Die feinen Unterschiede

50 Jahre Baden-Württemberg Eine erzwungene staatliche Konstruktion feiert Jubiläum und beweist, dass das "living-apart-together" möglich ist - allerdings mit Einschränkungen

Wenn eine Reisegruppe aus Stuttgart oder auch aus Karlsruhe oder aus irgendeinem Dorf des Landes nach Berlin kommt, dann kann es durchaus sein, dass sich die Hotelangestellten an der Rezeption untereinander verständigen: "Das sind die Baden-Württemberger." Dagegen ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass sich die Reiseteilnehmer mit den Worten vorstellen: "Wir sind die Baden-Württemberger." Sie werden zwar, wenn eine entsprechende Frage auftaucht, sagen, dass sie in Baden-Württemberg zu Hause sind und dass sie aus Baden-Württemberg kommen, aber die Selbstbezeichnung "Baden-Württemberger" geht ihnen nur sehr schwer über die Lippen. Das sei schließlich kein Wunder, meinen viele, der Name sei einfach zu lang und zu kompliziert. Das leuchtet auf den ersten Blick ein - aber auf den zweiten schon nicht mehr. Schließlich kommt niemand ins Stolpern, wenn es beispielsweise um Mendelssohn-Bartholdy geht, und vor einiger Zeit konnten die meisten sogar den Zungenbrecher Leutheuser-Schnarrenberger fehlerlos aussprechen. Es ist schon richtig, dass sich in unserer Zeit der Abkürzungen und der einprägsamen Markennamen eine weniger gedehnte Bezeichnung wohl besser durchgesetzt hätte; aber als Erklärung für das Vermeidungsverhalten greift das Argument mit der Länge zu kurz.

Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder die Bewohnerinnen und Bewohner des südwestdeutschen Bundeslandes sind längst Baden-Württemberger (wofür ja auch die von außen auf sie gemünzte Bezeichnung spricht), wollen es aber nicht wahrhaben. Oder aber sie sind tatsächlich (noch?) keine Baden-Württemberger. Beides läuft im Grunde auf das selbe hinaus: Andere Namen werden vorgezogen, und im Vordergrund stehen dabei diejenigen Bezeichnungen, welche die letzten 50 Jahre überspringen und deutlich machen, dass es zwar die staatliche Konstruktion Baden-Württemberg mit vielen stabilen Verstrebungen gibt, dass aber dadurch die Badener und die Württemberger keineswegs verschwunden sind. Manchmal hat man den Eindruck, dass erst die Vereinigung der beiden früheren Länder den Unterschied und Gegensatz richtig ins Spiel brachte.

Urlauber, die aus dem mittleren Neckarraum an den Bodensee kommen, sind gelegentlich Frotzeleien von Seiten der Einheimischen ausgesetzt, die mitunter klingen, als stehe man am Rand einer kriegerischen Auseinandersetzung. Wie weihen die Badener einen Tunnel ein, wird gefragt. Ganz einfach: Sie bieten freie Getränke an, so dass all die Nachbarn aus dem Schwäbischen anreisen, und dann wird der Tunnel geflutet. Dort, wo früher die Grenze zwischen Württemberg und Baden verlief, kennt man viele solche aggressive Witzgeschichten. Geschichten, bei denen die Württemberger mehr die Aggression, die Badener mehr den Witz empfinden. Merkwürdig ist, dass es Retourkutschen kaum gibt, zumindest nicht auf der gleichen Stilebene. Schwabenwitze sind eine gängige Gattung, von Badenerwitzen spricht niemand. Badener erklären dies manchmal damit, dass die Schwaben halt wenig Sinn für Humor haben, dass sie, geprägt von ihren pietistischen Vorfahren, in jeder Situation auf den Ernst und die Mühsal des Lebens schielen. Dieses Pietismus-Klischee lässt sich aber, historisch betrachtet, höchstens den Menschen im ehemaligen Altwürttemberg aufdrücken, nicht aber den "Neuwürttembergern" in Hohenlohe oder im katholischen Oberschwaben. Das wesentliche Motiv für die Schwabenwitze ist, dass sich mit ihnen eine Bevölkerung zur Wehr setzt, die sich gegenüber den östlichen Nachbarn und durch diese Nachbarn benachteiligt fühlt.

Es gibt Indizien für diese Benachteiligung, freilich ganz überwiegend auf die Vergangenheit bezogen. Anders als in Württemberg gelang es dem badischen Regenten nicht, die Königswürde zu erlangen, und das im Zuge der napoleonischen Flurbereinigung entstandene Land Baden wurde auch nicht so großzügig wie Württemberg mit neuen Ländereien bedacht. Im 19. Jahrhundert entstand trotzdem ein recht wohlhabendes und liberales Baden; aber im 20. warfen die Kriegsvorbereitungen und Kriegsfolgen das an Frankreich angrenzende Land wirtschaftlich zurück. Als Trauma wirkt aber in erster Linie die Gründung des Südweststaats nach, mit der man vor allem in Südbaden überhaupt nicht einverstanden war. Später akzeptierte man die Vereinigung mit Württemberg auch dort; aber leichte Ressentiments blieben in ganz Baden zurück - gegen Stuttgart, das Karlsruhe aus dem Rang einer Landeshauptstadt verdrängt hatte, aber auch allgemein gegen die Schwaben, denen man zumindest im Witz den Vorrang streitig machte, unabhängig davon, ob sie diesen Vorrang überhaupt beanspruchten oder nicht.

In manchen Situationen blieb es nicht beim bloßen Spott. Als die Großindustrie ihre Fühler in die Agrar- und Erholungsgebiete im südlichen Baden ausstreckte, wurde das als schwäbische Bedrohung interpretiert; manche Bewohner im badischen Schwarzwald verglichen sich mit den letzten Indianern. Und als gegen die Kernkraftgegner in Wyhl Bereitschaftspolizei anrückte, wurde auf die "schwäbischen Besatzungstruppen" geschimpft, obwohl viele der Polizisten aus dem Badischen kamen und obwohl deren oberster Dienstherr, der Ministerpräsident des Landes, damals ein Badener war. Mit der Zeit schliff sich das merklich ab; aber es gibt immer wieder Konstellationen, in denen die beiden Landesteile gegeneinander ausgespielt werden. Bei der Besetzung höherer Positionen in Politik und Wirtschaft gehört es manchmal zu den Schlüsselqualifikationen, dass man im richtigen Landesteil wohnt - welches der richtige ist, bestimmt sich nach der Verteilung der übrigen Posten. Die Schwaben, so sagen die Badener, schanzen sich untereinander die besten Jobs zu, wenn man nicht höllisch aufpasst; die Badener, sagen die Schwaben, haben es gelernt, immer dann die badische Karte auszuspielen, wenn sie sich daraus einen Vorteil erhoffen.

Das Stichwort, unter dem die entsprechenden Auseinandersetzungen laufen, heißt Badenfrage. Wenn Anwärter auf eine wichtige Stelle von beiden Seiten der ehemaligen Grenze kommen oder wenn es um den Sitz einer größeren Landesbehörde geht, dann wird in vielen Fällen die Badenfrage aufgeworfen. Dies bedeutet nicht unbedingt freie Bahn für die badischen Bewerberinnen und Bewerber; aber es bedeutet erhöhte Anforderungen an die fachliche Argumentation und das diplomatische Geschick bei den Verhandlungen. Optimisten meinen, die eigentliche Badenfrage sei heute, ob es sie überhaupt noch gibt. Tatsächlich spielt sie nicht mehr die gleiche Rolle wie in den Anfängen des gemeinsamen Landes; aber vergessen sind die alten Zugehörigkeiten keineswegs. Sie sind ja auch festgeschrieben in einer ganzen Reihe von Institutionen, die immer noch getrennte Wege gehen. Der Württembergische Landessportbund feierte Ende des letzten Jahres sein 50-jähriges Jubiläum. Einige Festredner mahnten, wie üblich bei solchen Gelegenheiten, den baldigen Zusammenschluss mit dem Badischen Landessportbund an. Die Aufforderung wurde mit Beifall bedacht, auch von den anwesenden Funktionären des badischen Verbands. Am Ende ergriff ein Präsidiumsmitglied des Badischen Sportbunds das Wort und sprach dem württembergischen Parallelverband seine Wünsche aus für die nächsten fünfzig Jahre. Schöne Aussichten. Aber manchmal kommen ja Vereinigungen, auch viel wichtigere Vereinigungen, über Nacht zustande. Was freilich die Badenfrage nicht erledigt - denn wer wird dann Präsident?

Hermann Bausinger war bis zu seiner Eremitierung 1992 Professor für Empirische Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen. Er hat gerade den Band Die bessere Hälfte. Von Badenern und Württembergern in der Deutschen Verlagsanstalt München herausgebracht. Am 25. April um 19 Uhr findet in der Berliner Landesvertretung Baden-Württemberg eine Jubiläums-Lesung statt.

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