Krieg. Krieg. Krieg. Der amerikanische Präsident und seine Männer werden nicht müde, vom Krieg zu sprechen, der jetzt begonnen habe. George W. Bush, der Wildwest-Sheriff, auf Kreuzzug. Der nationale Sicherheitsstaat wird gedeihen. Was Bush wirklich meint, wie der versprochene »Sieg« gegen den Terrorismus aussehen würde, bleibt unklar. Abgesehen von ein paar versprengten Pazifisten fordern alle Amerikaner Vergeltung für die Gräueltaten von New York und Washington. Die Regierung soll die Bevölkerung beschützen. Trotz des Fahnenschwenkens - Bush muss sich Sorgen machen, dass das Volk langfristig mitzieht.
Sechs Tage nach dem Anschlag vor dem Pentagon - das US-Verteidigungsministerium ist zum Wallfahrtsort und zur Touristenattraktion geworden: Ein bierbäuchiger Harley-Davidson-Fahrer mit Tätowierungen wird Stereotypen gerecht. Ausradieren, betont er, ausradieren, alle diese Terroristen und alle, die mit ihnen zu tun hätten. Aber bei Gesprächen mit vielen Besuchern und Schaulustigen kommt Skepsis durch, Bush solle bitte umsichtig sein und Geduld haben, sagt eine Software-Expertin, die auch geschäftlich im Pentagon zu tun hat. Wilde Militärschläge nützten niemandem. Und eine Lehrerin, die viele Schüler aus Militärfamilien unterrichtet: Vergeltung müsse zielgerichtet sein.
Kirchen sind seit dem 11. September gerammelt voll. Und in vielen erklingen Warnungen vor dem Kreislauf der Gewalt. Bushs angestrebten Krieg kann man sich noch nicht vorstellen. War doch schon der Golfkrieg für nicht direkt beteiligte Amerikaner eher virtuell als real. Der hochgeputschte Patriotismus hat dann auch nicht angehalten. Gern erinnert sich Amerika dagegen an den Zweiten Weltkrieg. Damals, so meint man zu wissen, war die ganze Nation vereint im Kampf gegen die Japs und die Krauts. Seit mehreren Jahren rollt eine Nostalgiewelle. Kriegsverherrlichende Bestseller sind auf dem Markt, ein Spielberg-Film lief im Kino (Saving Private Ryan), gegenwärtig bringt der Fernsehsender HBO die scheinbar endlose Serie Band of Brothers über eine heldenmütige US-Eliteeinheit. Auf dem Mall - Washingtons Museumsmeile - soll ein riesiges Denkmal für die Helden des Zweiten Weltkrieges errichtet werden.
In ideologischer Hinsicht dümpelt Amerika seit dem Ende des Kalten Krieges vor sich hin. Durchsetzen der Freien Marktwirtschaft als Programm, der Wall-Street-Boom und grenzenloser Konsum erzeugen keine idealistischen Träume. Die Weltkriegsnostalgie sollte der Nation Halt geben und zumindest via Film und Fernsehen Sehnsüchte nach Gemeinschaft und Lebenssinn erfüllen. Und jetzt der Krieg gegen den Terrorismus, gegen die »Männer im Schatten«. Irgendwie packt das nicht so recht. Natürlich ist »Amerika zusammengekommen« angesichts des unermesslichen Leidens, Hilfswillige haben die Koordinatoren der Rettungs- und Bergungskampagne regelrecht überrannt. Aber diese Nothilfe kommt zwangsläufig zum Ende, wenn die Notsituation behoben ist.
Der angedrohte Kampf gegen den Terrorismus bedroht, was er verteidigen soll: Den »American Way of Life«, Demokratie und Freiheit. Justizminister John Ashcroft will die Befugnisse der Polizei und Geheimdienste ausbauen. Die Führer der vermeintlichen Oppositionspartei, der Demokraten, glänzen durch Anpassung, obwohl sich doch so viele Amerikaner Sorgen machen über die Ausmaße und Konsequenzen des neuartigen Krieges. Was, wenn die Terroristen auch eskalieren? Kaum einer der führenden Demokraten wagt die Frage, ob nicht eine internationale Polizeikampagne gegen die Terrortäter als Verbrecher angebrachter wäre als ein Krieg. Es ist Krieg - und die Abgeordneten und Senatoren singen gemeinsam Hymnen, anstatt über Politik zu diskutieren. Wahrlich weltbewegende Entscheidungen werden in dem engen Zirkel weniger konservativer Multimillionäre und Militärs getroffen, die selbst das Kunststück fertig bringen, die Anschläge zur Rechtfertigung ihrer Raketenabwehrpläne herzunehmen.
Für das fortschrittliche Amerika (im weitesten Sinne) brachten die Anschläge auch politische Rückschläge. Hatte sich doch in den Wochen zuvor Widerstand geregt gegen Bushs Konservatismus, der zumindest bei der Wirtschafts- und Umweltpolitik Ronald Reagans Programme in den Schatten stellt. Selbst das überparteiliche Haushaltsbüro des US-Kongresses rechnete kürzlich vor, dass Bushs Steuererleichterungen für die Wohlhabenden zusammen mit erhöhten Militärauslagen und den durch die sich abzeichnende Wirtschaftsrezession fallenden Steuereinnahmen wieder zu Haushaltsdefiziten führen.
George W. Bush wird sich der Debatte über seine fehlgeschlagene Wirtschaftspolitik nun nicht stellen müssen. Der Militärhaushalt wird noch mehr aufgestockt. Die CIA - durch die Finanzierung der afghanischen Heiligen Krieger gegen die Sowjetunion ein Pate des »islamischen Terrorismus« - wird wieder morden dürfen. Und noch hat der Präsident seine Abkehr von den internationalen Alleingängen und die Hinwendung zum Anrufen ausländischer Hilfe für den neuen Krieg nicht erläutern müssen. Bush ist bisher noch einmal davongekommen. Die Flagge soll alles verdecken. Aber Zukunftsprognosen sind viel zu gewagt.
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