Ausstellung Die Nationalgalerie prüft ihre Sammlung und findet fast nur Kunst aus den westlichen Industrienationen. Eine Selbstkritik auf der Höhe der Zeit unterbleibt
Wann immer wir etwas sammeln, gibt es zwei Arten von Dingen, die uns fehlen. Einmal das, was wir gern hätten, aber nicht bekommen. Und dann noch all das, was uns gar nicht erst interessiert. Schwierig wird die Lage, wenn wir feststellen, dass uns gerade Letzteres doch hätte interessieren sollen. Das heißt nämlich, dass uns nicht nur ein paar Dinge fehlen, sondern dass vielleicht mit der ganzen Sammlung etwas nicht stimmt.
An dieser Stelle muss man dem Projekt Hello World ein großes Lob aussprechen. Denn es unternimmt den Schritt, die Sammlung der Nationalgalerie neu zu betrachten. Eine heroische Aufgabe, überfällig, aber besser spät als gar nicht. In 13 Kapiteln erkundet die Ausstellung, was man hat und wie man damit unter neuen Umständen weitera
tänden weiterarbeiten kann.Staat, Volk, MuseumWas ist das eigentliche Problem? Seine Wurzeln reichen recht weit zurück, nämlich tief ins 19. Jahrhundert. Die meisten Museen hatten anfangs den Zweck, die Nation zu bilden. In doppelter Hinsicht, nämlich im Sinn von Bildung und im Sinn von Erfindung. Die im Nachhinein gesehen ziemlich bescheuerte Idee, dass in einem Staat ein Volk leben sollte, musste den Leuten ab 1800 erst einmal kulturell eingebläut werden. Dazu dienten unter anderem die Museen, der Name Nationalgalerie sagt es schon. Mit den noch älteren Sammlungen geschah etwas, das heute wieder fällig wird. Ihre Stücke wurde umsortiert und aussortiert. Alte Steine gingen an die Mineralogen. Raubgut, Beute und Geschenke überließ man Ethnografen. Die Museen dagegen widmeten sich fortan hauptsächlich der „Kunst“, fein säuberlich nach Epochen und Nationen geordnet.Placeholder image-1Die Erfindung dieser neuen Nationalstaaten ist ziemlich lange her, und seit die Deutschen Europa ein letztes Mal im Namen des Nationalen verwüstet haben, hat sich diese Idee zum Glück nicht mehr wirklich erholt. Im Haus der Kulturen der Welt hat die Parapolitik-Ausstellung (der Freitag 50/2017) jüngst dokumentiert, wie das Nationale nach dem Weltkrieg durch die Westbindung überschrieben wurde. Ein Widerhall dieser geopolitischen Ordnung wird uns in einem der eigenartigsten Kapitel der Ausstellung vorgeführt. Da hängt das Bild Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue IV des abstrakten Epressionisten Barnett Newman. Dazu sehen wir Fotografien des chinesischen Künstlers Liu Ye. Aber abgesehen von einem kurzen Kommentar im Ausstellungsbooklet bleibt die politische Bedeutung des Bildes in den Kulturkämpfen des Kalten Kriegs unerklärt.Die ganz beengte nationale Perspektive hatte die Sammlung nach dem Krieg bald hinter sich gelassen. Seit Museen dem Regime des neoliberalen Standortwettbewerbs dienen, ist repräsentative Internationalität Pflicht. Warum dann also überhaupt eine Revision der Sammlung? „Um dem weltweiten künstlerischen Austausch (…) gerecht zu werden“, heißt es. Der steht schon lange auf dem Programm, aber offenbar bisher auf falsche Art und Weise.Die Debatte um das Postkoloniale hat klargemacht, dass es mit der Internationalität allein unter den hauptsächlich westlichen Industrienationen nicht getan ist. Nun zeigt sich, dass sich vom großen Rest der Welt kaum etwas in den Sammlungen findet. Um tatsächlich der ganzen Welt „Hallo“ sagen zu können, wird es daher mit einer Revision der Sammlung nicht getan sein. Das zeigt sich übrigens deutlich an den sehr verschiedenen Stationen der Schau. Wo sie einzelne Stücke zum Anlass nimmt, um den Zustand der Welt außerhalb der Sammlung zu befragen, fördert sie neue und aufschlussreiche Erkenntnisse zutage. So etwa in den Verbindungen des politischen Malers Heinrich Vogeler nach Armenien, denen in der Sektion „Die tragbare Heimat“ künstlerische Projekte der Gegenwart nachspüren. Das Bild des türkischen Malers und Museumsgründers Osman Hamdi Bey hängt in der Sektion „Ein Paradies erfinden“, die sich künstlerischen Sehnsuchtsorten widmet, mitsamt deren idealisierenden und gleichzeitig abwertenden Blicken auf den Orient.Placeholder image-2Dort, wo die Ausstellung es dabei belässt, das Vorhandene umzusortieren und ein wenig zu ergänzen, wird sie oft regelrecht peinlich. Plötzlich finden sich dann wieder längst überwunden geglaubte Zusammenstellungen, die allein aufgrund ikonografischer oder formaler Ähnlichkeit vergangene und moderne Kunstobjekte mit Dingen aus den ethnografischen Sammlungen nebeneinander zeigen, als hätten sie sich allein der Form halber etwas zu sagen.Die Nachfrage, ob die Sammlung nicht die Lösung, sondern vielleicht eher Teil des Problems sei, verneinte Museumsleiter Udo Kittelmann, denn sonst müsste man sie ja ganz entwerten. Hier stellen sich einige grundsätzliche Fragen. Wenn es nur darum geht, Lücken zu offenbaren und durch Erweiterungen zu schließen, kommt man mit einer solchen Ausstellung schon ein Stück weiter. Wenn wir es dagegen mit einer Sammlung zu tun haben, die auf der falschen Spur war, genügt eine Revision nicht. 10 Millionen Euro, so Kittelmann bei der Pressekonferenz mit Blick auf die neben ihm sitzende Hortensia Völckers, Leiterin der Bundeskulturstiftung, bräuchte er, um seine Vision einer Erneuerung der Sammlung zu verwirklichen. Die von ihm selbst verantworteten Teile der Ausstellung, die sich mit wenig originellen Umgruppierungen begnügen, vermitteln aber nicht den Eindruck, als gäbe es überhaupt irgendeine zukunftsweisende Vision.Ist Hello World überhaupt die richtige Antwort auf das Postkoloniale? Gibt es nicht noch ein weit wichtigeres Problem? Wenn Museen sich um die Welt bemühen und damit einem globalen Kunstmarkt nachfolgen, hat das einen Haken. Kunst hat sich schon immer über den Ausschluss von allen möglichen anderen Kulturgütern definiert. Das gilt seit dem Beginn des Museums. Wenn sich nun die Kunstwelt um den Globus ausdehnt, bringt sie diese Ausschlüsse mit sich. Überall streben Künstler und Kuratoren dem Modell von Ausstellungen, Messen oder Biennalen nach, ohne zu bedenken, dass sie damit vielleicht gerade eine neue Runde eines globalen Kulturkolonialismus einläuten. Eine gründliche Selbstkritik der globalisierten Moderne steht noch aus. Wenn überhaupt, sollte das Teil der Vision sein, denn die vorliegende „Revision“ schert sich darum nicht.Seit in Europa das Regime der Austerität herrscht und Kaskaden sogenannter Reformen den Spielraum der gebildeten Mittelklasse mehr und mehr beschneiden, verliert Kunst ihren Platz im kulturellen Repertoire. Man überlässt das Zeug den Reichen, die es sich leisten können. Wozu überhaupt noch mit dem Geld von Steuerzahlern Gegenstände sammeln, die außer spekulativem Auktionswert kaum kulturelle Aussagen transportieren? Jede Vision, die darauf eine Antwort sucht, müsste erst einmal fragen, ob wir überhaupt noch Spekulationsobjekte vom Kunstmarkt wollen, oder lieber etwas anderes.Placeholder infobox-1
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