz Luhrmanns The Great Gatsby ist die vierte Hollywood-Version des Stoffes. Keine ist über eine mehr oder weniger werknahe Illustration hinausgekommen, von einer geschwätzigen Fernsehvariante ganz abgesehen. Mit der bangen Frage, wie die Chemie schauspielerisch und inszenatorisch zu erzeugen sein würde zwischen Tom und Daisy Buchanan und Jay Gatsby, der, wie wir wissen, anders heißt und ein amerikanischer Traum und Albtraum ist. Und
Traum und Albtraum ist. Und welchen Rhythmus die Verfilmung finden würde. Die wohl berühmteste, von Jack Clayton und Francis Ford Coppola mit Robert Redford, Mia Farrow und Bruce Dern, setzte auf eine todessehnsüchtige Verlangsamung; sie stand am Ende der Hippie-Aufbruchsträume und löste eine Mode- und Designmanie aus, die man damals als „Nostalgie-Welle“ medialisierte. Der „Gatsby-Look“ machte die Runde; Robert Redford war schön und unnahbar und doch im Inneren so verletzlich und verletzt durch die Liebe, und Mia Farrow war schön und oberflächlich und litt daran.Nun also Leonardo DiCaprio und Carey Mulligan, und Baz Luhrmann, der Berserker des Cinema du look, setzt auf Beschleunigung, 3-D-Effekte, Comic- und Musical-Ästhetik; er verfilmt den Gatsby nicht, er lässt uns Partikel des Romans um die Ohren fliegen. An seinem Red Curtain-Filmstil (diesen Begriff wählte Luhrmann selbst einmal) scheiden sich die Geister. Einerseits geht es um die Verbindung von Bühnen- und Filmräumen: Kino als kreisendes und tanzendes Durchmessen radikal künstlicher Räume, die exzessive performative Brechung jeglicher realistischer Filmhandlung, der Schauwert als l‘art pour l’art, eine Design-Attacke am Rand der Obszönität, mehr entfesselte Kamera bei einem überlangen Music-Clip als Spielfilm.Baz Luhrmann ist im Herzen ein Bühnenregisseur geblieben, zugleich aber besessen von der Öffnung des Raums. Wie in einem Bollywood-Film sind Musik und Tanz nicht „organisch“ in die Handlung integriert, sondern gleichwertige Ausdrucksmittel. Schauspieler sind keine „Personen“, sondern Performer von Formen und Farben, vollkommene Oberfläche. Nirgendwo behauptet ein Baz-Luhrmann-Film, die „Realität“ abzubilden. Der Plot ist eigentlich nur roter Faden der Choreografie und gelegentlich eine Beleidigung für die narrative Intelligenz des Publikums.Andererseits geht es beim Red Curtain-Stil aber auch darum, die Zuschauer in ein Geschehen hineinzuziehen, eher filmische Skulptur oder Happening als Erzählung in Bildern. Der kinematografische Exzess als Fluchtpunkt und auch als Befreiung aus der Tretmühle des psychologischen Realismus, und wenn es jemand hätte schaffen können, den größten Fehler aller bisherigen Gatsby-Verfilmungen, den falschen Respekt vor der Vorlage, zu überwinden, dann Luhrmann. Von William Shakespeares Romeo und Julia (1996) übers Pariser Moulin Rouge (2001) ins New York des Jazz Age: Luhrmann erzählt Geschichten von unglücklicher Liebe als Bilderrausch und Achterbahn. Aber ach, die Künstlichkeit seiner Filme führt nie zu einem Bewusstsein von der Künstlichkeit.Konfetti und SektduschenZu hoffen, ein Film wie der von Baz Luhrmann könne eine eigenwillige Lektüre des Romans bieten, in ihm Entdeckungen machen, Figuren und Beziehungen interpretieren, herausarbeiten, was zwischen den Zeilen geschieht, überhaupt eine Haltung einnehmen gegenüber dem Text – das hieße den Red Curtain-Stil gründlich missverstehen. Der Roman ist für den Regisseur und Co-Drehbuchautor, der wie immer mit Catherine Martin, seiner Ehefrau als Designerin (und als Produzenten-Team) arbeitet, Anlass für die Idee des Zeichen-und-Wunder-Kinos. Design und Regie als Einheit.Und so haben wir den supermanieristischen, pink-weißen, computergenerierten, Hip-Hop-, Werbeclip-, Disneyland-, Pop-Up-, Konfetti- und Sektduschen-Gatsby auf Speed, einen Trip in die Oberflächenwelt des Romans, eine Schneekugel-Version des Buchs. Das mag zunächst ein traditionelles Modell von Respekt und Demut beim Verfilmen großer Literatur unangenehm berühren. Langweilig ist es erst einmal nicht.Das wird es mit der Zeit, wenn sich die Effekte erschöpfen, wenn man bemerkt, dass jedes tiefere Interesse an den Figuren abprallen wird und dass Baz Luhrmann seiner eigenen Methode nicht genug traut, um uns wirklich over the edge zu führen, so wie er uns mit gelungenen 3-D-Effekten unterhält, um Dialogszenen absurderweise in konventionellen Schuss/Gegenschuss-Schnitten aufzulösen.Nicht, dass es nicht doch interessante Abweichungen vom Kanon der Gatsby-Ikonografie gäbe. Nicht so sehr die etwas lahme Idee, den Erzähler Nick Carraway, den Tobey Maguire mit der gewohnt melancholischen Naivität gibt, die Geschichte (unter Anleitung eines Psychologen, der ihn von seiner Alkoholsucht heilen soll) niederschreiben zu lassen und so mit der Figur des Autors zu verschmelzen. Interessanter wird es, wo die Modernisierung über die formale Ebene hinausgeht: Noch ist die Welt des großen Gatsby von einer radikalen, bösartigen Whiteness beherrscht. Tom Buchanans aggressiver Rassismus verrät diese Konstruktion der Schneekugel, und Baz Luhrmann öffnet nicht nur durch die vollkommen anachronistische Musik von Jay-Z oder Beyoncé ein „schwarzes“ Fenster auf das Jazz Age.Auf der anderen Seite fehlen Bilder des Romans, die etwas hinter der unglücklichen Liebesgeschichte sichtbar machen, die Verweigerung der guten Gesellschaft, am Begräbnis des Emporkömmlings teilzunehmen, der Auftritt von Gatsbys Vater mit seiner unbeholfenen Mischung aus Stolz und Trauer, die Spuren zum jüdischen Gangstertum, der offene Rasen zwischen Gatsbys Palast und Carraways Hütte: Das Geschlossene und das Offene dieser Gesellschaft, das gleichzeitige within und without, Auflösung und Wiederherstellung der Klassenschranken, kurzum eine Struktur der Macht – man kann sie nur ahnen. Das Ende von The Great Gatsby ist nicht bloß Tragödien-Konsequenz; es ist auch ein politisches Bild. Aber Luhrmann modernisiert nur die Oberfläche. Mehr nicht.Asche und ArbeitZwischen Leonardo DiCaprio und Carey Mulligan als Daisy Buchanan passiert nicht viel. Was einerseits in Ordnung geht, schließlich handelt es sich um ein großes Missverständnis, was andererseits der Geschichte aber noch einmal innere Spannung nimmt. Die Objekte müssen erzählen, was die Personen nicht hergeben. Die Autos. Das Geschirr. Die Blumen. Die Kleider. Die Golfschläger. Die Swimmingpools. In den Dingen, in denen diese Klasse ihre Angst und ihr Begehren ausdrückt, ersticken die Individuen. Und so ist es kein Wunder, dass die Welt, die zwischen West und East Egg liegt, zwischen der Welt der alten Familien und der Welt der Neureichen, nämlich die Welt der Asche und der Arbeit, der Industrie und des Proletariats, in Luhrmanns Film eher pittoresk bleibt. Das Doppelleben von Tom Buchanans Geliebter, der ersten der drei Toten am Ende dieser Geschichte, bleibt eine sonderbare Behauptung, die ohnehin in Nicks erstem großen Rausch untergeht. Wie aber will man mit einer cineastischen Methode, in der es nur den Schein gibt, einem Roman gerecht werden, der Produktionen des Scheins beschreibt?Gelegentlich fühlt man sich in Luhrmanns Gatsby wie in einem Versuch, aus dem großen amerikanischen Roman ein Computerspiel für den Weltmarkt der Bilder zu machen. So etwas hätte seinen Reiz. Aber was den Plot und die Dialoge anbelangt, ist man gebunden; dauernd muss wörtlich aus dem Roman zitiert werden, nicht nur in den Pflichtteilen und Schlüsselsätzen. In Greenaway-Manier spielt Luhrmann gelegentlich mit Text-im-Bild und lässt dabei ahnen, was mit der visuellen Dekonstruktion eines Textes möglich wäre. Luhrmann hat in allen Einzelheiten übertrieben; im Großen und Ganzen aber ist er nicht weit genug gegangen. Und so ist auch dieser Gatsby der kinematografischen Exzesse auch nur halb Kino geworden.
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