Die durch die Hölle gingen

Bühne Volker Lösch zeigt das Schicksal des Soldaten Beckmanns in Borcherts "Draußen vor der Tür" auf der Berliner Schaubühne

Der junge Wolfgang Borchert schrieb Draußen vor der Tür 1946 in wenigen Tagen nieder. Sprachlich in vielem ungelenk, krude, im Duktus indes eindringlich. Borchert selber, er starb mit 27, war vier Jahre Soldat. Er wurde verwundet, erlitt Einfrierungen. 17 Monate saß er während dieser Zeit ein – wegen Wehrkraftzersetzung wie Angriffen auf Partei, Staat und Wehrmacht. 1942 beantragte ein Gericht gegen ihn die Todesstrafe. Draußen vor der Tür gehört seit der Uraufführung 1948 zu den meist gespielten Stücken hierzulande.

In der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz hat Volker Lösch den Fall des Soldaten Beckmann in Borcherts Drama nun wieder auf die Bühne gebracht. Aus dem isolierten Einzelerlebnis erwachsen kollektive Erfahrungen. Durchsetzt ist das Ganze mit explosiven Wirklichkeitspartikeln, die das gewohnte Bild sprengen.

Beckmann ist bei Lösch siebenköpfig, die ihn darstellende Chorgruppe (Chorleitung: Bernd Freytag) verwandelt sich immer wieder, schlüpft in ungeahnte Posen, stampft, spricht, murmelt, schreit. Sie wechselt getrieben die Plätze. Carola Reuther hat eine wellenförmige gewölbte Bühnenfläche aus Stoff in Schwarz-Rot-Gold gebaut. Insel Deutschland, grau, düster.

Der Protagonist Beckmann (Sebastian Nakajew) taumelt, biegt, streckt sich mit seiner angehängten Crew darauf wie ein angeschossenes Tier. Türen erscheinen surreal und verschwinden wieder. Im Stück ist er Heimkehrer wie Millionen seinesgleichen. Grausige Erfahrungen stecken im dürren Gepäck. Statt sie herauszuschreien, verfolgen ihn schreckliche Traumgebilde und Selbstmordfantasien. Dem Verlassenen erscheint im Wahn sein ehemaliger Oberst (Ulrich Hoppe), extrem befeuert von Wagners Tannhäuser-Vorspiel. Ihm, voll gestopft mit Broilern unterm Hemd aus Gummi, als wären es Eingeweide, wolle er die Verantwortung zurückgeben, die kraft seiner Befehle auf ihm lastet. Der aber, prall ins Licht gesetzt, lacht darüber zynisch, was Beckmann noch mehr quält und demütigt. Aus dessen Mund kommt indes nichts, das tatsächliches Verbrechertum im Zweiten Weltkrieg auch nur andeutete.

Hier sah Volker Lösch die Möglichkeit eines radikalen Eingriffs ins Stück. Subjektiv erlebte Aussagen über Verbrechen der Wehrmacht korrelieren mit Beckmanns irren Traumsequenzen. Den Stoff dafür gibt das Buch Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben, das Sönke Neitzel und Harald Welzer 2011 herausgegeben und kommentiert haben.

Gespräche unter deutschen Kriegsgefangenen aller Ränge und Waffengattungen sind dort dokumentiert. In Lagern wurden sie von Briten und Amerikanern ab 1939 heimlich aufgezeichnet. Da wird unter seinesgleichen desillsuioniert Klartext geredet, über das eigene Morden, Rauben, Vergewaltigen gefrotzelt, gelacht. Die Schauspieler zerren in unmöglichsten Lagen dies Entsetzliche grell ins Licht.

Die Einlassungen von Andreas Timmermann-Levanas, einem Veteran der jüngeren Kriege in Bosnien und Afghanistan, hinterdrein aufgesagt, wollen zur Aufführung dagegen nicht recht passen. Die Aktualisierung durch den Heimkehrer heute funktioniert nicht. Sie mildert, konterkariert nur den Gehalt von Löschs Arbeit zuvor. Dieser Heimkehrer, richtig verstanden, akzeptiert im Grunde den deutschen Krieg in Afghanistan und stellt wie Beckmann, nur unter ungleichen Voraussetzungen, seine Leiden während des Einsatzes und danach aus und mahnt die Öffentlichkeit, zu verstehen und sich zu kümmern.

Dabei ist Löschs Inszenierung hochaktuell, weil wie ehedem den heute lebenden Deutschen die Weltkriegsgefallenen als Helden des Vaterlandes verkauft werden. Was Lösch nicht tut. Eine jedermann zu empfehlende Inszenierung wider die Verdrängung.

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