Alter Schwede Jetzt kommt „Der Sturm“ endlich in die Läden. Was nach der ganzen Aufregung von diesem Krimi bleiben wird, entscheidet allein die Literaturkritik
Das gab es vielleicht noch nie: Schon vor seinem Erscheinen hat ein Kriminalroman mit dem Titel Der Sturm die gebildete Öffentlichkeit des Landes so intensiv beschäftigt, dass schon alle Fragen beantwortet scheinen. Ein gelungenerer Werbe-Coup lässt sich kaum vorstellen – wenn man nicht fragen müsste, wer denn wohl einen Krimi lesen möchte, über dessen Inhalt und Entstehungsbedingungen vollkommene Klarheit besteht.
Hinter dem schwedischen Pseudonym „Per Johansson“ verbirgt sich, wie man nun weiß, Thomas Steinfeld, Leiter des Kulturteils der Süddeutschen Zeitung (SZ) (der hinzufügte, dass er das Manuskript zusammen mit einem befreundeten Arzt geschrieben habe). Das Opfer der Kriminalgeschichte heißt zwar Christian Meier, wie
heißt zwar Christian Meier, wie der prominente deutsche Antike-Historiker, vereint aber auf sich so viele Elemente eines öffentlichen Bildes von Frank Schirrmacher, dem Kultur-Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), dass eine Identifikation in diesem Sinn für halbwegs Eingeweihte unvermeidlich ist, selbst wenn dies nicht die Absicht von Steinfeld gewesen sein sollte (was ich für prinzipiell möglich, doch sehr unwahrscheinlich halte). Schließlich ist wieder einmal die in Deutschland offenbar unvermeidliche Meinung aufgetaucht, dass dieses Ereignis Symptom für eine Dekadenz des nationalen Feuilletons sei. Natürlich bleibt dies im wahrsten Sinn des Wortes eine „Geschmacksfrage“ – doch dabei sollte man unbedingt festhalten, dass in keinem anderen Land die Kulturseiten von Zeitungen so viel Aufmerksamkeit auf sich zu lenken imstande sind.Was nach dem jüngsten Feuilleton-Erdbeben zu diskutieren bleibt, ist allein seine Bedeutung als Literatur, und auch in dieser Hinsicht ist Der Sturm ein wahrer Ausnahme-Fall. Denn es liegt nahe zu behaupten, dass dieses Buch im Sinn von drei verschiedenen Gattungsbegriffen ein Roman des deutschen Feuilletons ist: Seine realen Autoren und der Verlag präsentieren es als einen Kriminalroman. Doch ich bin sicher, dass es (zweitens) von seinen verbleibenden, hartnäckig interessierten Lesern vor allem als ein Schlüsselroman aufgefasst wird. Was am Ende aber alle – im einzelnen je verschiedenen – Interessen motiviert, das ist eine Konfrontation, die mich an Szenarien aus den früheren realistischen Romanen von Honoré de Balzac erinnert.Akademische FingerübungAls Kriminalroman wird Der Sturm vom türkischen Nobelpreisträger Orhan Pamuk wärmstens empfohlen. Das ist natürlich für die realen Autoren und den Verlag sehr erfreulich, bestätigt aber eigentlich nur, dass Steinfeld gute Beziehungen zur literarischen Welt hat. Zumal Pamuks Bemerkung zu einer eigenartigen Form des intellektuellen Kokettierens gehört, in der sich der Kriminalroman schon lange verheddert hat. Immer wieder wird darin erinnert, wie die Gattung seit ihren Anfängen im 19. Jahrhundert als „bloße Unterhaltungsliteratur“ eingestuft wurde – trotz eines unbestreitbaren ästhetischen Potenzials. Sich in diesem Sinn für „Krimis“ zu erwärmen, galt lange Zeit als etwas gewagt, gehört aber mittlerweile zum Gestenrepertoire des kulturellen Berufsspießers. Auf mich jedenfalls hat Der Sturm eher den Eindruck einer mit „gut“ zu benotenden, sehr akademischen Fingerübung gemacht, an der sich zwei Autoren ausgelassen haben, die „absolut alles“ über die Gattung zu wissen in Anspruch nehmen. Wenn es eine ministerielle Checkliste für „Schwedenromane“ gäbe (denn genau diese Subgattung ist anvisiert), dann erfüllte der Text fleißig alle Kriterien – mit Ausnahme des einen Strukturelements, von dem die Attraktivität eines Kriminalromans abhängt: Es ist Steinfeld und Co. nicht gelungen, einen seine Komplexität immer weiter steigernden, bis zum Ende „spannenden“ Prozess der Identifikation des Täters und seiner Motive in Gang zu bringen.Stattdessen steigert sich der Text von Seite zu Seite deutlicher in die Gattungslogik eines Schlüsselromans. Alle Details, welche den fiktionalen Christian Meier zu einem vermeintlichen Porträt von Frank Schirrmacher werden lassen (und noch andere Entschlüsselungsmöglichkeiten von Nebenprotagonisten), sind mehrfach mit großer Detailbesessenheit aufgelistet worden – vom Alter über die Physiognomie bis hin zu den Vorzugsthemen. Wer Schirrmacher persönlich kennt, weiß allerdings, dass ihm an exklusiver Kleidung viel weniger gelegen ist, als der Roman unterstellt – doch gerade diese Einzelheit (der Tote trägt noble Schuhe der Marke „Hutmacher“) sowie die von den Enthüllern sehr diskret mitgeteilte Tatsache, dass Meier Chefredakteur einer Boulevardzeitung ist, könnte Steinfeld benutzen, um der Lesart als Porträt zu widersprechen.Auf der anderen Seite haben die Autoren weidlich ein Gattungspotenzial genutzt, das erklärt, warum die historische Emergenz des Schlüsselromans auf einen voll entfalteten Fiktionsbegriff angewiesen war: Erst hinter dem Schutz dieser Prämisse wurde es möglich, negative Seiten der jeweils realen Bezugsgestalt jenseits des je Belegbaren auszumalen. Das hat in der Vergangenheit immer wieder zur strafrechtlichen Verfolgung von Schlüsselromanen geführt – wie im Fall von Gustaf Gründgens, der wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts ein gerichtliches Verbot von Klaus Manns Roman Mephisto erreichte. Schirrmacher hätte hinreichend Anlass und wohl auch solide Erfolgschancen, in dieser Weise zu reagieren. Doch ganz pragmatisch gesehen wird er besser daran tun, dem Kollegen Steinfeld selbst die Verfallsbeschleunigung seines öffentlichen Ansehens zu überlassen.Um sich zu verteidigen, hat sich kurioserweise nun auch Thomas Steinfeld der Interpetationslogik des Schlüsselromans bedient, da „stecke ich drin, in hohem Maße“, gab er zu Protokoll. Aber wo genau? Etwa auch im apokalpytischen Furor seines Mordopfers? Oder sogar in der Eröffnungsszene? Sobald sich ein Leser die Interpretationslogik des Schlüsselromans zu eigen macht, muss er nach den persönlichen Irritationen fragen, welche die Autoren zu einer Reihe von Beschreibungs-Exzessen verführt haben. Warum vor allem war ihnen daran gelegen, dass die Leiche des fiktionalen Christian Meier in grotesker Weise von einer Dachs-Familie zerfleddert war, als sie aufgefunden wurde, und warum muss der so literarisch produzierte Ekel nur wenige Seiten später noch einmal überboten werden? „Der Pathologe hatte gerade mal sagen können, dass der Tod mindestens einen, aber nicht länger als zwei Tage vor dem Fund eingetreten sein musste. Dafür sprachen die Eier, die von den Schmeißfliegen in das Gewebe der Leiche gelegt worden waren.“ Wem es nicht gelingt, die außerhalb der Fiktion liegende Frage nach den Motiven für solche Exzesse zu unterdrücken, der gelangt in jene Dimension, wo der Text – auf assoziativer Ebene – eine Rivalität aus der Welt des deutschen Feuilletons wie das Motiv eines Balzac-Romans inszeniert.Für Steinfeld gibt es eigentlich – zumindest von einer Außenperspektive gesehen – keinen plausiblen Anlass für jene Intensität des Hasses, die in den Beschreibungen der Leiche von Christian Meier zum Vorschein kommt. Er hat immer wieder betont, dass er sich selbst vor eineinhalb Jahrzehnten zu einem Wechsel von derFAZ zur SZ entschieden hatte. Was also mag ihn bis heute so sehr an Schirrmacher irritieren? Eben ein solches Verhalten, das alle zunächst plausiblen Motivationen überschießt, macht Thomas Steinfeld zu einem Protagonisten Balzac’scher Art, denn es begründete schon immer das Interesse an den Helden dieses ersten großen literarischen Realisten im 19. Jahrhundert, dass sie von nicht erklärbaren Energien getrieben schienen.Zur Weißglut bringenIn anderer Weise als bei Steinfeld trifft das auch auf Frank Schirrmacher zu. Er hat seit gut zwei Jahrzehnten eine außergewöhnliche Gabe bewiesen, Themen und Fragen jeder nächsten Zukunft vorwegzunehmen und begrifflich zuzuspitzen, und hat diese Gabe immer wieder benutzt, um über die von ihm lancierten Diskussionen Einfluss – und das heißt auch: potenzielle politische Macht – zu gewinnen. Aber obwohl manches dafür spricht, dass ihn solche Macht fasziniert, hat Schirrmacher sie nie in eine langfristigen Strategie investiert. Eher scheint er spielerisch mit ihr umzugehen, immer wieder seine Positionen wechselnd – meistens zum Vorteil der FAZ. Gegen Ende lässt uns Steinfelds Roman dann doch noch ahnen, warum ihn der fiktionale Meier (und der wirkliche Schirrmacher) so zur Weißglut bringen. Hinter Meiers Ermordung sollen amerikanische Finanz-Interessen stehen (das Böse kommt immer aus Amerika!), die sich von Schirrmachers publizistischen Interventionen bedroht fühlen. Mit anderen Worten: Es ist Schirrmachers nie konsequent zum Vorteil einer einzelnen politischen Position genutzte Macht, mit der die Politiker rechnen müssen, ohne dass sie ihnen zur Konkurrenz wird; es ist diese den Horizont des Feuilletons überschreitende Macht, an der Steinfeld offenbar Anstoß nimmt – und um die er Schirrmacher vielleicht beneidet.Einer von Balzacs berühmtesten Romanen, Les Illusion Perdues (Die verlorenen Illusionen), spielt in der Journalisten-Welt seiner Zeit, und wer dieses Buch gelesen hat und vom neuesten Feuilleton-Skandal erfährt, der kann nicht umhin, Thomas Steinfeld mit dem ehrgeizigen, charmanten, aber nicht immer seine existenziellen Situationen in der Gesellschaft von Paris beherrschenden Lucien de Rubempré zu assoziieren, während manche Züge Frank Schirrmachers an Vautrin erinnern, den Meister aller Machtspiele in gleich drei von Balzacs Romanen, dessen Motivationen für immer im Unklaren bleiben. Am Ende der Verlorenen Illusionen vertraut sich Lucien bedingungslos Vautrin an, der dafür zu sorgen verspricht, dass er in einem zweiten Anlauf bleibende Macht in Paris gewinnt. Vielleicht fehlt Steinfeld – trotz allem Erfolg – das Gefühl eines solchen Beschützt-Seins, seit er die FAZ verlassen hat.Dass das deutsche Feuilleton die Kraft zu Szenen von solcher Intensität hat, sollte man nicht als Symptom einer Krise bewerten. Nur ein fiktionaler Autor konnte sie zum Vorschein bringen, da es ja bei einem Schlüsselroman in Steinfelds Namen nichts mehr zu entschlüsseln gegeben hätte – und da es auch dem ehrgeizigsten Feuilletonchef verboten ist, sich selbst als einen Balzac’schen Helden vorzustellen.
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